Die Angriffe laufen seit drei Jahren. Bislang weiß man weder, wer dahinter steckt, noch was die Täter bezwecken wollen.

Foto: Pixabay/lil_foot_

Es ist einer der rätselhaftesten Cyberangriffe der vergangenen Jahre. Zahlreiche Buchautoren aus aller Welt melden, dass Unbekannte versucht haben, ihnen Manuskripte für noch unveröffentlichte Werke abzuluchsen – zum Teil auch mit Erfolg.

Doch bisher hinterlässt die Welle Betroffene, als auch die Behörden, ratlos zurück. Weder weiß man, wer dahinter steckt, noch ist klar, was damit bezweckt werden soll, berichtet die New York Times.

Ausgeklügeltes Vorgehen

Ziel der Angriffe sind nicht nur Starautoren wie Margaret Atwood und Ian McEwan. Auch weitgehend unbekannte Schreiber haben E-Mails erhalten, die darauf abzielen, an ihre Buchentwürfe zu kommen. Bei den Angreifern handelt es sich offenkundig entweder um Brancheninsider oder um Täter, die sich intensiv mit dem Verlagswesen auseinander gesetzt haben. Sie wissen gut darüber Bescheid, welchen Weg ein Werk von der "Feder" des Autors bis hin zu seiner Veröffentlichung über den Verlag nimmt und wie Autoren, Agenten, Publisher und andere Akteure in dieser Kette miteinander in Beziehung stehen.

Man nutzt Adressen, die auf den ersten Blick aussehen, wie die Domains bekannter Verlage. Etwa "penguinrandornhouse.com" anstelle von "penguinrandomhouse.com". Zudem sind die Angreifer auch häufig im Bilde darüber, in welchem Abschnitt des Prozesses ein Werk gerade ist, um Nachrichten im Namen gerade relevanter Personen zu versenden. Und auch der "Branchensprech", etwas gängige Abkürzungen wie "ms" für "manuscript" ist ihnen nicht fremd.

"Sie wissen, wer unsere Kunden sind, sie wissen wir wir mit ihnen interagieren, wo Sub-Agenten und Hauptagenten ins Bild passen", erklärt Catherine Eccles, die eine Scoutingagentur für Literatur in London leitet. "Sie sind sehr, sehr gut."

Insiderwissen

Die ausgeklügelten Angriffe laufen seit drei Jahren und begannen außerhalb des englischsprachigen Raums. Zuerst traf es Autoren aus Schweden, Israel, Italien und Taiwan. Die Anzahl der betrügerischen E-Mails wuchs allerdings dramatisch an auch amerikanische Autoren zum Ziel geworden sind. Besonders rege Aktivität zeigte sich im Herbst rund um die heuer virtuell veranstaltete Frankfurter Buchmesse.

Die breite Recherche hinter den Angriffen zeigt etwa der Angriff auf Cynthia Sweeney, die erst 2018 mit "The Nest" als Romanautorin debütiert hatte. Sie erhielt eine E-Mail, die mit dem Namen ihres Agenten, Henry Dunow, gezeichnet war. Acht Monate zuvor hatte sie bereits einen Vertrag für ihr Nachfolgewerk auf Basis eines Auszugs aus dem Manuskript abgeschlossen. Öffentlich bekannt war über das neue Buch allerdings noch nichts.

In der Nachricht wurde sie gefragt, ob der von ihr versprochene Entwurf für das vollständige Werk schon fertig sei. Denn er könne es kaum erwarten zu lesen, wie es mit Flora, Julian und Margot weiterginge. Da ihr die Mail seltsam vorkam, leitete sie an die ihr bekannte Adresse des Agenten weiter, der die Nachricht nicht verfasst hatte und aus allen Wolken fiel. Der Angreifer hatte offenkundig Insiderinformationen, darunter sogar die Namen der Protagonisten aus dem Teilmanuskript.

Motiv unbekannt

Bis jetzt ist allerdings völlig unklar, welchem Zweck diese Phishing-Kampagne überhaupt dient. Denn kein einziges der Manuskripte, an das die Hinterleute bisher gekommen sind, ist bislang im Darknet oder auf dubiosen Plattformen aufgetaucht, auf denen ungeduldigen Fans gegen Geld Zugang zu den Werken versprochen wird. Und während sich hier die Vorabversionen von Werken bekannter Autoren wohl zu gutem Geld machen ließen, könnten die Cyberkriminellen mit den Manuskripten bislang unbekannter Schreiber hier kaum etwas verdienen. Auch Erpressungsversuche gegenüber Autoren und Verlagen, wie sie in der Vergangenheit bei geleakten Drehbüchern und Manuskripten schon vorgekommen sind, gab es noch keine.

Eine – allerdings spekulative – Theorie innerhalb der Branche ist, dass hier literarische Scouts im Wettrennen um Informationen nun kriminelle Abwege beschreiten. Diese Scouts bereiten etwa den Verkauf von Buchrechten an internationale Verlagshäuser oder die Rechte für Verfilmungen an Hollywoodstudios vor. Exklusive Vorabinformationen sind dabei ein besonders wertvolles Handelsgut.

Verunsicherung

Während man im Dunklen tappt, sorgen die Angriffe zunehmend für Paranoia in der Branche. Autoren, Verleger und Agenten seien sich nicht mehr sicher, wem man vertrauen könne.

Gerade für die Schreiber selbst ist der Diebstahl eines Manuskripts besonders heikel. Denn Manuskripte, in denen sich üblicherweise neben diversen Tippfehlern auch Handlungsstränge finden, die vor der Veröffentlichung stark überarbeitet, ersetzt oder komplett gestrichen werden, geben ihre größten Schwächen preis. "Man fühlt sich missbraucht", sagt der selbst betroffene Autor James Hannaham. "Ich will nicht, dass irgendwer sieht, wie schlimm die frühen Entwürfe sind." (red, 26.12.2020)