Unschlagbare Beth (Anya Taylor-Joy, li. mit Moses Ingram) in "The Queen’s Gambit".

Foto: Netflix

Für Serien war 2020 ein schlechtes Jahr. Corona schlug eine Schneise in die Herstellung. Auswirkungen des wochenlangen Drehstopps werden weit ins Jahr 2021 spürbar sein, zugleich zeigen sich die Folgen ungebremster Massenproduktion. Neue Streaminganbieter erhöhen die Schlagzahl an zusätzlicher Serienware. Marketinggetestete Zielgruppen werden bespielt, Content is King, die Inhalte wirken zunehmend austauschbar.

Große Serien – wie einst etwa Breaking Bad, House of Cards und Game of Thrones – sind in dem Produktionsrausch kaum noch möglich. Als Relikte ragen Vikings hervor oder The Walking Dead – beide mit unübersehbarem und tatsächlichem Ablaufdatum. Von Vikings starten am 30. Dezember die letzten Folgen, für TWD ist 2022 Schluss. Ableger sind vorgesehen, die Bedeutung ihrer Vorgänger wird nur schwer erreichbar sein. Die Marke Serie als Qualitätssiegel für epische Erzählung droht ihren Status einzubüßen.

2020 war für Serien ein großartiges Jahr. Corona verbannte die Menschen auf die Couch. Dort warteten schon Streaminganbieter mit ihren Unmengen an Serienware. Abonnenten schöpften aus dem Vollen und retteten sich mit Unterhaltung durch Lockdowns. DER STANDARD blickt auf die Hochs und Tiefs des Serienjahrs 2020.

Die besten fünf

Die Serie, die am besten in dieses Jahr passte, war The Queen’s Gambit: Schach spielen, sich nicht kleinkriegen lassen, niemals aufgeben, weitermachen, an sich glauben, aber auch sich helfen lassen, und das inmitten einer sagenhaften Ausstattung und mit einer unglaublich ausdrucksstarken Hauptdarstellerin – das war herausragend und Hochgenuss. Beth Harmon gewinnt alles, somit ist es nur konsequent, dass sie auch in diesem Jahresrückblick die Konkurrenz schlägt.

Netflix

Einen tiefgründigen, wendungsreichen feministischen Thriller lieferte Little Fires Everywhere mit Reese Whitherspoon und Kerry Washington, der zur rechten Zeit kam und die Diskussion um Black Lives Matter gut erfasste.

Großartig unheimlich – unheimlich großartig war The Third Day – Jude Law verstörte als "Vater" in einer sehr feindlichen Umwelt.

Die lustigste und gleichzeitig innovativste Weiterentwicklung einer Serie war The Great. Die Methode, von Männern geschriebene Geschichte mitsamt ihren Figuren neu und feministisch zu interpretieren, ging am Beispiel der jungen Katharina der Großen voll auf. Hossa!

John Brown kämpfte gegen Sklaverei so erbittert, dass sogar Wegbegleiter wie sein junger Freund Onion es mit der Angst zu tun bekamen. Ethan Hawke lieferte in The Good Lord Bird ein durchgedrehtes dreckiges Stück Western, das die Wurzeln des Rassismus aufzeigt und mehr mit den USA heute zu tun hat, als vielen lieb ist.

Überraschungen!

Wir erinnern uns gerne zurück an Tiger King, das vermutlich schrägste Seriending aus dem Hause Netflix. Die irre Geschichte des Privatzoobetreibers Joe Exotic war tatsächlich so etwas wie ein Überraschungserfolg. Dokumentarisches Must-see war The Last Dance: Michael Jordans Tanz mit dem Vulkan.

Netflix

Sentimentaler Favorit unter den Seriengiganten ist Gentleman Jack. Die von HBO und BBC One produzierte, von Sally Wainwright konzipierte, geschriebene und inszenierte Serie war vorbildliches Empowerment. Gentlemen Jack handelt von Anne Lister, jener englischen Gutsbesitzerin und Industriellen, die im 19. Jahrhundert ihr Leben in Tagebüchern mit einem Umfang von mehr als vier Millionen Wörtern und in einem geheimen Code verfasste. In der Serie zieht die ehrenwerte Lister ihre Linie durch, womit es ihr gelingt, gleichermaßen Machtstrukturen wie weibliche Herzen zu brechen. 2020 eindeutig die kraftvollste und energischste Robin Hood – zudem jene Serie mit den besten Damenfrisuren.

Mann und Frau – eine Geschichte voller Missverständnisse. Normal People war die mit Abstand verzwickteste und intensivste Übersetzung dieser allgemeingültigen Wahrheit.

Die gelungenste Fortsetzung eines Films war Snowpiercer. Der Höllenzug der Mehrklassengesellschaft fährt ungebremst ins 2021er-Jahr: Schon am 26. Jänner kommen neue Folgen der Netflix-Dystopie.

Superhelden sind auch nur publicitygeile Menschen. In The Boys konnte man sich davon erneut genüsslich überzeugen lassen.

Größte Enttäuschungen

Hohe Erwartungen nicht erfüllen konnte die vom ORF mit Netflix ausgespielte Serie Freud. Wenig überzeugend waren mit M und Alex Rider zwei weitere Serienprodukte mit heimischer Beteiligung. Nur vereinzelt Oberwasser behielt die zweite Staffel von Das Boot. Peinlichste Comedy-Serie war Emily in Paris – mit den dümmsten Frankreich-Klischees, die es je zu sehen gab. Netflix gab im November die Verlängerung bekannt. À votre santé! (Doris Priesching, 29.12.2020)

Schon gehört?