Die Aufräumarbeiten nach dem Bilanzskandal der inzwischen insolventen Wirecard werden sich noch länger hinziehen.

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In Sachen Wirtschaftskriminalität ist 2020 ein denkwürdiges Jahr: Mindestens fünf Jahre lang soll der Vorstand des deutschen Zahlungsdienstleisters Wirecard in einem Fall von "gewerbsmäßigem Bandenbetrug" Banken und Investoren systematisch belogen haben – bis zum Insolvenzantrag im Juni.

Die juristische Aufarbeitung wird aller Voraussicht nach länger als fünf Jahre dauern. An erster Stelle stehen die strafrechtlichen Ermittlungen. Deren Abschluss ist nicht in Sicht, wie Oberstaatsanwältin Anne Leiding sagt, die Sprecherin der Münchner Ermittlungsbehörde. Wie viele Beschuldigte es mittlerweile sind, enthüllt Leiding nicht – deren Zahl "ändert sich ständig". Neben Wirecard-Managern wird mittlerweile auch gegen Bilanzprüfer der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft EY ermittelt, die die manipulierten Bilanzen testierten.

Zeug zum Rekord

Mit einem mutmaßlichen Schaden von über drei Milliarden Euro ist die Bilanzmanipulation von Wirecard Kandidat für den größten Betrugsfall der deutschen Nachkriegsgeschichte. Bisheriger Rekordhalter ist das Unternehmen Flowtex, das in den 1990er Jahren mit dem Verkauf nicht existenter Spezialbohrmaschinen zwei Milliarden Euro erschwindelte.

Ende Jänner wird sich entscheiden, ob Ex-Vorstandschef Markus Braun auf freien Fuß kommt. Nach einem halben Jahr in Untersuchungshaft steht Ende Jänner der Haftprüfungstermin bevor. Ebenso aus Österreich stammt ein weiterer Hauptverdächtiger in der Affäre. Ex-Finanzvorstand Jan Marsalek ist weiter auf der Flucht. Hauptvorwurf ist, dass die Wirecard-Chefetage spätestens 2015 beschlossen haben soll, die Bilanzen aufzublähen. Wirecard hat Luftbuchungen über 1,9 Milliarden Euro eingeräumt.

Noch sehr viel länger dauern als das Strafverfahren könnte die Entschädigung der Gläubiger. Große Insolvenzverfahren können insbesondere in Betrugsfällen außerordentlich lang dauern. Bei Flowtex waren es zwei Jahrzehnte.

Milliarden-Forderungen

Bis zur Wirecard-Gläubigerversammlung hatten Banken, Investoren, Geschäftspartner und Aktionäre insgesamt zwölf Milliarden Euro an Forderungen angemeldet. "Schon die Erfassung der mittlerweile zehntausendfach eingegangenen Anmeldungen wird noch Monate dauern", sagt ein Sprecher von Insolvenzverwalter Michael Jaffe. Forderungen kommen nicht nur von Gläubigern. Die Verluste der Wirecard-Aktionäre sind größer als der mutmaßliche Betrug: Die Papiere büßten innerhalb von zwei Jahren mehr als 20 Milliarden Euro ein.

Doch es sieht nicht so aus, als ob Aktionäre übermäßig große Chancen hätten, einen Teil ihrer Verluste im Rahmen des Insolvenzverfahrens wieder hereinzuholen. Das wird womöglich ebenfalls vor Gericht geklärt: "Zu beachten ist auch, dass bestimmte Rechtsfragen – wie etwa auch zur Berücksichtigung von Schadenersatzforderungen der Aktionäre – im Interesse aller Gläubiger gegebenenfalls in Pilotprozessen geklärt werden müssen", erklärt Jaffes Sprecher. (dpa, red, 28.12.2020)