Haben sich Urmenschen Wintervorräte angelegt, oder zehrten sie von Fettreserven, während sie die kalte Zeit verschliefen?
Foto: APA/AFP/Marco Bertorello

Wenn die kalte Jahreszeit ins Land zieht, wird das Futterangebot knapp, für manche Tiere verschwinden die Nahrungsgrundlagen sogar völlig. Um trotzdem zu überleben, haben einige Arten eine Strategie entwickelt, die es ihnen erlaubt, die frostigen und kargen Wochen zu überbrücken: Sie ziehen sich im Herbst in Höhlen, Erdlöcher oder Laubhaufen zurück und schlafen mit einigen Unterbrechungen, bis im Frühling die Temperaturen wieder zu steigen beginnen. Damit Siebenschläfer, Fledermaus, Igel und Co in diesen Monaten nicht verhungern, senken sie ihre Körpertemperatur auf wenige Grad über null, verlangsamen Herz- und Atemfrequenz sowie alle weiteren Stoffwechselaktivitäten auf ein Minimum und zehren ausschließlich von ihren angefressenen Fettreserven.

Knöcherne Hinweise

Manch einer, der meint, in dieser ungemütlichen Zeit ohnehin nichts zu versäumen, mag die Tiere um ihren Ruhezustand beneiden. Eingeigelt den Winter einfach zu verschlafen, das wäre doch was! Doch leider, ebenso wie Großwild, Raubtiere und jene Vögel, die nicht in den Süden flüchten, muss sich auch der Mensch durch diese kalten und trüben Tage plagen. Das Umschalten auf einen Energiesparmodus steht uns nicht zur Verfügung – oder etwa doch? Forscher haben nun in Knochen einer Urmenschenart Hinweise darauf entdeckt, dass zumindest einige unserer nahen Verwandten vor mehreren Hunderttausend Jahren eine vergleichbare Überlebensmethode entwickelt haben könnten, um es durch extrem kalte Wintermonate zu schaffen.

Die besagten Gebeine stammen aus der Sima de los Huesos – auf Deutsch "Knochengrube" – in Burgos im Norden Spaniens. In den vergangenen drei Jahrzehnten wurden in der Höhle auf dem Grund eines 15 Meter tiefen Schachtes tausende Zähne und Knochenstücke freigelegt, Überreste von mehreren Dutzend frühen Neandertalern oder ihren unmittelbaren Vorgängern, die dort möglicherweise absichtlich abgeladen worden waren. Die Höhle gleicht damit einem über 400.000 Jahre alten Massengrab und gilt als eine der bedeutendsten paläontologischen Schatzkammern der Erde.

In der Sima de los Huesos wurden in der Vergangenheit hunderte menschliche Knochen gefunden. Einige davon zeigten Spuren, die Forscher mit den Folgen von Winterschlaf in Zusammenhang bringen.
Foto: Museo de la Evolución Humana

Reduzierter Stoffwechsel

Was eine Gruppe um Juan-Luis Arsuaga von der Universität Complutense Madrid bei der Analyse einiger dieser Fossilien entdeckte, war bisher nur von den Knochen Winterschlaf haltender Tiere bekannt gewesen: charakteristische Läsionen und saisonale Variationen, aus denen man auf ein gestörtes Knochenwachstum im Verlauf mehrerer Monate eines jeden Jahres schließen kann.

Eine Möglichkeit sei daher, dass diese frühen Menschen immer wieder vorübergehend ihren "Stoffwechsel so herunterfuhren, dass sie unter extrem kalten Bedingungen und mit nur sehr begrenzten Nahrungsvorräten mit genügend Körperfett lange Zeit überleben konnten", wie das Team im Fachjournal "L'Anthropologie" berichtet. Mit anderen Worten: Sie hielten in den Höhlen eine Art Winterschlaf, der sich als Störung im Knochenwachstum manifestierte.

Umstrittene Theorie

Die Forscher gestehen ein, dass das durchaus abenteuerlich klingen mag, verweisen aber auf einige Primaten wie die Fettschwanzmakis auf Madagaskar, die regelmäßig während der Trockenzeit zwischen April und Oktober Winterschlaf halten. "Dies legt nahe, dass die genetische Basis für einen solchen Hypometabolismus auch beim Menschen existieren könnte", meint Arsuaga.

Dass diese Idee in Fachkreisen für Kontroversen sorgt, sollte nicht verwundern: Chris Stringer vom Natural History Museum (London) etwa verweist auf den hohen Energiehunger des menschlichen Gehirns, der sich zumindest bei einer Winterruhe, wie man sie von Bären kennt, als Problem erweisen würde. "Trotzdem ist der Gedanke faszinierend und sollte anhand der Genome von Urmenschen weiter untersucht werden", so der Paläoanthropologe. (Thomas Bergmayr, 29.12.2020)