Solche Schliefer treiben sich in den kenianischen Taita Hills herum. Möglicherweise gehören sie zu einer Art, die man bislang nicht kannte.
Foto: Hanna Rosti

Manche Tiere sind vor allem dafür berühmt geworden, was sie nicht sind. Schliefer mögen auf den ersten Blick wie ein Murmeltier oder ein anderer großer Nager aussehen. Doch wie Tierfreunde wissen, sind sie die engsten Angehörigen der Elefanten wie auch der Seekühe – warum einen unwahrscheinlichen Verwandten haben, wenn es auch zwei sein können? Zusammen bilden diese drei so unterschiedlichen Gruppen die Paenungulata oder "Beinahe-Huftiere".

Ihr bekanntester und am besten erforschter Vertreter ist der in weiten Teilen Afrikas bis nach Vorderasien verbreitete Klippschliefer, ein bis zu fünf Kilogramm schwerer Pflanzenfresser. Während er felsiges Gelände bevorzugt, klettern die übrigen Schliefer lieber in der Vegetation herum: der Buschschliefer und drei Arten von Baumschliefern. Möglicherweise sind es aber auch vier. Finnische Forscher berichten nämlich im Fachmagazin "Diversity", dass sie allem Anschein nach eine bisher unbekannte Baumschlieferart aufgespürt haben.

Unterwegs mit Mikrophon

Das Team um Hanna Rosti von der Universität Helsinki war drei Monate lang in den bewaldeten Taita Hills im Süden Kenias unterwegs, um die Laute nachtaktiver Tiere aufzuzeichnen. Solche akustischen Daten können mitunter auch für die Taxonomie interessant werden. So konnten die Forscher in der Region zwei sehr verschiedene Populationen von Galagos (auch Buschbabys genannt) anhand von deren Rufen identifizieren. Die Rufe der einen entsprechen denen einer bereits bekannten küstennah lebenden Population. Die der zweiten sind völlig anders – ein Indiz dafür, dass es sich um zwei verschiedene Arten dieser kulleräugigen Primaten handelt.

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Galagos sind das, was man früher "Halbaffen" nannte, verwandt mit Loris und den Lemuren Madagaskars.
Foto: REUTERS/Thomas Mukoya

Und genauso hat Rostis Team Schlieferrufe aufgezeichnet, wie man sie bislang nicht kannte. Schliefer kommunizieren über ein zwar wenig melodiöses, aber dafür erstaunlich breites Repertoire an Grunz-, Krächz- oder Quieklauten und können dabei die Ghettoblaster-Lautstärke von 100 Dezibel erreichen. Dennoch waren die in den Taita Hills aufgezeichneten Laute etwas Neues. Den Klang beschreiben die Forscher etwas mysteriös als "erstickten Knall" (wer eine bessere Übersetzung für "strangled thwack" hat, möge sie gerne posten).

Auffälliger war aber die Komposition: Ein einzelner "Gesang", der bis zu zwölf Minuten dauern kann, besteht laut Rosti aus verschiedenen "Silben", die in unterschiedlicher Reihenfolge kombiniert und wiederholt werden. Die Biologin vermutet, dass es sich dabei um Lockrufe paarungsbereiter Männchen handelt. Anders als Klippschliefer neigen Baumschliefer zum Einzelgängertum, da müssen Paarungspartner erst einmal zueinander finden.

Entdeckung mit Seltenheitswert

Noch steht eine Bestätigung der akustischen Indizien durch anatomische oder genetische Daten aus. Auf die Entfernung war es nicht möglich, zu erkennen, ob es sich bei den gesichteten Baumschliefern um Angehörige einer neuen oder einer bereits bekannten Art handelt.

Klippschliefer sind die bekannteste der fünf (oder jetzt sechs) Schlieferarten. Wer jetzt irgendwas mit "Gadse" posten will, möge vorher eine Image-Search starten: Mit geöffnetem Maul sind die Tiere nicht mehr ganz so niedlich.
Foto: imago/imagebroker

Falls sich Rostis Annahme aber als richtig erweist, hätte man es mit einem Ereignis von hohem Seltenheitswert zu tun: Neue Säugetiere werden kaum noch entdeckt, erst recht keine einigermaßen großen. 2020 bereicherte die Taxonomie bislang nur um eine Spitzmaus, einige Fledermäuse und Waldmäuse sowie um die Erkenntnis, dass es sich beim Südlichen Großflugbeutler, einem gleitflugfähigen Beuteltier, in Wahrheit um drei verschiedene Arten handelt. Neben solchen Leichtgewichten ist ein Baumschliefer, der in gut genährtem Zustand über vier Kilogramm schwer werden kann, der reinste Behemoth. Und wird damit seiner elefantösen Verwandtschaft doch noch ein bisschen gerecht. (jdo, 30. 12. 2020)