Auf Basis von Kameraaufnahmen identifizierte die KI der Gesichtserkennungssoftware Nijeer Parks fälschlicherweise als Täter.

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Der 33-jährige Afroamerikaner Nijeer Parks aus dem US-Bundesstaat New Jersey staunte nicht schlecht, als die Polizei wegen eines Diebstahlvorfalls in Middlesex County einen Haftbefehl gegen ihn ausstellte. In einem Hotel in der Stadt Woodbridge hatte ein Täter Gegenstände entwendet und bei seiner Fluchtfahrt auch noch ein Polizeiauto beschädigt. Parks allerdings war noch nie in Woodbridge und hatte auch den Bezirk erst einmal kurz besucht, um ein Football-Spiel anzusehen.

Sein Cousin hatte ihn zur Polizeistation in Woodbridge gefahren, denn er selbst besitzt weder Führerschein noch Auto. Er hatte eigentlich gehofft, das Missverständnis aufklären zu können, fand sich nach eigener Angabe aber "wenige Augenblicke später" in Handschellen wieder. "Du weißt, was du getan hast", sagten ihm die Ermittler immer wieder. Er sollte zehn Tage im Gefängnis verbringen, ehe er wieder frei kam, berichtet NJ.com.

Flashback

Für Parks war das ein schwerer Schlag. Nicht nur kostete ihn diese Episode seine gesamten Ersparnisse, sondern sie warfen ihn auch zurück in eine Zeit seines Lebens, die er überwunden glaubte. 2010 bis 2016 saß er wegen Drogenhandels im Gefängnis. Nach seiner Entlassung hatte er sich vorgenommen, sein Leben in bessere Bahnen zu lenken. Er fand einen Job in einem Supermarkt, begann Geld anzusparen und schmiedete Pläne für eine Hochzeit mit seiner Lebensgefährtin.

Sein Anwalt führt nun einen Prozess gegen die Stadt, ihren Bürgermeister und die Behörden. In der Zivilklage fordert er Entschädigung für seinen Mandanten und wirft der Polizei den Einsatz von Gesichtserkennungssoftware vor, deren Einsatz mittlerweile verboten worden ist.

KI hielt Parks für den Täter

Eine KI des Unternehmens Clearview hatte Überwachungsvideos des Diebstahlvorfalls vom Jänner 2019 ausgewertet. Ein Afroamerikaner hatte Süßigkeiten und andere Snacks aus dem Shop des Hampton Inn-Hotels gestohlen und war ins Herrenklo gelaufen, als ein Angestellter die Polizei gerufen hatte. Den Beamten übergab der Täter einen in Tennessee ausgestellten Führerschein, der sich allerdings bei einer Datenbanksuche als möglicherweise gefälscht herausstellte. Als die Beamten den Täter festnehmen wollten, gelang es diesem, durch eine Hintertür zu fliehen und mit einem Auto zu entkommen.

Die Aufnahmen von Überwachungskameras glich die KI mit der Fotodatenbank von Polizei und FBI ab. Ermittler schickten das Ergebnis an die örtliche Dienststelle. Die Software hielt Parks mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit für den geflohenen Dieb.

Die Beamten wurde erfolglos an mehreren Adressen vorstellig, in der Hoffnung, ihn festzunehmen. Parks selbst erfuhr erst von seiner Großmutter von dem Haftbefehl, nachdem die Beamten bei ihr angeklopft hatten. Als er wenige Tage später nach Woodbridge kam, um seinen Namen reinzuwaschen, wurde er noch vor einer Befragung festgenommen. Als man ihn in einen Befragungsraum führte, in dem keine Kameras waren, simulierte er aus Angst eine Asthmaattacke. Nach einem kurzen Spitalstermin wurde er schließlich in eine Zelle gesteckt.

Behörden konnten keine Beweise liefern

Die Ermittler boten Parks einen Deal an: Wenn er gestehe, müsse er sechs Jahre in Haft, mit der Chance, nach 85 Prozent der Haftzeit wieder freizukommen, wenn auch mit drei Jahren Bewährungszeit. Doch sollte der Fall vor Gericht gehen, würden ihm aufgrund seiner Vergangenheit 20 Jahre oder mehr drohen. Der Beschuldigte und seine Freundin investierten ihre ersparten 7500 Dollar, um sich zu wehren.

Nach mehreren Gerichtsterminen begann die Richterin Druck auf die Ermittler auszuüben, da diese abseits des Outputs der Gesichtserkennungssoftware keinerlei Beweise gegen Parks vorlegten. Ein paar Monate nach der letzten Anhörung zogen die Behörden ihre Klage in allen Punkten zurück.

Sein Anwalt wirft den Verantwortlichen nun vor, seinen Mandanten trotz mangelhafter Beweislage ein Jahr lang verfolgt zu haben. Weder gab es übereinstimmende DNA-Test, noch passende Fingerabdrücke oder Blutproben. Zudem sei damals schon bekannt gewesen, dass die Gesichtserkennungssoftware fehlerhaft sei. Er sieht zudem eine rassistische Motivation hinter der Festnahme und dem weiteren Prozedere.

Immer wieder Fehlerkennungen

Parks ist nicht der erste Fall von Fehlidentifikation seitens einer Gesichtserkennungssoftware. DER STANDARD berichtete etwa auch über den Fall von Robert Williams, der vor seiner Frau und seinen kleinen Töchtern festgenommen wurde, weil er mithilfe von Gesichtserkennung zum Täter eines Ladendiebstahls erklärt wurde, ohne mit dem Vorfall etwas zu tun haben. Im Nachhinein musste eine Bürgerrechtsorganisation um die Löschung der Daten kämpfen, die infolge der ungerechtfertigen Inhaftierung aufgenommen wurden.

Das Problem mit Fehlerkennungen trifft in hohem Maße Menschen mit dunkler Hautfarbe. Das beruht laut Experten einerseits auf technischen Gründen, da die Erkennung von Gesichtsmerkmalen bei helleren Hauttönen leichter ist, andererseits aber auch auf dem Datenmaterial, mit denen solche Systeme trainiert werden. Die Fotodatenbanken enthalten oft großteils Gesichter von weißen bzw. hellhäutigen Personen, was in einer besseren Erkennungsgenauigkeit resultiert.

In Österreich hat die Polizei im August ihr Gesichtserkennungssystem in den Vollbetrieb übernommen. Eingesetzt wurde es schon zuvor, etwa infolge eines Angriffs von türkischen Nationalisten auf eine feministische Demonstration in Wien-Favoriten. (red, 29.12.2020)