Philharmoniker-Vorstand Daniel Froschauer und Dirigent Riccardo Muti am Dienstag bei der digitalen Pressekonferenz.

Foto: APA / DIETER NAGL / WIENER PHILHARMONIKER

Ist diesmal zwar vieles anders, ist die Laune jedoch gar nicht so schlecht: Dirigent Riccardo Muti bei philharmonischen Proben im Goldenen Saal des Wiener Musikvereins.

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Wer dabei war, hat es nicht vergessen: 2017 wurde die obligate Pressekonferenz zum Neujahrskonzert zu einem Stück kabarettistischen Spontantheaters. Der an sich auf Würdehaltung bedachte Maestro Riccardo Muti erzählte nicht nur Historisches und lobte das Orchester. Er trällerte plötzlich ausgiebig Rossinis Wilhelm Tell-Ouvertüre und gleich auch ein paar Töne Verdi, um seine Musikthesen zu würzen. Ausgelassen war die Atmosphäre im Vorfeld des fünften Neujahrskonzerts, das Muti zu leiten gedachte.

Diesmal, vor seinem sechsten, sitzt der Neapolitaner auf der Bühne des leeren Goldenen Saals und wirkt ernst, während Philharmoniker-Vorstand Daniel Froschauer von den täglichen Covidtests erzählt. Diese würden es ermöglichen, ohne Maske am Podium zu sitzen – also ihm, ORF-Intendant Alexander Wrabetz, dem neuen Musikvereinschef Stephan Pauly und Muti, dessen Miene sich schließlich aufhellt. Es sei zwar seltsam, im leeren Musikverein zu arbeiten, und nicht weniger gespenstisch wäre auch der Alltag: "Selbst im Hotel ist ja niemand!", staunt Muti. "Es fühlt sich an wie in einem Horrorfilm, in dem man eine Stadt sieht, die menschenleer ist."

Kultur nicht abschaffen

Als klar wurde, dass die Covidkrise nicht einfach so verschwinden würde, habe es zweifellos Diskussionen gegeben, "ob das Neujahrskonzert stattfinden soll oder nicht". Schließlich wäre es aber um ein Zeichen der Hoffnung gegangen, sagt Muti und legt noch "La speranza!" nach. Und überhaupt: "Wir können Musik und Kultur nicht abschaffen." Es wäre auch der Musikverein ohne Musik am ersten Tag des neuen Jahres "wie ein Grab".

Die Werke der Strauß-Dynastie transportieren natürlich nicht nur Freude. Da sind auch Nostalgie und Traurigkeit immer dabei. Das ergibt einen ambivalenten Gefühlsmix, der das Repertoire, im Gegensatz zur Allgemeinmeinung, "zum Allerschwersten überhaupt macht."

"Tradition birgt Schlamperei in sich"

Wenn der Dirigent "seine Ideen mit der Tradition mischt, die das Orchester in sich hat", dürfe er sich nicht verkrampfen und sich innerlich auch nicht zurücknehmen. "Dem Orchester nur zu folgen, ist zu wenig. Dann braucht es keinen Dirigenten! Tradition ist aber ebenfalls gefährlich. Wie Mahler sagte, birgt sie Schlamperei in sich." Dagegen könne der Dirigent anarbeiten. Das sei seine Chance.

Damals, 1993, vor seinem ersten Konzert "konnte ich allerdings nächtelang nicht schlafen. Die Leute denken, das Neujahrskonzert sei wie ein Gartenspaziergang, es besteht aber auch aus technisch schwerer Musik. Die Philharmoniker hatten mich jedenfalls nach unseren Aufnahmen von Schubert-Symphonien gefragt, ob ich dieses Konzert leiten würde. Schubert war auch der Türöffner zu Strauß." Natürlich aber habe ihm "das Orchester geholfen", dankt Muti, und Vorstand Froschauer gibt das Kompliment zurück: "Der Maestro holt etwas mehr aus uns heraus!"

Kein Radetzky-Klatschen

Hoffentlich auch am Freitag: Dirigent und Orchester werden am 1. Jänner zum ersten Mal im leeren Saal spielen. "Die ,Polka schnell‘ ist wie ein rasanter Zug, der in einem Bahnhof einfährt. Da erwartet man natürlich eine Antwort des Publikums. Die wird leider nicht kommen, aber wir sind immerhin mit Millionen verbunden", sagt Muti und findet es dann auch nicht sonderlich tragisch, dass der Radetzky-Marsch ohne Applaus auskommen wird müssen. "Nun, ohne Applaus ist er komponiert worden ..."

Ganz ohne Klatschkomplimente wird der Walzervormittag nicht vorbeiziehen. Über eine Website konnten sich Interessierte registrieren, um ihren Live-Applaus spenden zu können. Da 90 Länder das Konzert übertragen, und der Andrang sehr groß war, musste die Anzahl der Klatschenden auf 7000 Personen beschränkt werden.

Diese Neuheit wird am Ende des ersten Konzertteiles und nach dem Radetzkymarsch ausprobiert. Muti wird wohl auch diese Art von Fernapplaus schließlich mit Erleichterung aufnehmen "So richtig entspannt man sich erst beim Radetzky-Marsch." Schließlich sei der finale Donauwalzer "so delikat! Ein kleiner Fehler ruiniert alles. Ich möchte mit dem ersten Hornisten nicht tauschen!"

Ob dies sein letztes Konzert sein wird? Muti kann es nicht definitiv bestätigen. Der ORF wird, falls Muti zu seinem siebenten eingeladen wird, übertragen. Der ORF hat den bis 2022 laufenden Vertrag mit den Philharmonikern bis 2027 verlängert. (Ljubiša Tošić, 290.12.2020)