Dieser Blauwal vor der Küste Omans gehört zu einer erst jetzt identifizierten Population, die sich von weiter östlich lebenden Artgenossen unterscheidet.
Foto: Robert Baldwin/Environment Society of Oman

Über eine halbe Milliarde Jahre tierische Evolution – und wir haben das Glück, Zeitgenossen des größten Tiers zu sein, das jemals gelebt hat. Der eine oder andere Sauropode mag länger geworden sein als die knapp 30 Meter eines Blauwals. An dessen bis zu 200 Tonnen Masse kamen aber selbst die allergrößten unter den Dinosauriern nicht einmal annähernd heran.

Dass Blauwale auch im 21. Jahrhundert noch bestaunt werden können, ist ein Fall von Rettung in letzter Minute. Denn beinahe wäre die Spezies dem industriellen Walfang zum Opfer gefallen. Hunderttausende Blauwale wurden vom 19. Jahrhundert bis zum offiziellen Fangverbot im Jahr 1967 abgeschlachtet, eine immer noch betrüblich große Zahl auch noch danach. Durch den sehr langsamen Reproduktionszyklus der Meeresriesen haben sich die Bestände immer noch nicht wirklich von diesem Einschnitt erholt. Mit weltweit vielleicht 20.000 Blauwalen gibt es heute nur etwa ein Zehntel der Tiere, die noch Anfang des 20. Jahrhunderts die Meere durchkreuzten.

Gesungene Überraschung

Und obwohl die verbliebenen Giganten kaum zu übersehen sind und eingehendst beforscht werden, sind sie immer noch für eine Überraschung gut. So berichtete nun ein internationales Forscherteam im Fachjournal "Endangered Species Research", dass östlich von Afrika offenbar eine eigenständige Population von Blauwalen lebt, von der man bisher nichts gewusst hatte. Ihr Verbreitungsgebiet erstreckt sich demnach von der Küste Omans bis nach Madagaskar und zu den Chagos-Inseln mitten im Indischen Ozean.

Nicht, dass in diesem riesigen Gebiet noch nie ein Blauwal gesichtet worden wäre. Nur hielt man solche Tiere bislang für weit westlich lebende Vertreter der seit langem bekannten Population im nördlichen Indischen Ozean. Doch die Wale in afrikanischen und arabischen Gewässern singen anders als ihre Artgenossen im Osten, wie Salvatore Cerchio vom African Aquatic Conservation Fund feststellen konnte. Sie leben also für sich. Auch andere Populationen konnten bereits anhand ihrer charakteristischen Gesänge identifiziert werden.

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Wäre ewig schade gewesen, wenn es nicht gelungen wäre, diese majestätischen Tiere zu erhalten.
Foto: Reuters/NOAA

Cerchio kam zweimal mit den Tieren in Kontakt, als er eigentlich ganz anderen Meeressäugern nachforschte. In den Gewässern vor Madagaskar war er auf der Suche nach dem Omurawal, einem erst 2003 als eigene Spezies erkannten Bartenwal von zwölf Metern Länge. Und im Arabischen Meer untersuchte er den mittlerweile stark gefährdeten Bestand der dortigen Buckelwale. Doch in beiden Fällen zeichneten die Unterwassermikrophone inmitten des Walkonzerts auch einen zuvor noch nie dokumentierten Blauwalgesang auf – und es war in beiden Fällen derselbe. Vor der Küste Omans war dieser Gesang sogar besonders häufig zu hören.

Nachdem Cerchio seine Entdeckung der Internationalen Walfangkommission berichtet hatte, meldeten sich bei ihm zwei Forscherinnen der australischen University of New South Wales. Emmanuelle Leroy und Tracey Rogers hatten diesen speziellen Walgesang ebenfalls schon aufgenommen – nämlich beim Chagos-Archipel, der offenbar die östliche Grenze dieser Blauwalpopulation markiert. Cerchio nennt es "unglaublich", dass man bei all der intensiven Forschungsarbeit zu Blauwalen bis vor kurzem noch nichts von dieser Population gewusst hat.

Bessere Einschätzung möglich

Ein genaueres Verständnis dafür, in welche Populationen sich der weltweite Gesamtbestand an Blauwalen untergliedert, ist aber nicht allein von akademischem Interesse. Er hat auch Bedeutung für den Schutz der Giganten, da sie in den einzelnen Regionen mit unterschiedlich großen Herausforderungen etwa durch Schiffsverkehr, Meeresverschmutzung oder Unterwasserlärm konfrontiert werden. Und eine gut gedeihende Population in der einen Region ist keine Garantie für das Überleben der in der benachbarten.

Nicht zuletzt ist die Aufschlüsselung nach Populationen auch ein Gradmesser dafür, wie sehr sich der Blauwal als Art tatsächlich von der Walfang-Ära erholt. Im Nordostpazifik, vor den Küsten der USA und Kanadas, dürfte es heute schon wieder so viele Blauwale geben wie vor dem Beginn des industriellen Walfangs (was anders ausgedrückt heißt: nur ein paar tausend). Die meisten anderen Meeresregionen, inklusive ihrer mit Abstand wichtigsten Heimatgründe im Antarktischen Ozean, sind davon aber noch sehr weit entfernt. (jdo, 31. 12. 2020)