Sollen sich Politiker jetzt impfen lassen oder anderen den Vortritt geben?

Foto: Christian Fischer

Hört man derzeit Politikern – mit Ausnahme jenen der FPÖ – zum Thema Impfen zu, so scheint es vor allem ein Anliegen zu geben: Möglichst viele der in Österreich lebenden Menschen sollten sich möglichst bald eine Impfung gegen das Corona-Virus verpassen lassen.

Wird nichts kosten. Wird niemandem schaden. Wird dem ganzen Land, vielleicht gar der ganzen Menschheit helfen.

Hinten anstellen

Gut, so weit verstanden. Nicht verstehen konnte man: Wie kommt man eigentlich möglichst schnell zum vielgelobten "Pikser"? Es geht ja nicht so einfach, dass man seine Bereitschaft zum Impfen entdeckt, kundtut und umgehend die Spritze bekommt. Da heißt es erst einmal: Hinten anstellen, zuerst bekommen die Impfung jene, von denen man annimmt, dass sie den Impfschutz am dringendsten brauchen – weil sie etwa alt und pflegebedürftig sind oder weil sie alte und pflegebedürftige Menschen betreuen. Das sind nur wenige Prozent der Gesamtbevölkerung – und weil es keine Impfpflicht gibt, müssen die bevorzugt zu impfenden Personen ja auch noch zustimmen.

Und angesichts der in Österreich herrschenden, aus Verunsicherung, Halbinformation und Besserwisserei zusammengemischten Stimmung ist es keineswegs sicher, dass alle Privilegierten, denen die Impfung bevorzugt angeboten wird, auch wirklich geimpft werden wollen.

Und die Politiker, die so engagiert für diese für den Großteil der Bevölkerung noch lange nicht verfügbare Impfung werben? Lassen die sich jetzt einmal vorsorglich gegen eine Corona-Erkrankung schützen?

Politikerprivilegien oder Versuchskaninchen

Schwieriges Thema! In Hintergrundgesprächen erfährt man, warum: Gingen österreichische Politiker so forsch zum Impfen wie der israelische Premierminister Benjamin Netanjahu, dann müssten sie damit rechnen, dass man ihnen vorwirft, Politikerprivilegien in Anspruch zu nehmen, während der "kleine Mann" ein Erkrankungsrisiko zu tragen habe. Würden sie sich umgekehrt Zeit damit lassen, käme der Vorwurf, dass die Politik den "kleinen Mann" als Versuchskaninchen für Massenimpfungen nutze, während die Politik einfach zusehe.

Aus dieser Doppelmühle kommt man als Politiker nicht heraus – und was immer man tut, es wird Angriffsflächen eröffnen und das ohnehin bescheidene Wohlwollen der Bevölkerung gegenüber den Impfplänen nicht wesentlich heben.

Dabei ließe sich durchaus argumentieren, dass etwa der Bundespräsident, der im kommenden Monat 77 Jahre alt wird, altersbedingt durchaus zu einer Risikogruppe gehört. Systemrelevant sind die gewählten Politiker aller Ebenen (und nicht zu vergessen: natürlich auch jene der Opposition) in einem demokratisch verfassten Land sowieso. Sachlich spräche wenig dagegen, Politiker aller Ebenen bald zu impfen – und womöglich auch eine Reihe Prominenter aus Sport und Kunst, deren Testimonials als "Early Adopters" die Impfbereitschaft stärker beeinflussen könnten als Politikerreden. (Conrad Seidl, 29.12.2020)