Jair Bolsonaro ist Impfgegner und steht für Abholzung im Amazonas. Zuletzt aber hat er Arme als Zielgruppe entdeckt – offenbar mit Erfolg.

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Im Dezember hat Brasiliens Präsident Jair Bolsonaro die Corona-Pandemie für beendet erklärt. Gründe dafür gab es nicht. Denn das Virus hat das südamerikanische Land weiter fest im Griff, die Infektionszahlen schnellen wieder nach oben. Mindestens 190.000 Menschen sind an den Folgen einer Infektion gestorben. Verbunden war die Aussage jedenfalls mit einem Schulterschluss mit allen Impfgegnern. "Ich werde mich nicht impfen lassen – und Schluss", schimpft der 65-Jährige in den sozialen Medien.

"Wenn du zum Krokodil wirst, ist es dein Problem", sagt Bolsonaro und meint damit angebliche Nebenwirkungen. Inzwischen hat sich das Thema Impfen zu einem politischen Grabenkampf zwischen dem rechtsextremen Präsidenten und seinen politischen Gegenspielern entwickelt.

Der Umgang mit der Pandemie zeigt viel vom System Bolsonaro: täuschen, wissenschaftliche Erkenntnisse negieren und Verantwortung wegschieben. Dabei setzt der Ex-Militär auf Propaganda und Fake-News. Er inszeniert sich als Bewahrer der Arbeitsplätze, während er den Gouverneuren die Verantwortung für Lockdowns und Jobverlust zuschiebt.

Rekordhoch

Doch diese Taktik findet ihre Anhänger: Trotz aller Skandale hat die Popularität des Präsidenten in den vergangenen Wochen ein Rekordhoch erreicht. Knapp 40 Prozent Zustimmung erreicht Bolsonaro in Umfragen vom Oktober.

Der Grund für den Popularitätsschub ist simpel. In der Krise – und schon mit Blick auf den Wahlkampf 2022 – entdeckte Bolsonaro sein Herz für die arme Bevölkerung. Seit April zahlt die Regierung an bedürftige Menschen monatlich 600 Reais (rund 95 Euro), seit September sind es nur noch 300 Reais. Mehr als 65 Millionen Brasilianer – rund 40 Prozent der Erwachsenen – sind auf diese Sozialleistung angewiesen.

Bolsonaro selbst sorgte dafür, dass die Corona-Hilfe direkt mit seiner Person verbunden wird. Allerdings läuft die Hilfe zum Jahresanfang aus. Bislang sträubt sich noch Wirtschaftsminister Paulo Guedes mit Verweis auf die hohe Staatsverschuldung, neue Hilfsgelder zu bewilligen. In Brasilien, dem gefeierten Wirtschaftswunderland der 2000er-Jahre, würde dann wieder Hunger für viele Menschen traurige Realität. Experten warnen vor einer sozialen Katastrophe.

Aufgeheiztes Klima

In zwei Jahren Regierungszeit unter Bolsonaro hat sich das gesellschaftliche Klima in Brasilien deutlich gewandelt. Die Stimmung ist polarisiert und sozial aufgeheizt. Während sich der ehemalige Fallschirmspringer 2018 im Wahlkampf als Gegner der politischen Elite und als überzeugter Kämpfer gegen Korruption inszenierte, ist dieser Mythos heute längst verflogen. Gegen seinen ältesten Sohn Flávio hat die Staatsanwaltschaft vor kurzem Anklage wegen Mitgliedschaft in einer kriminellen Organisation und Geldwäsche erhoben. Sein Sohn Carlos wurde von der Bundespolizei als Kopf einer Gang identifiziert, die das Internet mit Fake-News überschüttete.

Auch die Regierung präsentiert sich heillos zerstritten. Zwei Gesundheitsminister haben mitten in der Krise das Kabinett verlassen – im Streit mit Bolsonaro. Auch Superminister Sérgio Moro schmiss im April das Handtuch. Moros Eintritt in die Regierung galt als Bolsonaros größter Coup, denn dieser hatte als Staatsanwalt Ermittlungen im größten Korruptionsskandal "Lava Jato" (Schnellwäsche) geleitet.

Umweltsünden en gros

Die illegale Abholzung des Amazonas-Regenwalds erreichte im Dezember 2020 wieder den höchsten Stand seit zwölf Jahren. Nach einer Analyse des Forschungsinstituts Klima-Observatorium (Observatório do Clima) hat in den zwei Jahren Regierungszeit Bolsonaros im Vergleich zum Durchschnitt der vergangenen zehn Jahre die Vernichtung des Regenwaldes um 70 Prozent zugenommen.

Doch auch hier bleibt Bolsonaro seiner Strategie treu und leugnet. Vor der UN-Vollversammlung beklagte er eine "brutale Desinformationskampagne" gegen sein Land, angeführt von internationalen Organisationen. Brasilien sei vorbildlich im Klimaschutz, verkündete er.

Aus seiner Bewunderung für die Militärdiktatur macht der einst wegen Disziplinlosigkeit ausgeschiedene Hauptmann Bolsonaro kein Hehl. So setzte er schnell sein Wahlversprechen nach mehr Waffen für "gute Bürger" um und erleichterte mit zahlreichen Dekreten den Besitz von Schusswaffen. Entgegen allen wissenschaftlichen Studien ist er überzeugt, dass so die hohe Gewalt eingedämmt wird. Auch in seine Regierung holte er so viele Militärs wie nie zuvor nach der Diktatur. Sein engster Machtzirkel besteht aus meist pensionierten Generälen.

Drill in den Schulen

Die Militarisierung, oft verbunden mit der Verherrlichung der Militärdiktatur, reicht bis ins Klassenzimmer hinein. Bolsonaro trieb das Projekt von öffentlichen zivil-militärischen Schulen voran, das es schon Jahre vorher gab. Rund 200 Schulen dieses Typs gibt es aktuell in Brasilien.

Viele Eltern, vor allem aus ärmeren Vierteln hoffen, dass ihre Kinder so vor Kriminalität geschützt werden. Dafür nehmen sie absurde Disziplinarmaßnahmen und Drill der Kinder in Kauf. Offene Haare bei Mädchen, ein Hemd, das nicht in der Hose steckt, oder Kaugummi kauen, reichen schon für entwürdigende Strafen.

Offiziell dürfen die Militärs nicht in den Lehrplan eingreifen, in der Praxis passiert dies jedoch oft. Lehrer beklagen Zensur und Rassismus. Bolsonaros versprochener Kulturwandel macht auch vor den Schulen nicht halt. (Susann Kreutzmann aus São Paulo, 01.01.2021)