Das Beste aus beiden Welten: Vizekanzler Werner Kogler (links, Grün) und Kanzler Sebastian Kurz (rechts)

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Am 1. Jänner 2020 war weißer Rauch aufgestiegen, eine Woche später, am 7. Jänner, wurde die erste türkis-grüne Bundesregierung angelobt. Es war und ist ein neues Experiment in dieser Republik. Ideologisch gesehen liegen zwischen der ÖVP unter Sebastian Kurz und den Grünen unter Werner Kogler Welten. Dieser Koalition liegt das Scheitern eigentlich in den Genen. Aber das erste Jahr ist einmal überstanden, und es kam ganz anders, als sich ÖVP oder Grüne das erwartet hätten, nämlich mit einer Pandemie, die das Land mittlerweile in den dritten Lockdown zwingt. Knackpunkte, die die Unterschiede der beiden Parteien demonstrieren, gibt es einige.

Flüchtlingspolitik

Von Anfang an war klar, dass ÖVP und Grüne hier nicht einig würden, das wurde auch offen angesprochen. Dringlich wurde das Thema mit der Situation jener Flüchtlinge, die in den Lagern auf Lesbos und anderen griechischen Inseln gestrandet sind und offenbar unter bewusst miserablen Bedingungen angehalten werden. Die Grünen machen massiv Druck, wenigstens ein paar Familien in Österreich aufzunehmen, Kurz bleibt bei seinem kategorischen Nein: Hilfe nur vor Ort.

Umgang mit Corona

Sebastian Kurz nimmt für sich in Anspruch, lieber schneller und härter reagiert zu haben, er habe sich damit bei den Grünen aber nicht durchsetzen können. Tatsächlich wird von Schreiduellen berichtet, die Gestaltung der Maßnahmen zur Eindämmung von Corona war nicht friktionsfrei. Im Streit mit der EU-Kommission – ob Corona-Hilfen oder Fixkostenzuschuss – kämpfte die ÖVP auch allein.

Wehrdienst

Zum Jahreswechsel liefern einander Türkis und Grün einen Machtkampf rund um eine überhastete Einführung der Teiltauglichkeit, mit der die ÖVP ab 2021 mehr Männer ab 18 in die Pflicht nehmen will – für den Wehrdienst wie auch den Zivildienst. Die Grünen stemmten sich vehement dagegen, ohne Erfolg.

Sicherheitspaket

Zwei Überwachungsprojekte haben ihren Weg ins Regierungsprogramm gefunden: der Bundestrojaner, mit dem Smartphones ausgespäht werden, sowie die Präventivhaft. Beides soll nur menschenrechtskonform kommen, reklamierten die Grünen. Um den Trojaner blieb es auch nach dem Terror in Wien still – wenngleich auf EU-Ebene Gespräche dazu laufen. Die Präventivhaft soll "nur" für bereits verurteilte Gefährder kommen, was sie klar entschärft.

Politischer Islam

Im Koalitionspakt hieß es noch, dass mehrere Forschungsstellen geplant seien: eine zu Antisemitismus, eine andere zu Rassismus im 21. Jahrhundert. Davon ist nun keine Rede mehr. Ganz flott ging es hingegen bei der Dokumentationsstelle Politischer Islam. Diese fiel vor allem durch ihre Synchronität mit Ermittlungen gegen angebliche Muslimbrüder auf. Nun soll auch noch ein Gesetz gegen "politischen Islam" folgen: verfassungsrechtlich heikel.

U-Ausschuss

Zu Beginn des Ibiza-U-Ausschusses schien es, als ob die Grünen der ÖVP die Mauer machten. Gemeinsam versuchten die Koalitionspartner, die Untersuchungsthemen einzuschränken – der Verfassungsgerichtshof blockierte das. Seitdem wurden die grünen Ausschussmitglieder Nina Tomaselli und David Stögmüller aber immer aufmüpfiger: Zuletzt sprachen sie sich sogar für die Ablöse von ÖVP-Urgestein Wolfgang Sobotka als Ausschussvorsitzenden aus. Dementsprechend grantig war ÖVP-Fraktionsführer Wolfgang Gerstl, der sich über eine "Vier-Parteien-Koalition" gegen Türkis beschwerte.

Vermögenssteuer

Im Koalitionsabkommen steht kein Wort dazu, den Grünen ist es aber ein Anliegen: Vermögenssteuern. Werner Kogler nahm dazu immer wieder einen Anlauf, wurde von der ÖVP aber schroff abgewiesen. Auch jetzt meinen die Grünen: Zur Bewältigung der Corona-bedingten Krise wäre die Einführung einer Vermögenssteuer auf Eigentum sinnvoll.

Plastikpfand

Auch altes Plastik hat am Koalitionsfrieden gerüttelt. Die ÖVP wollte die ab 2021 fällige EU-Plastiksteuer mit Mitteln aus dem Budget bezahlen. Den Grünen fehlte der Lenkungseffekt, sie brachten ein Plastikpfand ins Rennen. Gegen dieses wetterten Wirtschaftskammer und Handel lautstark. Eingeführt wurde es bisher nicht. (Nora Laufer, Fabian Schmid, Michael Völker, Nina Weißensteiner, 29.12.2020)