London, 24. Juni 2016: Brexit-Anhänger feiern das Abstimmungsergebnis.

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London – Die 27 EU-Staaten haben dem Start des Brexit-Handelspakts mit Großbritannien zum 1. Jänner offiziell zugestimmt. Dies bestätigte der deutsche Außenminister Heiko Maas (SPD) am Dienstag. Deutschland hat noch bis Jahresende den EU-Ratsvorsitz inne. Nun fehlen nur noch die Billigung durch das britische Parlament und die Unterschrift beider Seiten am Mittwoch. Dann ist ein harter wirtschaftlicher Bruch mit dem ehemaligen EU-Mitglied zum Jahreswechsel abgewendet.

Übergangsphase endet

"Am 1. Januar sagen wir Großbritannien 'Hello, Goodbye'", erklärte Maas. "Die Übergangsphase endet, das Vereinigte Königreich verlässt nun auch faktisch den europäischen Binnenmarkt und die Zollunion. Zugleich beginnt unsere neue, umfassende Partnerschaft." Deutschland habe auf den letzten Metern der EU-Ratspräsidentschaft noch alle Hebel in Bewegung gesetzt, damit der Partnerschaftsvertrag zum 1. Jänner 2021 vorläufig angewendet werden kann. "Mit vereinten Kräften ist es gelungen, einen chaotischen Jahreswechsel zu verhindern."

Das Abkommen wird am Mittwochvormittag (9.30 Uhr) von EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen und Ratspräsident Charles Michel unterzeichnet, wie Kommissionssprecherin Dana Spinant auf Twitter mitteilte. "Ein wichtiger Moment", schrieb sie. Großbritanniens Premierminister Boris Johnson will den Vertrag danach in London unterzeichnen. Im britischen Parlament wird Zustimmung erwartet.

Johnson sieht historische Chance

Johnson sieht den Deal als historische Chance. Zentraler Zweck sei, "etwas zu erreichen, von dem das britische Volk in seinem Herzen immer wusste, dass es getan werden kann", werde Johnson an diesem Mittwoch sagen, wie aus im Voraus veröffentlichten Auszügen der Rede hervorgeht.

Es gehe darum, mit den europäischen Nachbarn freundschaftlich zusammenzuarbeiten und Handel zu treiben, aber zugleich die souveräne Kontrolle über Gesetze und "unser nationales Schicksal" zu behalten. "Wir werden jetzt ein neues Kapitel in unserer nationalen Geschichte aufschlagen", werde Johnson demnach sagen. "Dieses Gesetz zeigt, wie Großbritannien gleichzeitig europäisch und souverän sein kann." Der Premierminister will dabei die enge Freundschaft zu Europa betonen – eine komplette Loslösung sei nie in Frage gekommen. "Was wir suchten, war kein Bruch, sondern eine Lösung – eine Lösung der alten und ärgerlichen Frage der politischen Beziehungen Großbritanniens zu Europa, die unsere Nachkriegsgeschichte belastete."

Dem Redeauszug zufolge will Johnson auch auf die schwierigen Beziehungen zur EU eingehen. "Zuerst standen wir fern, dann wurden wir ein halbherziges, manchmal hinderliches Mitglied der EU", heißt es dort. "Mit diesem Gesetz werden wir nun ein freundlicher Nachbar sein – der beste Freund und Verbündete, den die EU haben könnte -, der Hand in Hand arbeitet, wenn unsere Werte und Interessen zusammenfallen."

EU-Parlament stimmt später ab

Das knapp 1.250 Seiten starke Handels- und Partnerschaftsabkommen regelt die wirtschaftlichen Beziehungen nach der Brexit-Übergangsphase. Der wichtigste Punkt ist, Zölle zu vermeiden und einen möglichst reibungslosen Handel zu sichern. Der Vertrag umfasst aber auch den Fischfang sowie die Zusammenarbeit bei Energie, Transport, Justiz, Polizei und vielen anderen Themen.

Die vorläufige Anwendung des Vertrags ist nötig, weil für eine Ratifizierung durch das Europaparlament vor dem Jahresende die Zeit fehlt – sie soll nach Neujahr nachgeholt werden. Anvisiert wird eine Abstimmung im Februar oder März nach ausführlicher Prüfung. Die EU-Parlamentarier pochen darauf, dass dieses Verfahren eine einmalige Ausnahme bleibt.

Britische Hardliner wollen zustimmen

Im britischen Parlament wird für Mittwoch Zustimmung erwartet. Die Brexit-Hardliner der innerparteilichen European Research Group (ERG) von Johnsons konservativer Partei unterstützen das Abkommen, wie sie mitteilten. Der Vertrag "bewahrt die Souveränität Großbritanniens", betonten die Europa-Skeptiker.

Auch die Spitze der Labour-Opposition hatte Unterstützung für Johnsons Deal signalisiert. In der Oppositionspartei ist das nicht unumstritten. Einige Labour-Abgeordnete forderten in einem offenen Brief Ablehnung. Labour-Chef Keir Starmer hatte hingegen betont, dieser Handelspakt sei besser als gar keiner.

Großbritannien nun auf sich gestellt

Die Unterhändler beider Seiten hatten sich am Heiligen Abend auf das Abkommen geeinigt. Trotz der Regelungen werden die Beziehungen künftig weit weniger eng sein als bisher. So werden trotz Vertrags an den Grenzen Warenkontrollen nötig, unter anderem, weil Nachweise für die Einhaltung von Lebensmittel- und Produktstandards erbracht werden müssen.

EU-Unterhändler Michel Barnier sagte dem Sender Franceinfo am Dienstag, das Abkommen bedeute Ruhe und Stabilität für viele Bürger und Unternehmen. Der Brexit sei dennoch schmerzhaft, und vieles werde sich ändern. Neben den Warenkontrollen nannte Barnier den britischen Ausstieg aus dem Erasmus-Studentenaustausch und die künftig notwendigen Visa bei mehr als 90 Tagen Aufenthalt.

Barnier betonte, Großbritannien sei nun in der globalen Welt auf sich allein gestellt sei, die Europäische Union bleibe hingegen zusammen. "Ich glaube definitiv, dass es besser ist, mit unseren Nachbarn zusammen zu sein, in einer Union, in einem gemeinsamen Markt, als dass jeder für sich ist", sagte Barnier. (APA, 29.12.2020)