Jeder Lockdown kostet die Wirtschaft sowie Steuerzahler Milliarden Euro. Österreich befindet sich nunmehr im dritten künstlichen Tiefschlaf, weil die Infektionszahlen aus Sicht der Regierung nicht weit genug gesunken sind. Viele Unternehmer plagen Existenzängste, Kreditschützer warnen vor einer Pleitewelle. Umso wichtiger wäre es, besser zu verstehen, warum das Virus bisher nicht effektiver eingedämmt wurde.

Welche Maßnahmen im internationalen Vergleich bisher gegriffen haben und welche nicht, zeigten mehrere internationale Auswertungen dieser Tage, darunter eine vom Complexity Science Hub in Wien. Demnach war die effektivste Maßnahme, um das Virus einzudämmen, kleine Versammlungen zu unterbinden, gefolgt von Schul- und Grenzschließungen.

Widerstand regt sich: Der bereits dritte Lockdown fordert den Menschen viel ab.
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Um kleinere Gruppen von unter 50 Personen zu verhindern, haben Regierungen verschiedene Maßnahmen gesetzt, dazu gehören Homeoffice, die Schließung von Fitnessstudios, Geschäften, Restaurants und Hotels ebenso wie Ausgangssperren. In Zeiten des harten Lockdowns beschränken sich die Zusammenkünfte im Wesentlichen auf den privaten Bereich, der sich behördlicher Kontrolle entzieht. Gefragt ist daher freiwillige Kooperation.

Weniger Disziplin

Dass die Bereitschaft, mit dem offiziellen Lockdown auch den privaten anzutreten, gesunken wäre, legt anekdotische Evidenz nahe. Aussagekräftigere Indizien zeigen ebenso, dass die Bevölkerung einfach nicht mehr so mitmacht, um die Pandemie in Schach zu halten: Im zweiten harten Lockdown des trüben Novembers war die Mobilität nicht so stark zurückgegangen wie Ende März. Das zeigt die Auswertung von anonymisierten Bewegungsdaten der Österreicher vom Mobilfunkanbieter A1 und Invenium, die online veröffentlicht werden. Vergleichswert ist stets der Jänner vor den allerersten Maßnahmen.

Im ersten Lockdown schränkten die Österreicher ihre Mobilität um 30 Prozent, in den urbanen Zentren sogar um über 40 Prozent ein. Der jüngste verfügbare Wert zeigt, dass am 2. Dezember lediglich sechs Prozent der Österreicher mehr daheim blieben als am Stichtag, den 22. Jänner. Daraus lässt sich freilich nicht direkt ableiten, dass sich auch mehr Menschen mit Personen aus anderen Haushalten getroffen haben und somit die Lockdown-Maßnahmen unterwandert wurden.

Impfen als Eingriff zum individuellen Nutzen versus geteilte Verantwortung für die Gesundheit der Gemeinschaft: Wie seit bei der Corona-Impfung Kooperationsbereitschaft besteht, muss sich weisen.
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Dass die Kooperationsbereitschaft tatsächlich abgenommen hat, zeigen nicht nur Umfragen, sondern auch ein natürliches Experiment, das der Grazer Ökonom Patrick Mellacher mit seinen Studenten durchführte. Jedes Semester lässt der an der Universität Graz tätige Forscher eine Gruppe von Studierenden eine Kooperationsaufgabe auf einer Onlineplattform machen. "Ziel ist, den Studenten zu zeigen, dass ein ökonomisch rein rational handelnder Mensch in bestimmten Situationen nicht mit anderen kooperieren würde, die Realität aber sehr anders ausschaut", sagt Mellacher.

Kooperationsbereitschaft abgesackt

Im Vorjahr zeigten sich bis zu drei Viertel der Studenten bei den Aufgaben kooperativ. Das Gleiche ließ sich auch während des ersten Lockdowns beobachten und entspricht den Ergebnissen gängiger Laborexperimente, betont der Ökonom. Doch im Oktober, kurz vor dem zweiten Lockdown, war die Kooperationsbereitschaft der Studenten auf rund 40 Prozent abgesackt.

Die Ergebnisse hat Mellacher in einem Arbeitspapier publiziert. Man müsse weitere Experimente machen, um den Befund zu erhärten. Aber die These lautet: Die Bekämpfung der Krise wurde von der Regierung stets als Eigenverantwortung präsentiert. Während der Pandemie wurde somit allzu sichtbar, dass Menschen zum Teil nicht aufeinander schauen oder zumindest den Anschein erwecken, sie würden unverantwortlich handeln. Das untergräbt die eigene Bereitschaft zu kooperieren – ein Teufelskreis.

Was kann die Politik daraus lernen? Verhaltensökonomen bestätigen hier den Hausverstand: Klare, einheitliche Regeln beugen Missverständnissen vor. Gleichbehandlung fördert den Gemeinschaftssinn. (Leopold Stefan, 30.12.2020)