Foto: Heyne

[Anmerkung: Diese Rezension ist ursprünglich 2016 erschienen.]

Auf geht’s in den zweiten Teil von Ann Leckies "Imperial Radch"-Weltraumsaga. Und hier schlägt das Imperium nicht etwa zurück. Hier trinkt das Imperium Tee. Ohne Unterlass und Pinkelpause. Ich habe noch nie einen SF-Roman gelesen, in dem derartig viel Tee getrunken wurde, er ist mir von der bloßen Lektüre schon zu den Ohren rausgekommen. Und vielleicht hat der ganze Tee ja seinen Teil dazu beigetragen, dass "Die Mission" eine eher … beruhigende Wirk … Wi … Wrkng ha … chrrrrrrrr …

Willkommen in der Radch

Erinnern wir uns zunächst daran, was den ersten Teil der Trilogie, "Die Maschinen", so großartig gemacht hat. Die recht spät zur Romanautorin und dann gleich zum Shooting-Star gewordene Ann Leckie aus Ohio griff darin das altbewährte Motiv vom interstellaren Imperium auf, das sich seine kosmische Nachbarschaft nach und nach einverleibt. Dieses expandierende Reich, die Radch, erinnert stark an das Alte Rom: Neueroberte Provinzen werden binnen kurzer Zeit kulturell angeglichen, es legt sich eine alle Unterschiede nivellierende Decke über die Galaxis.

Diejenige Nivellierung, die bei Band 1 das meiste Aufsehen hervorrief, ist die zwischen den Geschlechtern. Nicht dass das Volk der Radchaai nicht zwischen Männern und Frauen unterscheiden könnte. Es sah sich bloß nicht veranlasst, dies sprachlich auszudrücken, und verwendet daher das generische Femininum: also das Pronomen "sie" und die Endung "-in" für jede(n). Das hat zwar einige Gynophobiker in der Leserschaft auf die Palme gebracht, doch ging deren Aufregung am Wesen der Sache vorbei. Und umgekehrt hat sich noch nie jemand am sehr, sehr viel häufigeren Fall gestört, wenn in einem Roman ein Alien als "er" bezeichnet wurde, selbst wenn die betreffende Spezies 29 Geschlechter hatte. Oder gar keines.

Kollektiv denken

Und das ist ohnehin nur die Spitze des Eisbergs. In Band 2 zeichnet sich noch stärker ab, dass die Radchaai generell dazu neigen, zwischen Individuum und Überkategorie wenig Unterschied zu machen. So wird etwa eine Soldatin erwähnt, der es Unbehagen bereitet, mit ihrem Personennamen angesprochen zu werden – viel lieber lässt sie sich als Teil ihrer Einheit mit "Eins Kalr Fünf" anreden.

Hauptfigur Breq macht es besonders deutlich: Sie war mal die Künstliche Intelligenz eines Truppentransporters. Deren Körper war aber nicht nur das Schiff, sondern auch die Armee aus menschlichen Hilfseinheiten, die dieses transportierte, jedes einzelne dieser "Individuen" sowie jede beliebige Teilmenge daraus. Egal, auf wie vielen Füßen sie stand, stets verstand sie sich als ein- und dieselbe Person. Und das tut sie auch jetzt noch, da sie nur mehr einen einzelnen menschlichen Körper bewohnt.

Der Pudelin Kern

Auch die Herrscherin der Radch ist ein kollektives Wesen. Seit über 3.000 Jahren hält Anaander Mianaai ihr Riesenreich zusammen, indem sie ihre Persönlichkeit über eine Vielzahl an geklonten Körpern, die durch Gehirnimplantate verbunden sind, über die halbe Galaxis streut. Allerdings ist mittlerweile ein Riss durch diesen Verbund gegangen – nun bekriegen sich zwei Anaanders.

Das würde schon in einem "normalen" Imperium zu heftigen Loyalitätskonflikten führen. Die Radchaai sind aber nicht nur in einem engen Korsett von Hierarchien, Ritualen und einer äußerst mühsamen Etikette gefangen, das in seiner geballten Förmlichkeit und dem Zwang zu unbedingtem Gehorsam Erinnerungen an unter anderem David Feintuchs "Nick Seafort"-Saga oder Walter Jon Williams' "Der Fall des Imperiums" weckt. Es zeichnet sich auch ab, dass das fehlende Differenzierungsvermögen im Denken und Sprechen es den Radchaai fast unmöglich macht, den Bruder-/Schwesterkrieg der Anaanders überhaupt geistig adäquat zu erfassen. Siehe etwa dieses Gespräch:

"Der Konflikt in Omaugh scheint beigelegt zu sein." [...] "Zu wessen Gunsten?" "Zu Anaander Mianaais natürlich. Was sonst? Wir alle befinden uns in einer unmöglichen Situation. Irgendeine Fraktion zu unterstützen wäre Verrat". "Genauso wie", stimmte die Gouverneurin zu, "keine bestimmte Fraktion zu unterstützen." Ebenso bezeichnend wird es später heißen, dass es eine übliche Strategie sei, die Balance zu wahren, indem man ignoriert, was man nicht sehen will. Ja, die Radchaai haben viele blinde Flecken – und das scheint ihnen nun auf den Kopf zu fallen.

Zur ... Handlung

Soweit Theorie und Hintergrund. In "Die Mission" wird nun Breq damit beauftragt, sich als Kapitänin einer kleinen Flotte ins Athoek-System aufzumachen, wo sich ein neuer Konfliktherd im reichsweiten Bürgerkrieg herauszubilden droht (und Tee angebaut wird). Begleitet wird sie von zwei Leutnantinnen: dem schon aus dem ersten Band bekannten Seivarden (ein Mann, wie wir inzwischen wissen, während wir bei allen anderen Figuren nur rätseln können) und der neu hinzugekommenen Tisarwat, die nicht ganz das ist, als das sie sich ausgibt. Was allerdings auch für Breq selbst gilt – schließlich soll niemand wissen, dass sie kein Mensch im engeren Sinne ist.

Und das war's dann im Grunde auch schon. Bis nach drei Vierteln des Romans eine Bombe hochgeht, passiert im Grunde ÜBERHAUPT NICHTS, außer dass sich Breq in die Verhältnisse vor Ort einfindet. Soll heißen, dass sie ein Geflecht aus ein bisschen Nepotismus, ein bisschen sozialen Missständen, ein bisschen Diskriminierung ethnischer Minderheiten und ein bisschen persönlichem Fehlverhalten aufdröselt. Was sie bevorzugt bei Tee und Gebäck erledigt. Und ich muss ehrlich gestehen, dass mir über all den Tischgesprächen von Flottenkapitänin Breq mit Distriktsmagistratin X, Gartenverwalterin Y und Bürgerin A bis Z allmählich die Augen glasig geworden sind.

Some action, please

Merke: Selbst ein so faszinierender Hintergrund, wie ihn Leckie für ihre Reihe geschaffen hat, fährt auf Dauer nicht alleine die Miete ein – und mit "Die Mission" ist er restlos ausgereizt. Wer jemals ein Beispiel für das "Middle Book Syndrome" gesucht hat: hier ist es. (Zur Erklärung, falls jemand den Ausdruck noch nie gehört hat: Unter diesem Effekt leiden viele Mittelteile von Trilogien. Sie haben nicht mehr den Neuigkeitswert des ersten Bands, müssen die Handlung irgendwie fortführen ... aber nicht zu weit, weil der spektakuläre Höhepunkt ja dem dritten Band vorbehalten bleiben muss.)

Schon möglich, dass hier gut versteckt zwischen den Teebeuteln die Samen einiger Entwicklungen liegen, die noch wichtig werden. Möglich aber auch, dass man am Ende der Trilogie konstatieren wird, dass man "Die Mission" einfach überspringen hätte können. Band 3 jedenfalls, "Ancillary Mercy", soll nach allem, was man so hört, wieder um einiges spannender sein. Abwarten und Kaffee trinken.

[Schlussanmerkung: Der Beweis konnte nicht angetreten werden, zu einer Rezension von Teil 3 ist es nie gekommen – dafür war die einschläfernde Wirkung von "Die Mission" einfach zu nachhaltig.]