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1.300 Menschen wurden durch die Schließung des Lagers Lipa mitten im Winter obdachlos.

Foto: Reuters/Dado Ruvic

Wien/Bihać – Die Evakuierung hunderter Menschen aus dem bereits geschlossenen Flüchtlingscamp Lipa in Bosnien-Herzegowina ist abgebrochen worden. Die rund 700 verbliebenen Personen hätten am Dienstag mit Bussen in eine ehemalige Kaserne in Bradina südwestlich von Sarajevo gebracht werden sollen. Laut Medienberichten vom Mittwoch wurde der Transfer jedoch auf politischer Ebene blockiert.

Wie das Internetportal "N1" berichtete, blockierten Einwohner von Bradina die Kaserne. Auch lokale Politiker hätten sich gegen die Entscheidung, die Migranten in der Einrichtung der Armee unterzubringen, gestellt. Das entspreche nicht der üblichen Vorgehensweise und sei in keiner Weise mit den lokalen Behörden abgesprochen worden, wurde aus einem Statement der Regierung des Kantons Herzegowina-Neretva, in dem Bradina liegt, zitiert.

Rotes Kreuz kritisiert Umgang mit Geflüchteten

Man erwarte eine Lösung im Lauf des Tages, berichtete die serbische Agentur Tanjug unter Berufung auf das Innenministerium. Polizei und Ministerium stünden jedenfalls für Hilfe bei der Evakuierung bereit.

Bereits vor Bekanntwerden des Abbruchs hatte das Rote Kreuz den Umgang mit Geflüchteten scharf kritisiert. Die Situation in Bosnien-Herzegowina sei "tragisch und menschenunwürdig". "Es ist ein Trauerspiel zu sehen, wie man mit den Menschen umgeht", sagte Michael Opriesnig, Generalsekretär des Österreichischen Roten Kreuzes, der APA. Dem "unwürdigen Schauspiel" müsse endlich ein Ende gesetzt werden. Ähnlich wie auf den griechischen Ägäis-Inseln habe man auch in Bosnien "zu lange weggeschaut". Die Zustände in den dortigen Lagern seien bekannt gewesen, so Opriesnig mit Verweis auf Lipa.

"Situation ist wirklich ein Wahnsinn"

Die Umsiedlung erfolgte nach Opriesnigs Ansicht freiwillig: "Die Allermeisten, die jetzt noch dort (in Lipa, Anm.) sind, haben sicherlich schon mehr als genug gehabt und sind froh, dass sie jetzt woanders hinkommen. Weil viel schlechter kann es nicht mehr werden." Die Situation sei "wirklich ein Wahnsinn. Das gehört schlicht und einfach geändert", appellierte Opriesnig an die Politik. "Man muss mehr hinsehen. Wenn man versucht, sich nur eine Minute in einen dieser Menschen hineinzuversetzen, dann würde man das Ganze ein wenig anders angehen", meinte er.

Auf die Frage, ob eine Evakuierung der Menschen aus dem nordöstlich gelegenen Kanton Una-Sana in die Hauptstadt eine langfristige Lösung sei und die Menschen wohl dort bleiben werden, antwortete der Generalsekretär des Roten Kreuzes: "Je menschenunwürdiger die Bedingungen sind, in denen sie sich befinden, desto rascher werden sie sich wieder aufmachen." Das Endziel der Flüchtenden sei aber "sicherlich nicht" Bosnien gewesen, räumte Opriesnig ein. Und bessere Bedingungen in Bosnien seien eher ein "frommer Wunsch", ergänzte er.

Europaweite Gesamtlösung

Generell harre die gesamte Flüchtlingsproblematik "seit vielen, vielen Jahren" einer Lösung, monierte Opriesnig, der gleichzeitig eine europaweite Gesamtlösung forderte. Dass der "gebetsmühlenartig" wiederholte Ruf des Roten Kreuzes und anderer Hilfsorganisationen nach Aufnahme Schutzbedürftiger in Österreich zumindest bei der Regierung im Leeren verhallt, sei "natürlich frustrierend", so der Generalsekretär. Man werde aber nicht aufhören, den Appell zu wiederholen, so lange keine entsprechende Lösung gefunden wurde. Bis dahin müssten die Menschen bestmöglich unterstützt werden, um ihnen ein "halbwegs menschenwürdiges Leben zu ermöglichen. Alles andere wäre zynisch".

Hilfsorganisationen, Politiker verschiedener Parteien, der Bundespräsident, die Kirche sowie Kulturschaffende hatten kurz vor Weihnachten den Appell an die Regierung zur Beteiligung an der Evakuierung der Menschen aus Lesbos erneuert. Während sich die Grünen für die Aufnahme Schutzbedürftiger aus den Camps auf den Ostägäis-Inseln aussprechen, ist die ÖVP strikt dagegen – mit der unter Experten äußerst umstrittenen Begründung, dass dies ein Pull-Faktor sein könne. (APA, 30.12.2020)