Klaus Maria Brandauer als Anwalt Konrad Biegler.

Foto: ORF/Moovie GmbH/Stephan Rabold

Kommissar Peter Nadler (Bjarne Mädel) und seine Kollegin Lansky (Katharina Schlothauer) suchen nach der entführten Lisa.

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Wien – Als die 12-jährige Lisa von Bode entführt wird, beginnt ein Rennen gegen die Zeit. Doch nicht nur die Jagd nach dem Täter bringt die Zuschauer des TV-Zweiteilers "Feinde" nach einer Vorlage von Bestsellerautor Ferdinand von Schirach trotz winterlichem Settings ins Schwitzen. Es ist vor allem die anschließende Gerichtsverhandlung mit Klaus Maria Brandauer als hartnäckigem Strafverteidiger, die aufwühlt. Zu sehen am 3. Jänner ab 20.15 Uhr auf ORF 2.

Zunächst wähnt man sich in einem klassischen Krimi: Behutsam baut Regisseur Nils Willbrandt, der gemeinsam mit Jan Ehlert auch das Drehbuch verfasst hat, die Stimmung auf. Luxuriöses Anwesen, sympathische Familie, ein maskierter Unbekannter – die Zutaten sind so bekannt wie gewöhnlich. Doch bald kippt das Geschehen und finden sich die Zuseher im Büro von Anwalt Konrad Biegler (Brandauer) wieder. Ist denn alles schon geklärt?

Zwei Perspektiven

In gewisser Weise ja, denn zunächst zeigt der ORF "Feinde: Der Prozess". In der ARD hingegen läuft zum selben Zeitpunkt "Feinde: Gegen die Zeit", den sich ORF-Seher direkt im Anschluss zu Gemüte führen können. Ein Film folgt der Perspektive des Strafverteidigers, für den das Recht über allem steht, der andere macht sich mit Kommissar Nadler (Bjarne Mädel) auf die Spuren des Täters und findet diesen bald im unscheinbar wirkenden Sicherheitsmann Kelz (Franz Hartwig). Sitzt dieser im "Prozess" sichtlich gezeichnet seinem Verteidiger gegenüber, wird er in "Gegen die Zeit" gerade erst in seine Zelle geführt.

Es ist eine aufwendige Doppelbödigkeit, die mit dieser Produktion vollzogen wird: Ein einzelner Fall wird in zwei Filmen aufgerollt, die etliche Überschneidungspunkte bereithalten – mal aus zeitlicher, dann inszenatorischer Perspektive. Und doch werden zwei sehr unterschiedliche Standpunkte dargestellt. Denn im Kern steht die Frage: Wie weit darf man gehen, um das Leben eines Menschen zu retten? Sind Grenzüberschreitungen in Extremfällen zu rechtfertigen? Selbst wenn das Ende da ist und sich die kammerspielartige Atmosphäre der Gerichtsverhandlung, die beide Filme in der zweiten Hälfte dominiert, entlädt, bleibt da nämlich noch viel zu grübeln.

Spannende Krimi- und Gerichtsdramakost

Abseits dieser zusätzlichen Bedeutungsebene ist "Feinde" auch enorm spannende Krimi- und Gerichtsdramakost. Mädel weiß als zusehends verzweifelter Kommissar zwar nicht unbedingt die Sympathien auf seine Seite zu ziehen, bleibt aber stets authentisch in der Motivation seines Tuns, so extrem es auch sein mag. Brandauer wiederum kann als Biegler alle Register ziehen, benötigt dabei nur wenige Gesten und Worte, um die ganze Aufmerksamkeit zu erhalten. Wie er schließlich vor Gericht den Polizisten zusehends in die Mangel nimmt, ist allerhöchste Kunst.

Ergänzt werden diese zweimal 90 Minuten schließlich um 23.45 Uhr von einem "Thema spezial", das sich mit der Materie auseinandersetzt. Dabei kommen prominente Entführungsopfer wie Natascha Kampusch zu Wort und erfährt man auch von Autor von Schirach mehr über die Hintergründe. Die Zuschauer bleiben bei diesem Gedankenspiel jedenfalls in der passiveren Rolle. Denn im Unterschied zum TV-Experiment "Gott", als es in Deutschland eine Abstimmung gegeben hat, ist dies hier nicht vorgesehen. Wann der ORF die Ausstrahlung von "Gott", die aufgrund des Terroranschlags in Wien Anfang November verschoben wurde, nachholt, steht indes noch nicht fest. (APA, 30.12.2020)