Für Platon war Glücklichsein eine äußerst komplexe Angelegenheit. Das beschwingte Hochgefühl gelinge nämlich nur, wenn "die drei Teile der menschlichen Seele, Vernunft, Wille und Begehren im Gleichgewicht sind".

Das Glück ist mehr als 2000 Jahre nach Platons philosophischen Paradigmen allerdings manchmal hohl, bröselig, ziemlich banal und kann mitunter mächtig auf den Keks gehen. Zumal mit dem aufgebrochenen Gebäck oftmals eine unerträgliche Vanilleduftwolkensüße den Raum betäubt. Es erscheint deshalb besser, den Gaumen durch Nichtessen zu schützen und schnurstracks zur Mitte vorzudringen. Denn dort wartet glücklicherweise mehr Inhalt.

Sprücheklopfen im Akkord

Weisheiten, Wahrsagungen, Wahrheiten – die Liste der Sprüche in den Keksen ist lang. Die Redensarten auf den Papierstreifen sind längst nicht mehr nur auserlesene Lebensklugheiten fernöstlicher Gelehrter mit tiefem Sinn. Ein Fund mit Konfizius’ Rat, "Wer ständig glücklich sein möchte, muss sich oft verändern", könnte zum Nachdenken anregen, während der Satz "Wenn du auf ein Zeichen gewartet hast, hier ist es" wahrscheinlich nur Fragezeichen hinterlässt.

Die Gemeinde der Sprücheklopfer steht unter Druck und muss im Akkord arbeiten. In den größten Fabriken der Welt rollen täglich bis zu fünf Millionen Kekse vom Band. Da schlachten Schreiber gnadenlos Horoskope, Zitatensammlungen und Sprichwortlexika aus und dichten selbst oftmals belanglose Zweizeiler, damit Frustrierte ihren Ärger vergessen und denken: "Morgen ist ein neuer Tag."

Danny Zeng, Verkaufsmanager der US-amerikanischen Glückskeks-Firma "Wonton Food", weiß, die Botschaft im Inneren muss einen aufregenden Moment auslösen. Leider übertrieben es die New Yorker Glücksbringer dabei. Nachdem Kinder Sprüche wie "Der Abend verspricht Romantik" oder "Reisen und Romantik gehören zusammen" in ihrem Süßgebäck fanden, musste sich Zeng für die flirrende Erotik entschuldigen. "Wir wollten Spannung schaffen, nicht verletzen."

Fünf Millionen Glückskekse rollen täglich bei "Wonton Food" vom Band – nur einmal gab es Probleme wegen semi-erotischer Glückssprüche.
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Keks mit Strategie

Beim Erforschen der Frühgeschichte des luftigen Gebäcks stießen Historiker immer wieder auf die Legende der ausgehöhlten Mondkuchen. Angeblich benutzten chinesische Befreiungskämpfer die kreisrunden Pastetchen, um im Mittelalter den Mongolen tapfer zu widerstehen. Sie schrieben sich strategische Botschaften in den Küchlein aus Lotospaste und Eigelb. Für die Mongolen soll Lotospaste ein Graus gewesen sein, weswegen sie das Backwerk nicht anrührten.

Weniger verwegen, aber ungleich romantischer ist die Geschichte vom armen Prinzen, der im China des 13. Jahrhunderts die Tochter des Herrschers liebte, die aber schon einem anderen versprochen war. Die beiden unglücklich Verliebten schickten sich in Gebäck versteckte Nachrichten und planten so ihre gemeinsame Flucht.

Waren es in den chinesischen Legenden noch Törtchen, ist in der japanischen Literatur schon von Keksen die Rede. In Büchern aus der Mitte des 19. Jahrhunderts erzählen Autoren von einem "tsujiura senbei", einem Glückskeks, in einem 1878 erschienenen Werk zeigt eine Illustration einen Lehrling beim Backen. Und wenn man genug guten Willen hat, sind die Backwaren als Urtypen der heutigen Glückskekse zu erkennen.

China. Japan. Wer hat das essbare Glücksversteck denn nun erfunden?

Die Quadratur des Keks

Die Antwort lautet: Eine klare Antwort darauf gibt es nicht. Drei Männer wollen die Ersten gewesen sein. Jeweils in Kalifornien. Der Japaner Makoto Hagiwara wanderte in die USA nach San Francisco aus und eröffnete einen Teegarten im Golden Gate Park. In den ersten Jahren des 20. Jahrhunderts verteilte er an seine Gäste Glückskekse zum Tee, damals "fortune tea cookies" genannt. Geliefert von einer japanischen Bäckerei.

Auch der chinesische Unternehmer David Jung meldete seinen Anspruch an. Jung, eigentlich Inhaber einer Nudelfabrik in Los Angeles, begann nach eigenem Bekunden 1918 mit der Keksproduktion. Schließlich will es auch der Japaner Seiichi Kito gewesen sein. Im Stadtteil "Little Tokyo" von Los Angeles.

Seine Nachfahren berufen sich auf einen Magazinartikel aus dem Jahre 1927, der einen japanischen Amerikaner aus Los Angeles als den Erfinder der Glückskekse beschreibt.

Bis heute gilt das Gebäck allerdings als ein chinesisches, weil es weltweit vor allem in Chinarestaurants überreicht wird. In China selbst ist der Bröselkeks erst seit ein paar Jahren bekannt und alles andere als ein Erfolg.

Teig kneten, ausrollen, nicht zu feucht, knicken, falten, Zettel einlegen, umbiegen, zusammenpressen. Alles machen jetzt riesige Maschinen. Das Spruchpapierchen saugt ein Roboterarm an und legt es ein.

Deutschland ist so etwas wie die Zentrale der europäischen Glücksproduktion. Im badischen Gondelsheim, einem Dorf in der Nähe von Karlsruhe, gibt es bei "sweet & lucky" kurz vor dem heiligen Fest und Silvester eine wahre Glückssträhne. Ähnlich wie bei "Bavarian Lucky Keks" in der Nähe von Bad Abbach.

Längst sind nicht nur asiatische Restaurants in Corona-freien Zeiten Abnehmer. Immer mehr Firmen, Banken, Versicherungen, sogar Parteien lassen sich Kekse mit speziell für sie getexteten Sprüchen liefern und sehen diese als wunderbare Werbegeschenke und spannende Animationen für ihre Kunden. Lottogesellschaften und Kioskbesitzer verteilen Glückskekse mit Zahlenkombinationen und hoffen so, zusätzliche Spieler zu gewinnen. Und selbst die heilige Kirche lässt es sich nicht nehmen, Gebäck vorrangig mit Bibelsprüchen an ihre Gemeindemitglieder zu verteilen.

Individualisiertes Glück

Im Internet kennt die weltweite Glückskeks-Welt keine Grenzen. Mehrere Unternehmen bieten einen Backservice an. Mit den eigenen, selbst kreierten Lebensregeln im Keks. Bei wunschkeks.de können die User 300 Zeichen eingeben und ihre Lieblingsschriftart wählen. Nicht viel anders bietet keksgabel.de seinen Service an. Die handgebackenen Plätzchen legen die Macher in eine mit Filz ausgekleidete Box.

Wem das alles viel zu altbacken ist, der bäckt sich sein Keks virtuell mit einer App auf seinem Smartphone. Da gibt es wenigstens keine Krümel. (Caroline Wesner, Oliver Zelt, 31.12.2020)