Körperkontakt: Umarmen und Wärme spüren

Bis Jahresmitte 2021 werden wir sicherlich noch durchhalten müssen. Doch dann wird es so weit sein: Endlich, endlich werden wir andere wieder umarmen dürfen. Es sind die vielen kleinen Berührungen, die körperliche Nähe und die Wärme der anderen, die mir bei Begegnungen am allermeisten fehlen. Ich will wieder Hände schütteln und die, die ich besonders gerne habe, zur Begrüßung küssen, denn das macht mein Leben – und zwar echt jetzt – lebenswert. Vor Corona war den meisten nicht bewusst, dass wir, biologisch betrachtet, zur Spezies der Säugetiere zählen und unser Tastsinn daher eine zentrale und wichtige Hirnleistung ist. Die meisten Menschen brauchen Berührungen. Ohne sie gehen kleine Kinder zugrunde, büßen Erwachsene ihre Leistungsfähigkeit ein – und ältere Menschen verlieren ohne soziale Interaktion ihre kognitive Gedächtnisleistung. Weil der Tastsinn und die sozialen Beziehungen integrative Bestandteile unseres Daseins darstellen, sind wir uns ihrer Wichtigkeit oft einfach nicht bewusst – außer beim Sex. Auch der sollte bald wieder unbeschwert möglich sein, weil die Menschheit sonst, langfristig gesehen, ausstirbt. (pok)

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Menschen brauchen Berührung, vielen von uns fehlen Umarmungen und körperliche Nähe.
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Freunde einladen: Den großen Esstisch füllen

Mein Tiefkühler ist riesig. Meistens halbleer aufgrund des großen Umschlags. Aber jetzt seit Monaten immer wieder knallvoll: in Butter eingearbeitete Steinpilze. Frischer Blattspinat. Gulyas aus Eierschwammerln. Verschieden scharfe Letschos. Alle möglichen Tortenböden. Die vier Leute in der Familie schaffen dort einfach nicht regelmäßig ausreichend Platz. Dazu brauchen wir Gäste, so viele nur irgendwie Platz finden rund um den Tisch, also ohne Babyelefanten dazwischen sind das zwölf. Mindestens einmal pro Woche, besser freitags und sonntags. Sobald das wieder geht, wird es wunderbar. Drei typische Geräuschteppiche aus dem Esszimmer werden dann wieder in die Küche dringen, während ich den nächsten Gang fertigmache: Diskutieren, Lachen und "Ich kann echt nicht mehr, höchstens kosten". Sobald das wieder geht, wird endlich der Esstisch wieder belegt, ein bisserl angepatzt und Zentrum von vielen gesprächigen Freunden sein. Abräumen in der Früh, herrlich! Dieser Tisch sieht bald nicht mehr aus wie ein viel zu groß geratenes Möbelstück. Wie ein komisch platziertes verlassenes Nest. (kbau)

Bald können hoffentlich wieder alle Plätze am Esstisch besetzt werden.
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Alltag: Drängeln, tratschen, Torte teilen

Einer Straßenbahn nachlaufen und sich bedenkenlos in einen vollen Wagon hineinpressen. Auf dem Heimweg Lust auf einen Kaffee bekommen, im Beisl dann zufällig eine alte Bekannte treffen – und mit ihr an der vollbesetzten Theke die nächsten Stunden verplaudern. Den Anruf der Mutter einer Schulfreundin der Tochter erhalten und spontan damit einverstanden sein, dass das Kind mit vier anderen ins Bad mitgenommen wird. Die unbelasteten Selbstverständlichkeiten, die Volten des Alltags sind es, die seit nunmehr bald einem Jahr so sehr abgehen. Das notwendige, aber zwänglerische Abwägen von Infektionsrisiken hat die Leichtigkeit des Seins gekillt. Es wird eine große Herausforderung sein, sie sich von neuem anzueignen. Weil der Virenterror das Risikobewusstsein vieler Mitmenschen massiv geschärft hat und die Angst vor Ansteckung deren Gefahr überdauern dürfte, denke ich aber schon jetzt über einen Meilenstein privater Pandemieüberwindung nach: Wer wird der erste nichthaushaltsmitbewohnende Mensch sein, der mit der eigenen Kuchengabel von meinem Teller ein Stück Torte kosten darf? (bri)

Unsere Redakteurin Irene Brickner möchte sich endlich wieder eine Torte teilen.
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Chorsingen: Ein paar Blasen blubbern lassen

Halleluja, es wird ein Fest. Leonhard Cohens berühmtesten Song hauchen, die Ode an die Freude schmettern oder sich mit Nina Hagen mit Wasser besaufen und ’n paar Blasen blubbern lassen. Und das nicht einsam und allein in der Badewanne, auf dem Fahrrad oder im Wald. Sondern gemeinsam im Chor. Singen kann tödlich sein, haben wir heuer gelernt. Das öffentliche Singverbot hat uns schwer erwischt. In den digitalen Raum auszuweichen war unsere Sache nicht. Schon die Aufwärmübungen mit Grimassenschneiden, Verrenkungen und Verbeugungen, schräge Töne, Grunzlaute und andere seltsame Geräusche ausstoßend, sind nur von Angesicht zu Angesicht richtig befreiend – Lachen inklusive. Ohnehin ist der virtuelle Terminkalender mit Sitzungen, Besprechungen, Socialising oder Turnübungen via Kastl belegt. Was freu ich mich, wenn unser Chor wieder zusammentreffen darf. Wir werden Glückshormone produzieren, lachen, brummen und tirilieren. Ein bisschen verzückt, ein bisschen verrückt – immer humorvoll geleitet von unserem obersten Sänger, oft richtig, manchmal falsch, halleluja. (rebu)

Gemeinsam in großen Gruppen zu singen war in den letzten Monaten pandemiebedingt strengstens verboten.
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Konzertgehen: Wieder das Hoch der Unvernunft erleben

Irgendwann wird es wieder so weit sein. Ich werde aufwachen und an mir zweifeln: Habe ich mir gestern tatsächlich ein T-Shirt der Band Fistfuckers of Satan gekauft? Habe ich mir wirklich eingeredet, es wird sich schon eine Gelegenheit finden, diesen Schriftzug auf meiner Brust auszuführen? Blutrote Lettern? Muss so gewesen sein, die Euphorie macht es möglich. Jenes Hoch der Unvernunft, das mich immer noch ereilt, wenn ich dann und wann eine Band erlebe, die um ihr Leben spielt, die einen Saal in Begeisterung versetzt. In diesem Zustand kauft man sich natürlich ein Bekenner-T-Shirt. Gut, die Fistfuckers of Satan gibt es nicht – nicht, dass ich wüsste. Aber eine andere Gruppe wird dieses Konzert geben, und ich werde wissen: Es ist überstanden, endgültig. Corona rockt nämlich nicht. Diese Streaming- und Balkonkonzerte – das ist doch Trockenschwimmerei, Sex mit fünf Kondomen. Nein, es ist nur echt, wenn es morgens noch vom Vorabend in den Ohren klingelt und man sich fragt, wie man dieses T-Shirt entsorgt, bevor es die Frau sieht. Oder das Kind wissen will, was das heißt. Wobei: alles ein Lercherl im Vergleich zu Corona. (flu)

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Viele von uns freuten sich 2020 auf Konzerte, die dann abgesagt werden mussten.
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Gewohnheiten neu: Frische Küsse auf zarte Wangen

Was hat uns Corona nicht alles weggenommen! Früher pflegten wir uns anmutig zu begrüßen. Die Dame aus dem Bekanntenkreis bot huldvoll eine Wange zur Behauchung dar. Die Tücke steckte jeweils im Detail des Rituals. Küsste man zwei- oder dreimal? Mit welcher Wange sollte man das heikle Unterfangen beginnen? Die pandemische Verurteilung zur Untätigkeit hat endlich jede Scheu von uns genommen. Versprochen, wir werden uns nie mehr wie Tölpel benehmen. Wir werden – nach erfolgter Durchimpfung – Wangenküsse von formvollendeter Eleganz anbringen. Bis ein Anflug von Röte jede noch so hartgesottene Wange zart verfärbt. Ganz generell gilt der Vorsatz: Wir möchten für zweifelhaft erachtete Gewohnheiten ohne Reue wieder aufnehmen. Dazu zählen: das Vielfliegen – packende Welterkundungen, unternommen als Sitzvieh in unwürdigen Billigjets. Meetings in natura – man sieht seine liebsten Vorgesetzten endlich wieder herausgeputzt vor sich. Mund- und Achselschweißgeruch – verbürgt uns nicht erst die Ausdünstung des Sitznachbarn die Unwiederbringlichkeit jedes Live-Erlebnisses? (poh)

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Küsschen links, Küsschen rechts: Ob diese Gewohnheit nach Ende der Pandemie wieder aufgenommen wird?
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Das Meer sehen: Nachhaltig nach Italien reisen

Nehmen wir irgendein Datum nach dem dritten Lockdown. Sagen wir: der 30. Jänner 2021. Da ist gerade Zeit, es ist ein Samstag, man könnte unkompliziert in einen Zug steigen, zum Beispiel in den, der vom Wiener Hauptbahnhof um 14.25 Uhr zuerst in Richtung Villach fährt und von dort dann um 19.29 Uhr weiter in Richtung Süden. Wenn dieser Zug dann um 22.39 Uhr nach einer Reisedauer von acht Stunden und 14 Minuten ankommt, ist es in Triest zwar schon dunkel, aber das macht nichts, das Meer wird trotzdem schon in der Luft liegen. Das Meer, das ich jetzt über zwei Jahre nicht mehr gesehen oder gerochen habe. Ich habe das jetzt schon gecheckt: Die Hotelbetten kosten zurzeit nicht viel in der ehemaligen Habsburger-Stadt. Und am Sonntag scheint hoffentlich ein bisschen die norditalienische Wintersonne, und wir könnten in Ruhe einen Espresso trinken und ein bisschen über die Piazza schlendern und einfach nur schauen, raus aufs Meer. Klar wäre die Sache mit dem Auto, es sind 479 Kilometer und knappe fünf Stunden Fahrt, viel einfacher. Aber viel weniger nachhaltig, und darum geht es jetzt vor allem auch. (mia)

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Meeresluft einzuatmen ist ein Luxus, den Corona vielen von uns dieses Jahr unmöglich machte.
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Ab in die Wüste: Nächte unter klarem Sternenhimmel

Es gibt viele Sehnsuchtsorte auf dieser Welt, die meisten sind tagsüber bei Sonnenlicht besonders reizvoll, mindestens einer von ihnen ist in der Nacht außergewöhnlich: In unmittelbarer Nähe des Cerro Paranal in der chilenischen Atacama-Wüste, wo die Europäische Südsternwarte (ESO) das Very Large Telescope (VLT) errichtete, steht die Residencia. Dort haben Astronomen und ihre Gäste ihr Quartier bezogen, arbeiten nachts, um neue Sensationen des Universums zu entdecken. Ein für kurze Zeit durchaus beneidenswerter Job: Wer nach Einbruch der Dunkelheit vor die Tür tritt, sieht nämlich einen Sternenhimmel von unendlicher Schönheit, er sieht mit freiem Auge Gestirne, die man als Mitteleuropäer nur von Bildbänden kennt. Als Beobachter fühlt man sich einerseits berauscht durch den glitzernden Sternenhimmel andererseits aber auch als das, was der Mensch im Vergleich zum Universum ist: ein kleines, unbedeutendes Würmchen. Die Reise nach Chile ist natürlich alles andere als klimaneutral – aber das Gefühl der Unendlichkeit wäre nach einem Jahr der Entbehrungen und der Sorge um die Gesundheit ein großes Ziel. (pi)

Beim Betrachten des Sternenhimmels in der chilenischen Atacama-Wüste würde das Jahr der Entbehrungen 2020 schnell in Vergessenheit geraten.
Foto: ESO/P. Horálek

Über den Atlantik: Ins Geburtsland Kanada reisen

Das Jahr 2020 hatten wohl alle anders geplant. Ich hatte, nachdem für mich persönlich schon 2019 ein sehr schwieriges Jahr war, vor allem viele Reisen geplant. Denn Reisen waren für mich aus anderen Gründen ab der zweiten Hälfte des Jahres 2019 auch überhaupt nicht möglich. Damals planten meine Cousinen in Kanada und ich eine große Familienreise. Ich wollte durch Quebec, Nova Scotia und auch Ontario, wo ich geboren wurde, fahren. Alle wollten wir wieder einmal zusammenkommen – samt Kindern. Entspannte Zeit an den Seen und am Meer verbringen. Zu lange ist es schon wieder her. Ich habe diese Pläne einfach um ein Jahr verschoben. Genau wie die abgesagte Woche in einem alten Haus in der Südtoskana im Frühling. Nach Italien fahren wir übrigens gemütlich mit dem Nachtzug. Wenn sich wie durch ein Wunder neben der Impfung auch noch eine klimafreundliche Alternative zum Fliegen auftut, für die ich keine Bank ausrauben und drei Monate Urlaub nehmen muss, werde ich auch gerne über den Atlantik schippern. Also 2021, streng dich an! Du must so einiges wettmachen. Wir erwarten ziemlich viel von dir. (cms)

Endlich wieder reisen möchte auch unsere Redakteurin Colette Schmidt: Und zwar nach Kanada und in die Toskana.
Foto: imago/All Canada Photos

Barbesuch: Bescheidener Wunsch nach frischem Bier

Einfach auf ein Bier gehen. Einfach – also auch ohne jene Umstände, die man im Sommer und Herbst 2020 schon als Selbstverständlichkeiten angenommen hat.

Einfach an die Bar gehen. Den Abstand, den ich zu anderen halten will, selbst wählen. Das Bier wählen; natürlich eines vom Fass, auf Flaschenbiere war ich lange genug angewiesen.

Schön gezapft soll es sein, freundlich serviert soll es werden. Von einer Kellnerin oder einem Kellner, die ihr Gesicht nicht hinter einer Maske verstecken müssen und mit dem Bier auch ein Lächeln mitservieren. Und ja: Ich hoffe auf eine ausgelassene Stimmung auch bei den anderen Gästen – es muss ja nicht zu laut sein.

Aber einfach einmal mit dem einen anstoßen, unbefangen und sorglos ein paar Worte mit jemand anderem wechseln, das wäre schon was.

Sehen, dass es bei alldem auch der Wirtin und dem Wirt gutgeht, sie haben es ja ziemlich schwer gehabt ohne Gäste.

Nun: Ich werde wieder da sein, wenn Corona seinen Schrecken verloren hat. Ich werde vielleicht ein Bier mehr trinken als sonst. Und ein schönes Trinkgeld geben, versprochen! (cs)

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Einfach auf ein Bier gehen – was man früher als Selbstverständlichkeit angenommen hat war 2020 kaum möglich.
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