Der Gedanke, dass eine Frau zum ganzen Glück einen Mann braucht, ist gefährlich.
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Eigentlich ist das Modell der bürgerlichen Kleinfamilie längst am absteigenden Ast. Nicht nur werden die Alleinerziehenden (in der Regel: Mütter) tendenziell mehr, auch die Patchwork- und Regenbogen-Familien, LGBTQ- oder Single-Haushalte. Gerade jetzt, wo die Pandemie die Welt in eine Krise stürzt, kann man aber wieder eine gewisse Rückbesinnung auf traditionelle, heteronormative Beziehungsmodelle und Geschlechterrollen beobachten. Man könnte auch sagen: Restauration. Klar, in unsicheren Zeiten hält man sich an Altbekanntem fest. Trotzdem muss man unweigerlich an dieses Lied der großartigen Lassie Singers denken: "Die Pärchen lüge ist überall, ihr Anblick ist nicht schön." Die bürgerliche Kleinfamilie befindet sich im Rückzugsgefecht. Aber je mehr sie infrage gestellt wird, umso vehementer beansprucht sie, die Norm zu sein – wenn nicht gleich: Natur.

Ausgefochten wird dieser Kampf vor allem am Körper der Frauen. Alleinstehende, kinderlose Frauen, die diese scheinbar gottgegebene Lebensform durch ihre pure Existenz infrage stellen. Eine Frau, die keinen Mann hat, keine Kinder, und das vielleicht (schrecklicher Gedanke!) iauch gar nicht braucht oder will – das darf es nicht geben. Dass man versucht, sie irgendwie "auf Schiene" zu kriegen, spürt wohl jede Frau über 30. Bis zu diesem Zeitpunkt war ihnen meist erzählt worden, sie sollten sich bilden, einen Beruf erlernen, Karriere machen. Über 30 entpuppt sich das als Lüge. Ob die Frau im Leben etwas auf die Reihe gekriegt hat, steht und fällt mit der Frage, ob da auch ein Mann, ein Kind mit im Bild ist. Als wäre die Frau nur etwas wert, wenn sie in Beziehung zu anderen Menschen, zu einem Mann steht. Kurzum: Wenn sie das klassische Frauenbild erfüllt, Geliebte, Mutter. Der Gedanke drängt sich auf: Ist die biologische Uhr gar keine biologische, kommt sie vielleicht gar nicht von innen – sondern von außen?

Single-Frauen werden also zu einem Problem – einem Problem, das behoben werden muss. Schon klar, es gibt auch alleinstehende Männer, und auch Männer haben es oft schwer. Aber wir leben nun einmal in einem System, und das ist ein patriarchalisches. In diesem System haben alleinstehende Männer einfach einen besseren Ruf. Haben halt die Richtige noch nicht gefunden, sind vielleicht ein einsamer Wolf oder sonst irgendwas, das eigentlich rasend attraktiv ist. Erinnert sich noch jemand an Buster Keaton, der Mann mit den 1000 Bräuten, in dem Keaton von einer wild gewordenen Horde von Bräuten verfolgt wird? Alleinstehende Frauen in Filmen buchen Männer, um auf Hochzeiten nicht blöd dazustehen, und versinken ansonsten in Alkohol und Depressionen.

Single-Shaming

Vor einer Weile erzählte ein Zeit-Journalist davon, wie er als getrennter Vater sich auf die Online-Partnersuche machte und sich sogleich verzweifelte Frauen über 30 auf der Suche nach einem familientauglichen Mann auf ihn stürzten. "Die Unverbindlichkeit, die viele Frauen beklagen, sie ist letztlich eine Frage von Biologie und Macht. Und die Männer Ende dreißig spielen ihren Vorteil gnadenlos aus", schreibt er.

Der alleinstehenden Frau haftet etwas latent Verzweifeltes an. Das Bild der Übriggebliebenen (als wäre sie kein Mensch, sondern ein billiger Fetzen auf der Reste-Rampe) ist stark, es hat sich in die Köpfe eingebrannt. Es bringt sie in die schwächere Position. Mit dem, was auf Neudeutsch Single-Shaming genannt wird, kann man Frauen zum Schweigen bringen, sie auf ihren Platz verweisen. Manchmal erledigen die Frauen das sogar selbst. Auch zu diesem Text wird ganz sicher jemandem der sinnvolle Kommentar einfallen, dass das doch nur von einer geschrieben sein kann, die keinen Mann hat. Als täte das irgendetwas zur Sache. Nur um das klarzustellen: Es geht hier nicht darum, Beziehungen zu verteufeln. Aber der Beziehungsstatus sagt nichts über einen Menschen aus, egal, welchen Geschlechts. Es gibt glückliche und unglückliche Beziehungen, es gibt auch Gewaltbeziehungen. Es gibt Frauen, die in einer Beziehung nur bleiben aus Angst, sonst niemanden mehr zu finden – und dann, siehe oben. So entsteht ein Machtgefälle, so wird es immer wieder reproduziert. Dabei könnte es doch auch anders sein – und vielleicht sogar einfacher, freier.

2018 erschien in Schweden ein kleiner Essay: Malin Lindroth schreibt in "Nuckan" (die deutsche Übersetzung "Ungebunden. Das Leben als alte Jungfer" ist im Oktober 2020 im Piper-Verlag erschienen) über ihr Leben als alleinstehende Frau. Sie will das abwertende "Jungfer" mit neuer Bedeutung aufladen und erinnert daran, dass alleinstehende Frauen in Schweden einmal wesentlich freier, selbstbestimmter leben konnten als ihre verheirateten Geschlechtsgenossinnen. Bis 1863 waren alle Frauen in Schweden "unmündig" – es sei denn, sie waren unverheiratet. Sobald sie heirateten, war es wieder ein Mann, der über ihre Angelegenheiten bestimmte. Diesmal halt nicht mehr der Vater, sondern der Ehemann.

Heute hat man den Eindruck, dass es – während zugleich weltweit neokonservative und rechte Strömungen am Vormarsch sind – zu einem gar nicht so kleinen Backlash gekommen ist. Fragt man auf Partys junge Frauen, was sie denn "so machen" würden, erhält man als Antwort, dass "wir" jetzt in die Stadt XY zögen, weil der Ehegatte dort einen ganz tollen Job bekommen hat. Dem Theologen Wilhelm Löhe aus dem 19. Jahrhundert, den Elisabeth Beck-Gernsheim in Das ganz normale Chaos der Liebe zitiert, hätte das sicher gefallen. Er schrieb: "Der Mann ist vor dem Weibe und zur Selbstständigkeit geschaffen; das Weib ist ihm beigegeben um seinetwegen."

In Ruhe allein leben

Falls das bis hierher noch nicht ausreichend klar geworden ist: Bei der Frage, wieso Frauen nicht einfach in Ruhe allein leben dürfen, geht es nicht um eine Privatangelegenheit. Es ist eine politische Frage mit weitreichenden Folgen für die Gleichberechtigung. Es geht um Hierarchien, um ein Machtgefälle, das ein großer Teil der Bevölkerung gerne genau so erhalten möchte. Im letzten Jahr erschien in Deutschland ein höchst lesenswertes Buch zum Thema. "Weiblich, ledig, glücklich – sucht nicht" (Rowohlt, 2019) ist eine kluge Studie, die analysiert, warum wir über Liebe, Beziehung und alleinstehende Frauen heute so denken, wie wir denken. Die Autorin Gunda Windmüller trägt Theorien und Erkenntnisse aus Kultur- und Sozialgeschichte zusammen und zeigt: Der Glaube, dass Menschen "von Natur aus" in Paarbeziehungen leben und besonders und vor allem Frauen allein nicht komplett sind – alles das sind Konstrukte. Die "mit Romantik geklebte Ehe": ein Nebenprodukt der Indus triegesellschaft, die auf diese Form der Arbeitsteilung angewiesen war. Romantische Liebe: ein relativ neues Konzept.

Geht’s noch?

Hinter dem Gedanken, dass es die natürliche Bestimmung von Frauen ist, Ehefrau und Mutter zu sein, versteckt sich nicht zuletzt der Wunsch, dass sie sich unterordnen möge: nicht so viel Raum beanspruchen, nicht den gleichen Teil einfordern vom öffentlichen Leben, von Macht, Einfluss, Mitbestimmung.

Malin Lindroth, "Ungebunden. Das Leben als alte Jungfer". € 12,– / 112 Seiten.
Piper-Verlag, 2020

Nicht ohne Grund sind es heute vor allem rechtsextreme Kreise, in denen Hass auf emanzipierte Frauen geschürt wird, weil sie nicht mehr ihrer Aufgabe nachkommen, Kinder aufzuziehen (weiße Kinder wohlgemerkt, um den Fortbestand der "Rasse" zu sichern) und sich ansonsten stillhalten. Aber auch konservative Kreise haben durchaus Interesse daran, traditionelle Frauen- und Familienrollen zu propagieren, wie die Philosophin Lisz Hirn in Geht’s noch! Warum die konservative Wende für Frauen gefährlich ist (Molden, 2019) anschaulich und mit reichlich Datenmaterial gezeigt hat.

Gefährlich ist auch der Gedanke, dass eine Frau zum ganzen Glück einen Mann braucht. Zu Ende gedacht, bedeutet er: Allein ist die Frau nichts wert. Das sollten sich nicht zuletzt jene Frauen vor Augen halten, für die eine Hochzeit in Weiß das Lebensziel ist, die vielleicht aber auch leiden unter den gesellschaftlichen Erwartungen und sich fragen, ob mit ihnen etwas nicht stimmt.

Die Antwort ist: Nein. Sich gegen diese Erwartungen zu behaupten ist nicht nur eine persönliche Befreiung, sondern ein Weg zu mehr, zu echter Gleichberechtigung. Es ist nichts weniger als ein politischer Akt. (Andrea Heinz, ALBUM, 01.01.2021)