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Jesus allein zu Hause: eine sehr zeitgerechte Interpretation des letzten Abendmahls. Als Corona kam, saßen viele von uns plötzlich mit Laptop allein daheim im Homeoffice und waren technisch überfordert ...

Foto: Picturedesk

In diesem bemerkenswerten Jahr 2020 sind viele bemerkenswerte Dinge passiert. (Wir lassen an dieser Stelle die traurigen Auswirkungen der Pandemie beiseite). Ich sage nur Digitalisierungsschub. Um mich noch weiter zu optimieren, war ich neulich Gast in einem Workshop. Ich dachte, es ging darum, sich als Marke online besser zu "verkaufen". Ging es aber nicht. Unter dem Titel "I am remarkable" ging es um "female empowerment". Auch nicht schlecht. Frauen zu ermächtigen ist sogar sehr sinnvoll. Eine simple, aber nachhaltige Übung bestand darin, zehn Minuten lang (das ist lange) aufzuschreiben, was man an sich selbst bemerkenswert findet. Nicht lachen! Das ist schwieriger, als es klingt. Der eine Satz, den ich vorgelesen habe, lautete: "Ich bin bemerkenswert, weil ich nach 25 Jahren Berufsalltag noch immer gute Ideen habe."

Aber noch viel bemerkenswerter war ich, weil ich diesen Workshop überhaupt absolvieren konnte: online. Weil ich 2020 lernte, Videokonferenzen zu machen! Sie erinnern sich nicht, aber ich bin die, die zu Jahresende 2018 an dieser Stelle ein Plädoyer für das Auslaufmodell Stehkalender geschrieben hat. (Übrigens danke an dieser Stelle an das Wiener Rote Kreuz, das mich immer noch damit versorgt.) Ich bin so was von analog, immer noch: Ich schreibe mit der Hand auf Zettel, lese Bücher und treffe im normalen Leben Menschen im Kaffeehaus. Mein Mobiltelefon ist alt, hat einen schlechten Akku, und meine Familie verwünscht mich, weil ich auf Anrufe und SMS, sagen wir, nicht immer zeitnah reagiere. Dann kam Corona, und ich saß plötzlich mit einem kleinen (alten!) Laptop allein in meinem Homeoffice und sah mich unsere neue Redaktionssoftware (Teams) downloaden. Nichts funktionierte. Ich weiß nicht, wie oft ich im ersten Lockdown den Namen meines Mannes rief, der dann entnervt zu mir kam. Sein Blick sagte immer: Ich bin nicht dein IT-Administrator! Und mein Blick sagte: Du hast recht! Aber bitte, bitte, nur noch dieses eine Mal!

Meine erste Videokonferenz

Meine ersten Videokonferenzen fanden so statt: Teams ließ sich nur am Mobiltelefon (ja, das mit dem schlechten Akku!) öffnen. Es lehnte wackelig auf einem Stapel Bücher (bis ich die Handyhülle mit dem Bildschirmständer hatte) in der hinteren Ecke meines Schreibtisches, damit das Kabel in der Steckdose stecken konnte, weil sonst die Videokonferenz schnell zu Ende gewesen wäre. Ich war von der Seite zu sehen, die Beleuchtung war eine Katastrophe, die Tonübertragung auch, ich hatte weder Kopfhörer noch Headset, nur ein langsames Internet. Der Mann, der nicht mein IT-Administrator war, hat auch das alles erfolgreich behoben und hinbekommen.

Es war ein Lernprozess. Aber auch ein Beobachtungsprozess. Wer macht wie Videokonferenz? Ich sage nur: die weiße Wand. Um die beneide ich alle, die vor einer sitzen. Sie ist professionell und wohltuend beruhigend, aber die gibt es bei mir zu Hause nicht. Menschen ohne Stückchen weißer Wand, bleibt als Konferenz-Hintergrund meist nur a) das Bücherregal (Message: Ich bin belesen!), b) das Kunstwerk an der Wand (Message: Ich habe Geschmack!) oder c) ein anderes Statussymbol, wie etwa die Plattensammlung (Message: Ich mag Musik, und ich bin auch sehr cool!), das Modell-Segelschiff (Message: Ich habe ein Hobby!) oder Gitarren an der Wand (Message: Ich mache sogar Musik und bin cool!). Manche von uns sitzen tatsächlich immer noch oder immer wieder im Großraum-Office, für das man sich pandemiebedingt anmelden muss (Message: Ich arbeite auch während Corona!). Männer wählen den Kameraausschnitt gerne von unten, Frauen eher von vorne. Welche Message das wäre? Mutmaßen Sie selbst!

Meine größten Sitzungserfolge

Viel Subversives passiert nicht. Stellen Sie sich bloß vor, jemand isst (vor eingeschalteter Kamera) oder trinkt (Alkohol?) oder raucht während so einer Videokonferenz? Undenkbar! Ich hätte Angst, dass irgendein Rauchmelder, den es gar nicht gibt, gleich losplärrt. Eine Freundin, die mit Kunststudierenden arbeitet, erzählt, dass die jungen Menschen ihre universitären Videotreffen gern von der Couch aus oder dem Bett aus absolvieren. Nicht bloß mit Ton, sondern per Video! Ich sage nur: Wow. Und noch jemand aus dem Freundeskreis in eindeutiger Führungsposition hält nur noch eisern an einer einzigen Homeoffice-Regel fest: Partnerin und Kinder müssen Kleidung tragen, damit es zu keinerlei Flitzeraktionen mehr kommt.

Ich habe weder kleine Kinder noch Katzen. Meine größten Sitzungserfolge waren meine im ersten Lockdown selbst geschnittenen Stirnfransen und die Tatsache, dass ich es im zweiten Lockdown geschafft habe, Teams am Desktop zu installieren. Jetzt weiß ich auch, wie einfach es ist, seine Sitzungshand zu heben, wenn man etwas sagen möchte. Ich muss nicht mehr mit schlechter Internetverbindung krachend meinen Namen in die Runde rufen. Heute weiß ich, dass Beleuchtung von vorne schmeichelt, frisch gewaschene (oder zumindest frisierte) Haare, Wimperntusche und ein bisschen Rouge nicht schaden. Mein dunkelblauer Cashmere-Pulli mit Rundausschnitt (gut zu blond!) liegt für die Meetings immer bereit. Der (untere) Rest bleibt mein Geheimnis. Das Headset ist unverzichtbar, ich fühl mich damit wie eine Pilotin. Und mein schnelles Internet ist der wahre Weihnachtssegen. "Mia, ist das deine alte Hand?", fragt der Chefredakteur. Meine alte Hand? Ich bin nur kurz irritiert. Ja! Also nein, ich hab heute nichts mehr beizutragen. Und klicke auf den goldrichtigen Knopf, senke meine alte digitale Hand. Ich weiß jetzt endlich, wie das alles geht!

Mein kleines Taschen-Büro

Aber Optimierungsprozesse machen die Sache auch langweilig. Fast vermisse ich die Hoppalas aus den ersten Lockdown-Tagen. Die Hintergrundgeräusche und Wohnungsführungen, wenn Ton oder Kamera versehentlich eingeschalten waren. Solcherlei konnte man vielfach auf Youtube und sogar im besten ORF-Hauptabendprogramm mitverfolgen. Lebenspartner und -partnerinnen, die unfreiwillig in Live-Videokonferenzen auftauchten, Kinder, die Meetings crashten, und ahnungslose Konferenzteilnehmende, die manchmal gar nicht wussten, was da hinter ihrem Rücken vor sich ging.

Die digitale Technik macht es möglich: die ultimative Vermischung von Karriere, Kindern, Katzen und Küche. Man kann sich das Konferenzgeschehen jetzt überall hin mitnehmen, zumindest überall dorthin, wo das pandemische Geschehen es gerade erlaubt. In den Wald zum Joggen, mit auf die Straße, um die Kids von der Schule abzuholen, oder auch in den Supermarkt zum Einkaufen, bis man merkt, dass da hinten schlechter Empfang ist.

"Die Weise trägt das ihrige mit sich", denke ich ganz unbescheiden und bin aber immer wieder ehrlich verblüfft, wenn ich meine schwarze Korbtasche packe, um damit aufs Land, zu meinen Eltern oder tatsächlich in die alten Redaktionsräumlichkeiten zu fahren. In diese Korbtasche passen mein Laptop mit Hülle, mein Headset, mein mobiles Internetkasterl und mein Klemmbrett mit all meinen Zetteln und handschriftlichen Planungen, sozusagen als letztes Zugeständnis an meine analoge Seele. In dieser schwarzen Korbtasche steckt mein ganzes Büro, mein ganzes Arbeitsleben. Mit dieser Korbtasche ließe sich theoretisch von jedem Punkt der Erde, wo immer es Internet gibt, an der Montag-Morgenkonferenz teilnehmen. Wie gesagt: theoretisch. Das ist die gute Nachricht aus 2020, die wir vielleicht in die nächsten Jahre mitnehmen können. Denn meine Stirnfransen kann ich mir praktisch überall selbst schneiden. (Mia Eidlhuber, 3.1.2021)