Das Neujahrskonzert findet heuer aufgrund der Corona-Pandemie ohne Publikum statt.

Foto: APA/ORF/ROMAN ZACH-KIESLING

Riccardo Muti ist der Dirigent.

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Wien – Im Goldenen Saal des Musikvereins fand am Freitag das traditionelle Neujahrskonzert der Wiener Philharmoniker statt. Das Klassikgroßevent musste heuer erstmals gänzlich ohne Livepublikum stattfinden. Riccardo Muti stand bereits zum sechsten Mal am Pult des Neujahrskonzerts. "Wir brauchen einfach Hoffnung, auch ohne Publikum im Saal, aber mit dem Publikum rund um die Welt senden wir diese Botschaft von Frieden, von Hoffnung", sagte der 79-Jährige bei einer Pressekonferenz.

Strauß dominiert

Programmatisch setzte man 2021 auf altvertraute Klänge. Muti dirigierte ein Programm, in dem wieder die Werke der Strauß-Dynastie dominieren.

Diese Walzerseligkeit nach einem harten Jahr 2020 wurden dabei zum 63. Mal vom ORF in alle Welt gesandt: Die ORF2-Übertragung aus Wien war wieder in rund 90 Ländern zu sehen. Darüber hinaus übertrug Ö1 das Konzert im Radio live – neben Dutzenden anderer Radiostationen weltweit.

Barenboim dirigiert 2022

Zu Mittag wurde bekanntgegeben, dass Daniel Barenboim das Neujahrskonzert 2022 dirigieren wird. Es wird nach 2009 und 2014 sein drittes Engagement beim traditionellen Highlight am Jahresbeginn sein. Er bekleidet als Generalmusikdirektor der Berliner Staatsoper Unter den Linden, als Chefdirigent der Staatskapelle Berlin sowie mit der Führung seines West-Eastern-Divan-Orchestras gleich mehrere hochrangige Vollzeitstellen.

Der am 15. November 1942 in Buenos Aires geborene Enkel russischer Einwanderer hat dabei zahlreiche Identifikationen aufgebaut. "Ich bin weder nur Jude, Argentinier oder in Deutschland lebender Musiker – ein moderner Mensch definiert sich vor allem durch die Möglichkeit, mehrere Identitäten zu haben", sagte er einst im Interview. "Wenn ich eine Bruckner-Sinfonie dirigiere, werde ich bewusst oder unbewusst zum Mitteleuropäer. Und wenn ich Tango am Klavier spiele, bin ich Argentinier." In jedem Falle besitzt Barenboim heute die argentinische, israelische, spanische und die symbolische palästinensische Staatsangehörigkeit.

Daniel Barenboim wird das Neujahrskonzert 2022 dirigieren.
Foto: AFP/Annette Riedl

Positionierung im Nahostkonflikt

Gerade im Nahostkonflikt ist Barenboim der Positionierung nie aus dem Weg gegangen. So hatte er 1999 gemeinsam mit dem in Palästina geborenen Literaturwissenschafter Edward Said das West-Eastern Divan Orchestra gegründet – bestehend aus jungen israelischen und arabischen Musikern. 2001 indes hatte Barenboim mit einer Zugabe aus Wagners "Tristan und Isolde" bei einem Konzert in Israel für Protest gesorgt. Wagner sei Antisemit gewesen, seine Musik aber nicht, begründete Barenboim damals den Tabubruch.

Lange Karriere

Er selbst war 1952 als Kind mit seinen Eltern nach Israel gezogen. Da war die Karriere des Wunderkinds bereits in vollem Gange. Nach dem Klavierstudium in Italien und Kompositionsunterricht bei Nadia Boulanger in Paris, spielte Barenboim 1954 noch seinem großen Idol, Wilhelm Furtwängler, vor. Die Einladung des Dirigenten zu den Berliner Philharmonikern durfte er aber nicht annehmen – für Barenboims Vater war neun Jahre nach Kriegsende die Zeit für den Auftritt eines Juden in Deutschland noch nicht reif. Erst 1964, zum zehnten Todestag Furtwänglers, spielte Barenboim in Berlin dessen Klavierkonzert. In den 50er und 60er-Jahren reiste er dann als Konzertpianist durch die Welt, spielte mit Otto Klemperer Beethovens Klavierkonzerte ein und stellte die Weichen für seine zweite Karriere als Dirigent.

Im Juli 1987 wurde Barenboim künstlerischer Direktor der neuen Pariser Bastille-Oper. Die Arbeit am Renommierprojekt endete aber alsbald im Eklat und der Maestro wurde seines Postens enthoben. Im selben Jahr musste Barenboim auch noch einen persönlichen Schicksalsschlag verkraften. Seine Frau, die britische Cellistin Jacqueline Du Pre, mit der er seit 1967 verheiratet war, starb nach langem Leiden an Multipler Sklerose. Später heiratete er die Pianistin Elena Bashkirowa. Barenboims Sohn David ist heute Rap-Produzent, Sohn Michael Violinist.

In der Nachfolge von Georg Solti wurde Barenboim 1991 für 15 Jahre Chefdirigent des Chicago Symphony Orchestra, ein Jahr später trat er an die Spitze der Berliner Staatsoper als Generalmusikdirektor – einen Posten, den er seither innehat. Mittlerweile ernannte ihn die Berliner Staatskapelle zum Ehrendirigenten auf Lebenszeit. Da eine Vollzeitstelle Barenboim allerdings nicht auszulasten scheint, übernahm er 2011 eine weitere renommierte Stelle und fungierte als Musikdirektor der Mailänder Scala, bis ihn Riccardo Chailly dort 2015 ablöste. So bleibt nun wieder Zeit für Wien und das Neujahrskonzert. (APA, red, 1.1.2021)