Ein Mann namens O'Connell (Michael Maertens) laboriert im Kasino nicht nur an einer schwachen Blase, sondern auch an den Tücken des Frontalunterrichts.

Foto: Marcello Ruiz Cruz

Wie lässt sich ohne körperliche Präsenz noch Theater machen? Vor dieser kniffligen Frage stehen derzeit viele Häuser, eine Lösung dafür bietet womöglich der Transhumanismus: Eine Denkrichtung, die die Grenzen des an einen defizitären Körper gefesselten Mängelwesens Mensch mittels Technologie zu überwinden sucht. In der Praxis könnte das dann so aussehen, dass man sein Gehirn – etwas laienhaft dargestellt: – in die Cloud hochlädt oder, kein Scherz, nach erfolgtem Ableben den Kopf abtrennen lässt, um in einer fernen Zukunft aus der Kryokonservierung erweckt zu werden. Auf was der Mensch, laut Selbstauskunft intelligentestes Lebewesen auf diesem Planeten, halt so kommt. Warum auch nicht?

"Die Maschine in mir (Version 1.0)", das im Kasino des Burgtheaters via Live-Stream als Silvester-Premiere zu sehen war, basiert auf der 2017 bei Hanser erschienenen Reportage des irischen Journalisten Mark O’Connell über die Welt des Transhumanismus: Unsterblich sein. Reise in die Zukunft des Menschen. Im Herbst wurde es bereits beim Dublin Theatre Festival gezeigt, es ist eine Koproduktion desselben mit dem Regieduo Dead Centre alias Ben Kidd und Bush Moukarzel, die am Akademietheater bereits Die Traumdeutung verantworteten.

Theater ohne Hindernis

In Dublin wurde damit geworben, das "Event" versuche, Theater ohne das Hindernis des Körpers neu zu denken. Bei der deutschsprachigen Erstaufführung in Wien ist man nicht ganz so offensiv, man verspricht lediglich, die Grenzen zwischen dem Körper des Schauspielers Michael Maertens und denen des Publikums zu überwinden. Die Versuchsanordnung ist allemal vielversprechend: Maertens spielt live im Kasino, das Publikum ist auf Tablet-Bildschirmen in den Sitzreihen zu sehen – zur Registrierung wird man gebeten, drei Videos von sich aufzunehmen, auf denen man zuschaut, lacht oder "schläft".

Das Ergebnis ist ernüchternd. Zwischendurch wird ins Publikum gefilmt, und man fühlt sich an eine Zoom-Konferenz erinnert: Viel Inneneinrichtung und Gesichter mit aufgerissenen Augen. Ein bisschen muss man an die Köpfe in den Lagerhallen irgendwo in der Wüste Arizonas denken.

Von denen berichtet Maertens nun. Er ist Mark O’Connell und erzählt davon, was er während seiner Recherche erfahren hat über all die Biohacker, Cyborgs und ihre Träume von der "Whole Brain Emulation". Wobei er erstmal ziemlich ausdauernd von seiner Blasenschwäche spricht, was bei einem 45-Minuten-Abend etwas bizarr wirkt. Das Problem ist zum einen, dass das Setting im Vergleich zu dem, was – nach dem Inkontinenz-Prolog – da an Hightech und futuristischen Visionen aufgefahren wird, wirkt, als hätte man in einem Science-Fiction-Film aus den 1980ern einen VHS-Vortrag in ferner Zukunft imaginiert.

Trauriges Wischen

Das Publikum kann sich zwischendurch via Chat-Nachricht einbringen – allerdings kann nur Maertens das sehen. Der wischt etwas verloren auf einem Tablet herum (das nicht einmal auf sein Wischen reagiert, sondern offenbar vorab programmiert wurde), und man kann ihm kaum verdenken, dass er bei diesem Frontalunterricht etwas steif wirkt. Er kriegt kaum eine Chance zu spielen.

Dazu kommt, dass der Abend schrecklich unpräzise ist. Worum es jetzt eigentlich gehen soll, philosophische Reflexion (was wäre da herauszuholen gewesen!), kritische Auseinandersetzung mit einer Gruppe versprengter Silicon Valley-Irrer, eine Verteidigung des Theaters (auch das wird kurz angedeutet, aber nicht weiter verfolgt) oder eine Vision für die Zukunft des Menschen und/oder Theaters – es bleibt letztlich obskur. Offenbar hat man versucht, nicht nur O’Connells 300-Seiten-Reportage, sondern noch einiges mehr auf eine Dreiviertelstunde einzudampfen. Ein ambitionierter Versuch, ein Wagnis ist das allemal, das muss man anerkennen, am Ende ist aber vor allem erreicht, dass man sich als Besucherin sehnlichst in ein klassisches Stück Schauspieler/innentheater wünscht. Am liebsten gleich unplugged. (Andrea Heinz, 2.1.2021)