Bild nicht mehr verfügbar.

Nicht Teil der EU und dennoch de jure dabei: Gibraltar wird zur EU-Außengrenze.
Foto: REUTERS/Jon Nazca

Einer der letzten Grenzzäune Europas fällt ausgerechnet dank des Brexits, wenn andere Hürden neu errichtet werden: Die Regierungen in Spanien und Großbritannien einigten sich am Silvestertag – nur wenige Stunden vor Ablauf der Frist – auf eine neue Grenzregelung zwischen dem britischen Gibraltar und Spanien.

Die 34.000 Einwohner der 6,5 Quadratkilometer großen Landzunge am südlichen Ende der Iberischen Halbinsel (das entspricht in etwa der Fläche des 18. Wiener Gemeindebezirks Währing), die seit über 300 Jahren zu Großbritannien gehört, werden künftig "maximale Bewegungsfreiheit" genießen. Personen und Waren können ohne Kontrollen die Grenze passieren bzw. über die Grenze transportiert werden, wie dies im Großteil der EU die Regel ist.

Kuriosum: Gibraltar wird damit – ohne zum vereinigten Europa zu gehören – zur EU-Außengrenze. In den nächsten sechs Monaten werden die genauen Details ausgearbeitet. Das neue Grenzregime, das Gibraltar über Spanien an den Schengenraum anschließt, wird erst einmal für vier Jahre gültig sein.

Direkte Gesprächspartner

Das Abkommen wurde nötig, da der Brexit-Vertrag zwischen Brüssel und London für Gibraltar nicht gilt. Spanien, das Anspruch auf Gibraltar erhebt, konnte im Vorfeld der Brexit-Verhandlungen durchsetzen, dass alles, was Gibraltar betrifft, direkt zwischen Madrid und London verhandelt werden muss. Unter höchstem Druck führten deshalb Madrid und London schon seit Wochen einen gesonderten Dialog über eine Grenzregelung. Wäre er gescheitert, wäre die Grenze dicht gewesen. Das britische Überseegebiet wäre zum "Drittland" geworden. Gibraltar saß nur als Teil der britischen Delegation mit am Tisch.

"Es ist der Beginn einer neuen Beziehung", zeigte sich die spanische Außenministerin Arancha González Laya äußerst zufrieden. Der britische Premier Boris Johnson hieß die Einigung auf Twitter "aus ganzem Herzen willkommen". Und der Chef der Regierung von Gibraltar, Chief Minister Fabian Picardo, hofft auf "ein gemeinsames Gebiet des Wohlstands".

Das natürliche Hinterland Gibraltars ist Südspanien. Von dort kommen ein Großteil der Güter und 15.000 Pendler, die auf dem "Affenfelsen", wie die Landzunge mit ihrer Klippe im Volksmund heißt, arbeiten. "Es war ein schwieriger Prozess", fügt Picardo hinzu. Die beiden Delegationen hätten gegen "die Flut der Geschichte" angekämpft.

Gibraltar gehört seit dem Ende des Erbfolgekriegs 1704 zum Vereinigten Königreich. 1713 wurde das Gebiet im Vertrag von Utrecht ganz offiziell abgetreten. Dieser Vertrag hält eine Rückkehr zu Spanien offen, sollte sich Großbritannien aus Gibraltar zurückziehen. Dies ist zwar eine rein hypothetische Möglichkeit, dennoch erkennt Spanien die Existenz Gibraltars als eigenes souveränes Gebilde nicht an. Der Grenzzaun, der jetzt fällt, war 1969 bis 1985 völlig geschlossen. Gibraltar war damals nur auf dem See- oder Luftweg zu erreichen.

Kampf um Mitsprache

Spanien versucht seit langem, mehr Mitspracherecht über Gibraltar zu erhalten. Das Grenzabkommen ist in diesem Sinne ein Erfolg für Madrid. Denn Spanien ist künftig der Garant dafür, dass Gibraltar zum Schengenraum gehört. Zwar werden keine spanischen Beamten an den Kontrollen am Hafen und auf dem Flughafen in Gibraltar beteiligt sein, wie dies Madrid zuerst verlangte; doch es werden die Angehörigen der europäischen Grenzagentur Frontex, die Gibraltar als neue Außengrenze der EU kontrollieren werden, Madrid Bericht erstatten.

Spanien ist damit erstmals seit der Abtretung Gibraltars im 18. Jahrhundert an der Souveränität über Gibraltar beteiligt. Dies dürfte auch dem britischen Premier bewusst sein. Dennoch twitterte er: "Das Vereinigte Königreich wird sich weiterhin voll und ganz für den Schutz der Interessen von Gibraltar und seiner britischen Souveränität einsetzen." (Reiner Wandler aus Madrid, 1.1.2021)