Noch ist die Zahl jener, die eine Corona-Impfung erhalten haben, überschaubar.

Foto: Christian Fischer

Der Herzchirurg Ernst Wolner plädiert im Gastkommentar für mehr Sachlichkeit bezüglich der Coronavirus-Impfung.

Es kann kein Zweifel bestehen, dass die österreichische Bevölkerung fast komplett das Vertrauen in die Corona-Politik sowohl der Regierung als auch der Länder verloren hat. Anders ist nicht zu erklären, warum trotz massiver Bewerbung gerade 20 Prozent an den Massentests teilgenommen haben. Auch wenn vor Weihnachten mehr Menschen Testungen in Anspruch nahmen, ist ein massiver Strategiewechsel in der Kommunikation notwendig, wenn die Corona-Impfung nicht ein Flop werden sollte.

Die Öffnung der Skilifte, wo sich an vielen Orten niemand an die Verordnungen gehalten hat, und die Diskussionen rund um das Freitesten sind ein weiterer Beleg dafür, dass die oft richtigen Maßnahmen der Regierung bei vielen Menschen nicht mehr ankommen. Wie soll man verstehen, dass für Kulturveranstaltungen der Test zwei Tage alt sein darf, für Restaurants fünf Tage. Offensichtlich hat die Kultur gegen den Wirtschaftsbund verloren.

Wie kam es dazu, folgte doch die Bevölkerung beim ersten Lockdown in gerade vorbildlicher Weise den Vorgaben der Regierenden? In diesem ersten Zeitraum sind drei schwerwiegende Fehler passiert, die dafür verantwortlich sind, dass Österreich nun besonders schlecht dasteht und wir von einem Lockdown in den nächsten taumeln. Die Aufhebung der prinzipiell inhaltlich richtigen Verordnungen während des ersten Lockdowns – Abstand halten, zu Hause bleiben, Einschränkungen im öffentlichen Raum – durch den Verfassungsgerichtshof hat das Vertrauen in die Regierung schwer erschüttert. Es wird hier immer dem Gesundheitsministerium die Schuld gegeben, doch der in Gesundheitsangelegenheiten inkompetente Verfassungsgerichtshof trägt durch eine sehr kleinliche Auslegung der Gesetze eine Mitschuld an der Verunsicherung der Bevölkerung.

Verunsichernde Aussagen

Ein weiterer Fehler war der Umstand, dass insbesondere der Kanzler und der Gesundheitsminister in dieser ersten Zeit zu erkennen glaubten, dass man mit Corona seine Umfragewerte hochschrauben kann und mehr das Marketing und weniger die Inhalte beachten soll. Wir waren nicht schlecht, aber die damals gebetsmühlenartig verbreitete Aussage, wir seien viel besser als die anderen, war falsch. Abgesehen von den Staaten Ostasiens, welche eine viel größere Erfahrung mit Pandemien haben, war auch Deutschland immer besser.

Um bei der Impfung nicht ein ähnliches Desaster zu erleben wie bei den Massentests, ist ein radikaler Strategiewechsel weg von den PR-Aktivitäten des virologischen Quartettes hin zu fundierter Wissenschaft und hin zur Information der Öffentlichkeit durch kompetente Persönlichkeiten aus der Wissenschaft notwendig. Es ist geradezu schwachsinnig, sich jetzt den Kopf über eine Impfpflicht zu zerbrechen, wo niemand weiß, wie sich die Impfung im Massentest bewähren wird und zu welchen Ergebnissen sie führen wird. Solche Aussagen vor einem validen Erkenntnisgewinn über die Impfung verunsichern nur die Bevölkerung und spielen den radikalen Impfgegnern in die Hände.

Es ist zu erwarten, dass in den ersten Monaten nach Einführung der Impfung sich hoffentlich eine sechsstellige Zahl von Menschen aus Risikogruppen impfen lassen wird. Es ist dies eines der größten Experimente im Gesundheitswesen, welches es seit der Polioimpfung in unserem Land gegeben hat. Umso wichtiger wird es sein, Strukturen zu entwickeln, um Wirksamkeit, Nebenwirkungen und Verträglichkeit zu erkennen und zu bewerten. Hier sind die medizinischen Universitäten gefragt, der Öffentlichkeit die besten Experten und Expertinnen für die begleitende Kontrolle der Impfung zur Verfügung zu stellen. Solche Studien kosten Geld, und es ist die Pflicht der Regierung, diese Gelder bereitzustellen.

Umfassende Studien

Unter diesen Voraussetzungen sollten etwa Ende Juni, also vor Beginn der Sommersaison, genügend Daten vorhanden sein, um die Wirksamkeit der Impfung, eventuelle Frühkomplikationen, aber auch die ganze Logistik zumindest im Ansatz zu beurteilen. Was die vor allem von Impfgegnern immer wieder ins Treffen geführten Spätkomplikationen betrifft, so sei festgehalten, dass die Pocken-, die Polio- und andere Impfungen diese Erkrankungen höchst erfolgreich eliminiert haben und von Spätkomplikationen keine Rede sein kann.

Aufgrund der Studien, die zur Zulassung des Impfstoffes geführt haben beziehungsweise führen werden, ist zu erwarten, dass der Impfstoff bei sehr geringen Nebenwirkungen effizient zumindest einige Zeit eine Corona-Infektion verhindert. Unklar ist, ob ein Geimpfter nur selbst vor der Erkrankung geschützt ist, wie lange dieser Impfschutz anhält und ob der Geimpfte, wenn er Viren im Rachen hat, infektiös ist. Sicher ist das alles nicht, daher die begleitende Kontrolle. Die Ergebnisse dieser Studien sollten der Bevölkerung durch jene vermittelt werden, die sie durchgeführt haben. Erst dann ist die Zeit gekommen, zu überlegen, ob wir überhaupt eine Impfpflicht benötigen. Ich bin sicher, dass bei guten Ergebnissen der Impfung und seriöser Information ein Großteil der Bevölkerung sich impfen lassen wird, haben doch viele Menschen im Land inzwischen realisiert, dass man an dieser Erkrankung auch sterben kann.

Selektive Impfpflicht

Sollte diese optimistische Vorhersage nicht eintreten, so wäre zumindest eine selektive Impfpflicht zu diskutieren, wonach nur Geimpfte ein Theater, Großveranstaltungen oder etwa Fußballspiele besuchen dürfen. Ein anderer Weg wäre, Personen, welche die Impfung ablehnen und so stark coronakrank werden, dass eine Spitalsbehandlung notwendig ist, zu einem ordentlichen Selbstbehalt zu zwingen. Wie kommen die Geimpften dazu, für Unvernunft zur Kasse gebeten zu werden?

Erst wenn wir wissen, ob die Impfung das bringt, was wir erwarten, kann man darüber genauer reden. Bis dahin sollte größte Zurückhaltung, vor allem vonseiten der Politik, geübt werden. (Ernst Wolner, 3.1.2021)