Details rund um das Freitesten werden erst per Verordnung nachgereicht – wieder einmal. SPÖ, FPÖ und Neos prangern deshalb die demokratiepolitischen Defizite von Türkis-Grün an.

Foto: APA / Erwin Scheriau

Noch am Silvesterabend, während die Nation in ihren heuer recht vereinsamten Haushalten auf ein hoffentlich besseres neues Jahr anstoßen wollte, sorgte Türkis-Grün für neue Aufregung: Mitten im dritten Lockdown wegen der Pandemie gab die Regierung per Gesetzesentwurf bekannt, wie sich Kurz, Anschober und Co das sogenannte Freitesten von den derzeit strikten Ausgangsbeschränkungen rund um die Uhr ab 18. Jänner vorstellen. Und damit nicht genug: Wo immer es konkret werden sollte, verwies man auf noch ausstehende Verordnungen, die erst auf den Weg gebracht werden müssten.

"Eine bodenlose Frechheit und eine Attacke auf die demokratischen Grundprinzipien" sieht FPÖ-Klubchef Herbert Kickl sowohl inhaltlich als auch formal, weil der Entwurf "aus dem Hinterhalt" verschickt und eine Frist für die Begutachtung bis Sonntag, 3. Jänner, mittags gesetzt wurde.

Ausnahmen auch für bereits Erkrankte

Konkret sieht das jüngste Gesetzeskonvolut zum Epidemiegesetz und Covid-19-Maßnahmengesetz der Koalition vom letzten Tag des Jahres 2020 Ausnahmeregeln für Personen mit negativen Testergebnissen vor – und auch für jene, die in den letzten drei Monaten eine Infektion durchgemacht haben, weil von ihnen eine geringe epidemiologische Gefahr ausginge.

Bedeutet: Diese Personengruppen können sich knapp nach der Jännermitte für ein Essengehen in der Gastronomie oder eine Teilnahme an Kulturveranstaltungen freitesten, für alle anderen gilt damit quasi weiterhin: Treffen Sie am besten niemanden – es sei denn, es geht ums Arbeiten, Helfen, Besorgungen machen oder Spazierengehen.

In der Praxis kann der Gesetzestext, der ein negatives Testergebnis als Auflage für das Betreten (und Befahren) von Betriebsstätten und für das Betreten (und Befahren) von bestimmten Orten und öffentlichen Orten in ihrer Gesamtheit beinhaltet, offensichtlich auch in der Zukunft jederzeit angewandt werden. Die Kosten für die hierfür anstehenden Massentests, ließ die Regierung wissen, werden vom Bund übernommen. Abgesehen davon, dass die dabei entstehenden personenbezogenen Daten verarbeitet werden dürfen, sorgte die Koalition mit ihrem Vorgehen für die Opposition für einen weiteren Eklat im Zuge der Corona-Bekämpfung.

Kurze Begutachtung

Die SPÖ kritisiert die neuerliche kurze Begutachtungsfrist. "Wir werden den Gesetzesentwurf jetzt prüfen und dann inhaltlich bewerten", erklärte SPÖ-Vizeklubchef Jörg Leichtfried. "Eines muss man aber schon sagen: Angesichts dessen, dass darin verfassungsrechtlich heikle Regelungen enthalten sein dürften, ist die Begutachtungsfrist wieder einmal extrem kurz."

Grundsätzlich sei auch festzuhalten, dass bei Covid-Maßnahmen immer das Infektionsgeschehen entscheidend sei – seien die Zahlen Ende nächster Woche noch immer zu hoch, "dann braucht man über Lockerungen nicht zu diskutieren".

Neues Chaos befürchtet

Auch für die Neos kommt das Vorgehen der Regierung "einer Verhöhnung des Parlaments" gleich, wie deren Vizeklubchef Nikolaus Scherak im STANDARD-Gespräch ausführt. In einem Land, in dem bis dato nicht einmal Absonderbescheide für Corona-positiv-Getestete rechtzeitig zugestellt werden, befürchtet er, dass die Regierung mit ihrem überhasteten Vorgehen demnächst neues Corona-Chaos stiftet. Dazu könne die Opposition nicht ernsthaft ein Gesetz begutachten, dessen wichtigste Teile nicht bekannt seien, weil sie erst per Verordnung in der Zukunft vorgelegt werden.

Während die FPÖ schon angekündigt hat, die Novelle zum Freitesten im Bundesrat blockieren zu wollen, legen sich aber auch die Neos noch nicht fest, wie sie sich in der Länderkammer verhalten werden. Fest steht jedenfalls: Nur gemeinsam könnten Rot, Blau und Pink das Gesetz verzögern.

Wer kontrolliert, ob tatsächlich nur binnen einer Woche negativ Getestete in einem Lokal sitzen, ist ebenso noch offen. Kanzler Sebastian Kurz (ÖVP) scheint in den Gesundheitsbehörden der Länder die prädestinierten Kontrolleure zu sehen. "Sicher nicht", hieß es dazu aus dem Büro von Gesundheitsstadtrat Peter Hacker (SPÖ) zum ORF. So will man einen Assistenzeinsatz der Polizei anfordern, die dann damit beauftragt werde, in den Lokalen die Befunde zu kontrollieren. Alles andere sei "nicht zumutbar". (Michael Möseneder, Conrad Seidl, Nina Weißensteiner, 1.1.2021)