In einer Sportart, in der Zeitspannen über Sieg und Niederlage entscheiden können, die der legendäre Sportmoderator Sigi Bergmann einst mit "Wimpernschlag einer Libelle" definierte, wird selbstredend auch der Elefant im Raum nicht ignoriert. Also spricht Österreichs Cheftrainer René Friedl von sich aus gerne und ausführlich über den Umgang mit der Pandemie im Kunstbahnrodel-Zirkus.

Thomas Steu / Lorenz Koller starten am Königssee als Führende des Weltcups in die zweite Saisonhälfte. Nach Steus Schien- und Wadenbeinbruch vor elf Monaten ist das eine wahre Sensation.
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Der in Tirol mit seiner Familie sesshaft gewordene, 53-jährige Thüringer hat auch gar keinen Grund, das Thema Corona zu umschiffen, um sich nur dem Sportlichen zu widmen, so erfreulich das sich auch entwickelt. Denn Rodel Austria, der österreichische Rodelverband, hat für seine Spitzenathletinnen und -athleten einen Modus Vivendi gefunden, der einen nahezu normalen Saisonverlauf ermöglicht. Planmäßig wird an diesem Wochenende der Weltcup am Königssee gegeben, dem besondere Bedeutung zukommt, weil in der Bayern Eisarena im Berchtesgadener Land Ende Jänner die von Whistler, Kanada, übernommene WM steigt.

Dreimal Doppelsitzer

Chefcoach Friedl kann sich mit einigem Recht auch auf ein starkes Abschneiden an diesem Wochenende freuen. Auf den bisher vier Weltcupstationen dieser Saison sammelte sein Team 13 Podestplätze ein. Die drei Siege gingen allesamt auf das Konto des Doppelsitzers mit Thomas Steu und Lorenz Koller. Der Vorarlberger und der Tiroler, beide 26 Jahre alt, tragen also auch die größten Goldhoffnungen des jedenfalls in dieser Saison bisher erfolgreichsten Wintersportverbandes der Skination Österreich.

Dafür begaben sie sich vor Jahreswechsel allesamt erneut in eine Blase, die sie einen weiteren guten Monat schützend umgeben soll. Das Hygienekonzept, in Zusammenarbeit mit Gerald Kammerlander, dem Chef der österreichischen Naturbahnrodler, ausgearbeitet, diktierte schon die Vorbereitung. Neben den Bahnen in Igls und Deutschland stand nur der Eiskanal in Sigulda zur Verfügung.

"Die Erfolge haben mit Tradition zu tun. Es braucht ein gutes Umfeld und gute Näschen", sagt Chefcoach René Friedl.
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Weil Friedl im Sinne Churchills nur Statistiken traut, die er selbst fälschen könnte, flog sein Aufgebot nicht nach Lettland. Der Verband mietete einen "Beat the Street"-Bus mit 16 Schlafplätzen, besteigbar natürlich nur nach ausführlichen Testungen und mit Mund-Nasen-Schutz. FFP2-Masken waren von Beginn an Standard. Alle anderen Transporte werden mit Kleinbussen erledigt, normalerweise deren fünf, jetzt bis zu acht, um die Kontaktzeiten kurz zu halten.

Abstand halten

Sportlerinnen und Sportler agieren an den Weltcupstandorten in drei Gruppen, auch die Betreuer sind abgesehen von der unmittelbaren Arbeit separiert, gegessen wird zeitversetzt und zum Teil auch räumlich getrennt. Morgendliche Fiebermessungen mit Infrarotthermometern sind ebenso obligatorisch wie jeweils bis Mittag auszufüllende Gesundheitsprotokolle. "Das ist ein gutes Hilfsmittel", sagt Friedl, der sich zu einem ausgesprochenen Spezialisten für schwer lesbare Antigen-Schnelltests entwickelte und Teamarzt und Physiotherapeuten bei den zahllosem Testungen unter die Arme greifen kann.

Der Chefcoach steht allerdings nicht an zuzugeben, "dass wir auch Glück gehabt haben". Etwa im Unterschied zu den Skispringern, die reihenweise positive Covid-19-Tests abgeliefert haben.

Aus dem Rodelteam fielen schon vor Saisonbeginn Corona-bedingt nur der als Betreuer wirkende zweimalige Olympia-Sieger Wolfgang Linger sowie Nico Gleirscher und Yannick Müller kurzzeitig aus.

Madeleine Egle hat das Zeug dazu, Österreich die erste WM-Einzelmedaille einer Rodlerin seit 1997 (Bronze für Angelika Neuner in Igls) zu besorgen.
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Coach Friedl und sein Team hatten unter diesen Umständen wesentlich mehr Arbeit als sonst, die Pandemie kostete Trainingseinheiten auf den Bahnen. Die Abläufe im Eiskanal, im Training und im Wettkampf, liegen in der Verantwortung des internationalen Verbandes FIL. Durch das Splitten der Trainingszeiten nach Nationen dauerten die wenigen Trainingstage auf Eis bis zu jeweils zwölf Stunden – mit entsprechenden Belastungen für Athleten und Betreuer. Abseits der Bahnen konnte dafür mehr an der Athletik und am Material gearbeitet werden.

Die Erfolge von Steu/Koller, die Ende November beim Weltcupauftakt in Igls doppelt (Normalbewerb, Sprint) und gleich anschließend in Altenberg gewannen sowie in Oberhof und Winterberg je einmal Zweite wurden, belohnten die Bemühungen und setzten eine Tradition fort. Friedl, seit 2005 in Österreich am Werk, und sein Team sind Experten in der Entwicklung und auch schwierigen Zusammenstellung erfolgversprechender Doppelsitzer. Schiegl/Schiegl, Linger/Linger Penz/Fischler und aktuell Steu/Koller sowie Yannick Müller und Armin Frauscher bürgten und bürgen für Spitzenplätze. "Da ist ein Sog entstanden, die erfolgreichen Leute sind auch nach Ende ihrer Karriere dabeigeblieben, das ist ein gutes Umfeld", sagt Friedl.

Herzensanliegen

Ein Herzensanliegen ist dem Cheftrainer, neben weiterhin bärenstarken Einsitzern eine schlagkräftige Frauenriege aufbieten zu können. Die diesbezüglich größten Hoffnungen trägt Madeleine Egle. Die 22-jährige Tirolerin hat eine im Sommer erlittene Schulterverletzung nicht nur überwunden, sondern nach Friedls Dafürhalten sogar zur rodlerischen Entwicklung genutzt, weil sie sich nicht zu sehr auf die Athletik verlassen konnte. Eine Medaille am Königssee wäre für Egle nach bisher fünf Top-Sechs-Ergebnissen in dieser Saison die Krönung. Schon am Sonntag soll jedenfalls der erste Podestplatz her, und sei es um den Wimpernschlag einer Libelle. (Sigi Lützow, 1.1.2021)