Schwere Vorwürfe an die Koalition: Rendi-Wagner sieht im Epidemiegesetz einen "rechtlich bedenklichen Blankoscheck" für Grundrechtseinschränkungen durch die Regierung.

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Wien – Pamela Rendi-Wagner ist als Ärztin natürlich dafür, dass möglichst viele Menschen auf das Coronavirus getestet werden – und dass möglichst bald so viele Menschen wie möglich dagegen geimpft werden.

Aber eben nicht so, wie das die türkis-grüne Koalition will.

Und deshalb hat sie dieser am Sonntag zu Mittag ausgerichtet, dass die Regierung mit ihrer Novelle zum Epidemiegesetz nicht durchkommen wird. Der Zeitpunkt war symbolträchtig gewählt: Am Sonntag um 12 Uhr ist die Frist abgelaufen, bis zu der man Stellungnahmen zu dieser Novelle hätte abgeben können. Der Konjunktiv ist in diesem Zusammenhang angebracht, weil erstens die Frist (Einbringung der Regierungsvorlage am 31. Dezember, Frist für Stellungnahmen am 3. Jänner) knappest bemessen war – und weil zweitens die dafür vorgesehene Website des Parlaments am Wochenende etliche Stunden lang nicht erreichbar war.

Viele der Stellungnahmen sind daher nicht durchgedrungen.

Beispiellose Grundrechtseingriffe

Der Tenor war aber vielfach der gleiche: "Sie werden wahrscheinlich selbst wahrgenommen haben, dass es kein historisches Beispiel gibt für ein Maßnahmengesetze mit Grundrechtseingriffen, die inmitten der wichtigsten Feiertage und mit einer lächerlich kurzen Begutachtungsfrist ausgesandt werden – obwohl der Anlass, die leidige Covid-19-Epidemie, seit praktisch einem Jahr Gegenstand behördlicher und legistischer Maßnahmen ist", schrieb etwa der Jurist Rüdiger Stix, der unter Jörg Haider aus der FPÖ ausgeschlossen worden war und dann bei der ÖVP aktiv war.

Seine Rechtsmeinung deckt sich in vielen Punkten mit jener der Stadt Wien, die Mühe hatte, ihre Anliegen auf elektronischem Weg einzubringen.

Privilegien für politische Parteien

Stix weiter: "Auch der konkrete Inhalt ist unsystematisch und teilweise überschießend auf der einen Seite und absurd kasuistisch andererseits. So wurde ich beispielsweise mehrfach gefragt, ob man jetzt auf Basis des geltenden Parteiengesetzes rasch eine Partei gründen sollte, um die neu eingeführten Privilegien in den Ausnahmebestimmungen für Religionsgesellschaften und politische Parteien lukrieren zu können – ich nehme an, dass dies kein Ziel der Legistik war."

Zuvor hatten bereits die Neos und die FPÖ ihr Nein betont.

Keine Ermächtigung für Anschober

"Wir wollen diesem Minister keine Verordnungsermächtigung mehr geben", sagte Neos-Gesundheitssprecher Gerald Loacker am Sonntag. Gesundheitsminister Rudolf Anschober (Grüne) überschreite regelmäßig die Grenzen, die ihm die Gesetze auferlegten. Was mit der Epidemiegesetz-Novelle beschlossen werden solle, komme einer Selbstaufgabe des Parlaments gleich.

Als "Frechheit und Schlag ins Gesicht" wertete Loacker auch einen für Montag angekündigten Termin mit dem Minister. Werde die Novelle nicht wesentlich verändert und der Verordnungsspielraum des Gesundheitsministers massiv beschränkt, gebe es keine Zustimmung der Neos.

Gleiches gilt für die FPÖ, die kritisiert, dass damit die Möglichkeit, Personen zum Mitführen eines negativen Tests zu zwingen, ins Dauerrecht übergehen würde.

SPÖ-Chefin will anders testen

SPÖ-Chefin Rendi-Wagner sieht das differenziert: Bei Großveranstaltungen, wo man die Teilnahme planen kann, sei es zumutbar, dass man ein negatives Testergebnis mitbringen muss – aber das habe "rein gar nichts" mit der von der Regierung geplanten Gesetzesnovelle zu tun.

Vielmehr brauche es "eine ganz andere Teststrategie", für die die Parteivorsitzende ausdrücklich Papier-Teststreifchen der Firmen Roche und Siemens bewarb, die auch Privatpersonen daheim anwenden könnten.

"Regelmäßiges Testen wirkt wie eine Vollbremsung im Infektionsgeschehen", sagte Rendi-Wagner, die auch ein Ausscheren aus dem EU-Gleichklang bei Tests und Impfstrategie anregte: "Österreich hat es in der Hand, einen eigenständigen Weg zu gehen. ... Die Corona-Impfaktion wird die größte und wichtigste in unserer Geschichte. Ein sehr langes Warten schwächt die Impfbereitschaft."

Gesundheitsministerium stoisch, ÖVP tobt

Im Gesundheitsministerium reagierte man stoisch. "Bis heute Mittag sind sehr viele Stellungnahmen zum Entwurf im Gesundheitsministerium eingelangt. Seit dem Nachmittag wird jede Stellungnahme bearbeitet und ernst genommen. Sehr viele davon sind wortident, viele davon aber auch mit wichtigen und wesentlichen Punkten und Überlegungen, die in die weitere Arbeit einfließen", hieß es. "Mit den Fraktionen werden weiters auch die Inhalte der Vorschläge der Parlamentsfraktionen besprochen und anschließend über die weitere parlamentarische Vorgangsweise beraten."

Weniger gelassen konterte hingegen die ÖVP die Vorwürfe der Opposition: Generalsekretär Axel Melchior sieht ein "parteitaktisches Spiel am Rücken der Gesundheit der Menschen", sprach von "destruktiver Fundamentalopposition" und ortete einen neuen Höhepunkt an Verantwortungslosigkeit. "Ich appelliere an die Oppositionsparteien, zur Vernunft zu kommen, ihre parteipolitischen Interessen zurückzustecken und gemeinsam zum Wohle der Österreicherinnen und Österreicher zu arbeiten", erklärte Melchior in einer Aussendung.

Und wie geht es weiter? Am Montagvormittag tagt der Hauptausschuss des Nationalrats, um die Verlängerung des Lockdowns zu beschließen (hier hat die SPÖ Zustimmung signalisiert), anschließend schalten sich Regierung und Ländervertreter zu einer Videokonferenz zusammen. Die Novelle zum Epidemiegesetz könnte zwar in einer Sondersitzung des Nationalrats beschlossen werden, der Bundesrat könnte das Inkrafttreten aber um mehrere Wochen verzögern – und damit auch die Rechtswirkungen der "Freitestungen", die auf Basis dieser Novelle und der dazu noch gar nicht fertiggestellten Verordnungen vollzogen werden sollen. (Conrad Seidl, 3.1.2021)