Julian Assange (Achivbilder) gewann vor Gericht in London.

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Er wird vorerst nicht an die US-Justiz ausgeliefert.

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Vor dem Gericht hatten sich Anhänger des australischen Wikileaks-Gründers eingefunden.

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Julian Assange in einer Gerichtszeichnung. Seine Verteidigung hatte unter anderem auch mit der Angst des 49-Jährigen vor einer Covid-Erkrankung argumentiert.

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Der US-Auslieferungsantrag für Wikileaks-Gründer Julian Assange ist am Montag von einem Londoner Gericht abgelehnt worden. Richterin Vanessa Baraitser machte medizinische Gründe für die Entscheidung geltend, insbesondere Assanges psychischen Zustand und Suizidgefahr. Letztere würde durch die in den USA vermuteten Haftbedingungen verstärkt werden.

Am Handeln des 49-Jährigen übte Baraitser freilich massive Kritik. Die Argumente seiner Verteidigung erkannte sie in großen Teilen nicht an. Weder habe diese belegen können, dass Assange in den USA kein faires Verfahren erwarte, noch, dass der Wikileaks-Gründer Opfer politischer Verfolgung sei. Die Behauptung der Verteidigung, Assange werde auf Druck von Donald Trump von der Justiz verfolgt, entbehre ebenfalls einer erkennbaren Grundlage – im Gegenteil sei nicht einmal Antipathie des US-Präsidenten erkennbar. Assange sei in seinem Handeln zudem über das hinausgegangen, was im Namen eines investigativen Journalismus zu rechtfertigen sei.

Schwere Depression

Allerdings sei sie überzeugt, so Baraitser, dass Assange tatsächlich Symptome einer schweren Depression zeige. Die ihr von der US-Justiz vorgelegten Pläne für seine Haft hätten sie nicht davon überzeugen können, dass ein Suizid Assanges dort verhindert werden könne.

Die Anwälte der USA kündigten unmittelbar nach der Urteilsverkündung eine Berufung an, legten diese aber vorerst nicht formell ein. Der Fall könnte sich nun bis vor den Obersten Gerichtshof des Vereinigten Königreichs ziehen. Assange muss vorerst in Haft bleiben, soll aber aus dem Hochsicherheitsgefängnis Belmarsh verlegt werden. Grund sind die harten Haftbedingungen dort. Nach einer Kautionszahlung könnte er freikommen. Sein Anwaltsteam kündigte deren Einlangen für Mittwoch an.

Vor dem Gericht feierten Anhänger des 49-Jährigen die Entscheidung mit Jubel und Freudensprüngen. Assanges Verlobte Stella Moris, mit der er zwei kleine Kinder hat, brach nach dem Urteil im Gerichtsgebäude in Tränen aus. Der Whistleblower Edward Snowden lobte das Urteil. Bei Twitter schrieb er: "Vielen Dank an alle, die sich gegen eine der gefährlichsten Bedrohungen der Pressefreiheit seit Jahrzehnten eingesetzt haben."

Menschenrechtler, Politiker und Organisationen wie Reporter ohne Grenzen hatten zuvor gewarnt, dass Assange in den USA kein faires Verfahren bekommen würde. Bei einer Verurteilung drohen ihm bis zu 175 Jahre Haft. Der Österreichische Journalistenclub (ÖJC) begrüßte die Entscheidung aber kritisierte die Urteilsbegründung. Sie sei "letztlich dennoch ein massiver Angriff auf die Pressefreiheit, da die Entscheidung ja lediglich mit dem gesundheitlichen Zustand von Assange begründet wird", erklärte ÖJC-Vorstandsmitglied Hadschi Bankhofer in einer Aussendung. ÖJC-Präsident Fred Turnheim fordert die Bundesregierung erneut auf, Assange dringend "politisches und medizinisches Asyl zu gewähren".

Mexiko bietet Schutz

Mexiko bot Assange politisches Asyl an. "Assange ist ein Journalist und habe eine Chance verdient, sagte Präsident Manuel Lopez Obrador am Montag. Der Staatschef sprach sich für eine Begnadigung aus. "Wir werden ihm Schutz geben", offerierte Obrador.

Leben von Informanten gefährdet

Der Australier war Montagfrüh für die Urteilsverkündung von seiner Zelle im Hochsicherheitsgefängnis Belmarsh im Südosten Londons ins Old-Bailey-Strafgerichtsgebäude überstellt worden. Dort verkündete Baraitser ab 11 Uhr MEZ ihre Entscheidung über das US-Auslieferungsansuchen.

Vor dem Gebäude des Strafgerichtshofs forderten mehrere Anhänger Assanges zeitgleich seine Freilassung. Einige Dutzend Menschen riefen: "Free Julian Assange" (Freiheit für Julian Assange).

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Assanges Gefängniswagen vor dem Old-Bailey-Gericht.
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Die US-Justiz wirft dem gebürtigen Australier vor, gemeinsam mit der Whistleblowerin Chelsea Manning – damals Bradley Manning – geheimes Material von US-Militäreinsätzen im Irak und in Afghanistan gestohlen und veröffentlicht zu haben. Assange habe damit das Leben von US-Informanten und solchen von US-Verbündeten in Gefahr gebracht, so der Vorwurf. Dafür wurden allerdings nie Beweise vorgelegt. Assange und seine Unterstützer wehren sich gegen diese Darstellung: Assange habe durch investigativen Journalismus Kriegsverbrechen ans Licht gebracht hat.

Wikileaks hatte 2010 ein US-Militärvideo veröffentlicht, das einen Angriff von Kampfhubschraubern auf die irakische Hauptstadt Bagdad 2007 zeigt. Dabei wurden dutzende Menschen getötet, darunter zwei Mitarbeiter der Nachrichtenagentur Reuters. Bald danach startete Wikileaks die Veröffentlichung tausender Geheimdokumente.

Unabhängig davon spielte Wikileaks auch im US-Wahlkampf 2016 eine gewichtige Rolle. Die mutmaßlich von Russland gehackten E-Mails aus der Wahlkampagne der demokratischen Kandidatin Hillary Clinton, deren Veröffentlichung Trump damals deutlich half, liefen auch über die Plattform. Im Falle einer Auslieferung war daher spekuliert worden, Trump könnte vor seinem Ausscheiden aus dem Amt Ende Jänner eine Begnadigung für Assange aussprechen.

Vor dem Urteil am Montag hatte unter anderem der ehemalige Chefredakteur des "Guardian", Alan Rusbridger, vor einer Auslieferung an die USA gewarnt. Assange zu überstellen würde einen gefährlichen Präzedenzfall darstellen, warnte Rusbridger in einem BBC-Interview am Montag. Als problematisch bezeichnete Rusbridger, der einst mit Assange bei der Veröffentlichung von Material zu den Kriegen im Irak und in Afghanistan zusammengearbeitet hat, vor allem den Vorwurf der Spionage und die damit verbundene Rechtsprechung hinter verschlossenen Türen.

Ein weiteres Problem sei das Strafmaß: "Die Idee, jemanden auf Jahrzehnte, womöglich für den Rest seines Lebens einzusperren für die Veröffentlichung von Material, das meiner Meinung nach zum größten Teil im öffentlichen Interesse war, ist heftig unangemessen."

Auch die US-Filmemacherin Laura Poitras, die für ihren Dokumentarfilm über den Ex-Geheimdienstmitarbeiter Edward Snowden mit dem Oscar ausgezeichnet wurde, appellierte zuletzt in der "New York Times" an das US-Justizministerium, die Anklage fallenzulassen. Schließlich bedeute die Anklage eines Publizisten nach dem Spionagegesetz eine Bedrohung für alle Journalisten, die über Fragen der nationalen Sicherheit berichten. (fmo, mesc, 4.1.2020)