Die Landeverbote, die im Dezember für Flüge aus Großbritannien ausgesprochen wurden, kamen zu spät. Die britische Virusvariante dürfte sich längst global verbreitet haben. Wie stark, ist aber noch unklar.

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Am Montag wurden zwei Neuigkeiten bekannt, die auf den ersten Blick nichts miteinander zu tun haben, auf den zweiten Blick aber doch: Zum einen rückte die Regierung von der Möglichkeit des Freitestens ab dem 18. Jänner ab, was einer Verlängerung des Lockdowns bis zum 24. Jänner gleichkommt. Zum anderen erklärte Gesundheitsminister Anschober, dass sowohl die britische wie auch die südafrikanische Virusmutation, die eine deutlich höhere Ansteckungsrate mit sich bringen, nun auch in Österreich nachgewiesen wurden. Was sagen Expertinnen und Experten aus der Wissenschaft zur Verlängerung des Lockdowns? Und was zum Risiko, das diese Mutationen mit sich bringen?

Frage: Was ist über die Nachweise der Virusmutationen in Österreich und international bekannt?

Antwort: Die britische Variante B.1.1.7 wurde in den vergangenen Tagen bereits in zumindest 32 Staaten rund um den Globus nachgewiesen – davon in 15 europäischen. In Österreich ist bei vier infizierten Personen die britische Virusmutation entdeckt worden und bei einer Person die südafrikanische Variante, wie Gesundheitsminister Rudolf Anschober (Grüne) am Montag bekanntgab. Die britische Mutation wurde im Dezember bei einem Österreicher, einem österreichischen Kind und zwei slowakischen Kindern entdeckt, die aus London kommend in Wien landeten. Die südafrikanische Mutante wurde am 6. Dezember bei einer 30-jährigen Österreicherin nachgewiesen, die aus Südafrika nach Hause geflogen war.

Frage: Weiß man, wie stark diese Mutanten zum Infektionsgeschehen beitragen?

Antwort: Nein, konkrete Zahlen hat man nur für Großbritannien, wo der Anteil bereits je nach Region sehr hoch ist. Da in den meisten Ländern aber nur relativ wenige Genome von Sars-CoV-2 sequenziert werden, weiß man nicht, wie weit die Mutante in den jeweiligen Ländern bereits verbreitet ist. In Dänemark, wo man aufgrund der intensiven Sequenzierungen einen guten Überblick hat, dürfte sie mittlerweile über zwei Prozent der Neuinfektionen betragen, Tendenz stark ansteigend.

In Österreich kann man zu dieser Frage laut Andreas Bergthaler vom Forschungszentrum für Molekulare Medizin noch keine Angaben machen, da es zu wenige Nachweise gibt. Bei österreichischen Abwasserproben wurden die beiden Varianten aber noch nicht detektiert.

Frage: Worin besteht das besondere Risiko der britischen Virusvariante?

Antwort: Die Sars-CoV-2-Variante B.1.1.7 hat 17 Veränderungen im Genom. Die wichtigste betrifft die Veränderung N501Y innerhalb der sogenannten Rezeptorbindungsdomäne des Spike-Proteins, mit dem es an die menschlichen Zellen andockt. Dieses Andocken dürfte dadurch erheblich erleichtert werden. Auch die südafrikanische Variante weist diese Mutation auf. Die Variante hat sich in England in Windeseile verbreitet, und immer mehr Daten bestätigen, dass diese Variante deutlich infektiöser ist – die Schätzungen gehen von rund 50 Prozent aus.

Frage: Kommt es durch B.1.1.7 auch zu gefährlicheren Verläufen von Covid-19?

Antwort: Es gibt bisher keine Hinweise darauf, dass es durch die neue Variante zu schwereren Krankheitsverläufen oder vermehrten Todesfällen kommt – das berichten britische Forscherinnen und Forscher, die Patientinnen und Patienten mit der neuen Mutation beobachtet haben. Allerdings führt die erhöhte Ansteckungsrate unweigerlich zu mehr schweren Erkrankungen und Toten. Besonders nachdrücklich illustrieren das Modellrechnungen des britischen Epidemiologen Adam Kucharski (London School of Hygiene and Tropical Medicine): Laut seinen Berechnungen verursacht eine Virusvariante, die gleich tödlich, aber um 50 Prozent ansteckender ist als die bislang zirkulierenden Varianten, bereits in kurzer Zeit viel mehr Tote als eine Virusvariante, die 50 Prozent tödlicher, aber gleich ansteckend ist.

Frage: Die Virusvariante B.1.1.7 wurde in Großbritannien bei Kindern und Jugendlichen unter 16 Jahren überproportional häufig entdeckt. Wie ist das zu erklären?

Antwort: Laut Michael Wagner, der ein langfristige Studie zum Infektionsrisiko in Schulen koordiniert (die sogenannte "Gurgelstudie") und auch dem Corona-Fachrat des STANDARD angehört, gibt es eine Reihe von möglichen Gründen für diese Beobachtung: So könnten Kinder und Jugendliche für B.1.1.7 empfänglicher sein als für andere Varianten. Oder B.1.1.7 könnte bei diesen Altersgruppen mehr Symptome verursachen und darum zu mehr positiven Tests führen. Eine andere Erklärung ist, dass im November während des "schwächeren" Lockdowns die britischen Schulen weiter offen hatten. Vermutlich sind also nicht nur die Kinder, die mit B.1.1.7 infiziert sind, ansteckender, wie etwa die britische Epidemiologin und Bioinformatikerin Deepti Gurdasani (Wellcome Sanger Institute) meint, sondern auch alle anderen Altersgruppen.

Frage: Warum gibt es erst jetzt Gewissheit über die Gefährlichkeit der Mutante, obwohl sie schon im September entdeckt wurde?

Antwort: Weil man erst im Dezember solide Daten hatte, wie stark sich die Mutante in Großbritannien ausbreitete. Man kann zudem von Glück reden, dass diese Variante dort auftrat, da man in England vergleichsweise viele Virus-Genome sequenziert und deshalb auch einen guten Überblick hat, wie sich die verschiedenen Varianten ausbreiten. Wäre eine ähnliche Variante zuerst in Deutschland aufgetreten, wüsste man vermutlich bis jetzt nicht, dass diese Variante um so viel ansteckender ist, da Deutschland bei den Sequenzierungen große Defizite hat. "Gewissheit" ist übrigens etwas übertrieben. Etliche Fragen, die B.1.1.7 betreffen, sind nach wie vor offen, etwa die, ob die Impfungen auch ganz sicher gegen diese Mutante wirken.

Frage: Ist es aufgrund der neuen Mutation sinnvoll, mehr Abstand zu halten als einen Meter bzw. den berühmten Babyelefant, und reichen für eine Ansteckung nun auch weniger als 15 Minuten?

Antwort: Da diese Variante ansteckender ist, geschieht eine Übertragung logischerweise rascher. Das Virus kann – aber das gilt auch bei allen anderen Formen – auch in weniger als 15 Minuten stattfinden, etwa wenn einen jemand direkt anniest oder anhustet. Beim Abstand gilt: Mehr ist prinzipiell besser. In manchen Ländern wird auch ein Abstand von zwei Metern empfohlen. Es schadet zumindest nicht, einen zusätzlichen Schritt zurückzutreten.

Frage: Können Genesene an der Mutation erneut erkranken?

Antwort: Das ist bislang unklar. Expertinnen und Experten vermuten aber, dass die Immunantwort, die durch die ersten Infektion entsteht, so breit ist, dass es nicht zu einer erneuten Erkrankung kommt. Und falls doch, dürfte diese weit schwächer ausfallen. Diese Vermutung gilt auch für die Wirksamkeit der Impfungen gegen Covid-19. Prinzipiell kennt man das von der Grippeimpfung, auch wenn hier das Virus viel stärker mutiert. Die Impfung gegen Influenza enthält nicht immer exakt jenen Stamm, der einen bei einer Erkrankung erwischt. Wer aber geimpft ist, hat Antikörper gegen ähnliche Varianten im Blut und erkrankt so wesentlich schwächer. Aber wie gesagt: Die verschiedenen Influenzaviren weisen größere Unterschiede auf als die verschiedenen Varianten von Sars-CoV-2.

Frage: Wie steht Österreich bei den Sequenzierungen der Virusgenome im internationalen Vergleich da?

Antwort: Laut Bergthaler liegen wir "im Mittelfeld". In Österreich wurden bisher knapp 1.300 Virusgenome vollständig sequenziert, seit September 547, so Bergthaler. Internationale Spitzenreiter sind Dänemark und Großbritannien, wo man bis jetzt bei zwölf Prozent beziehungsweise fünf Prozent aller nachgewiesenen Infektionen auch eine genomische Analyse anschloss. In Österreich hält man aktuell bei 0,3 Prozent. Deutschland, aber noch viele andere europäische Länder, liegen bis jetzt deutlich darunter. Österreich will seine diesbezüglichen Anstrengungen aber demnächst vervierfachen, wie Ages-Chefinfektiologe Franz Allerberger bei der montäglichen Pressekonferenz ankündigte.

Frage: Sollte Österreich im Hinblick auf die Eindämmung von B.1.1.7 schon jetzt Vorsorge treffen?

Antwort: In dieser Frage sind sich die meisten heimischen Experten einig. So meint der renommierte Mikrobiologe Michael Wagner von der Uni Wien: "Wenn B.1.1.7 sich erst einmal in Österreich verbreitet hat, dann wird es aller Voraussicht nach ungleich schwerer, die Pandemie bis zur ausreichenden Durchimpfung der Bevölkerung zu kontrollieren." Er verweist darauf, dass die britischen Lockdown-Maßnahmen im November die Verbreitung anderer Sars-CoV-2-Varianten noch begrenzen konnten. "Sie waren aber nicht ausreichend, um die Verbreitung von B.1.1.7 zu verhindern." Ähnliches könnte in den nächsten Wochen auch hier mit entsprechender Verzögerung drohen.

Frage: In Österreich sind nach aktuellem Stand die Schulen von der Verlängerung des Lockdowns ausgenommen. Ist das angesichts der britischen Zahlen sinnvoll?

Antwort: Das ist, wie so oft in der Pandemie, eine Güterabwägung. Nach allem, was wir wissen, dürfte die neue Mutation in Österreich und damit auch an den Schulen noch nicht sehr verbreitet sein. Michael Wagner spricht sich dennoch klar dafür aus, dass man die britischen Beobachtungen in die Entscheidung bezüglich der Wiedereröffnung der Schulen in Österreich miteinfließen lassen sollte.

Frage: Sind die hierzulande eingesetzten Tests durch die Mutationen beeinträchtigt?

Antwort: Laut Michael Wagner führen PCR-Tests durch B.1.1.7 nicht zu falsch negativen Ergebnissen, da dabei in den meisten Laboren mehrere PCR-Tests gleichzeitig durchgeführt werden, die unterschiedliche Viren-Gene zum Ziel haben. Jener spezifische Teiltest, der das Gen für das sogenannte Spike-Protein als Ziel hat, könnte bei einer Infektion mit B.1.1.7 aber negativ ausfallen. Man hat sich diesem Umstand sogar zunutze gemacht und anhand dieses Detektionsmusters die Verbreitung der neuen Variante in England abgeschätzt. Was die Antigentests angeht, sieht Andreas Bergthaler im Moment keine Auswirkungen. "Dies gilt es jedoch genauestens zu evaluieren, auch für neue sich verbreitende Mutationen, da es natürlich theoretisch sein kann, dass sich die im Test enthaltenen Antikörper unter Umständen aufgrund von Mutationen schlechter an die Virusproteine binden." (Klaus Taschwer, Bernadette Redl, 4.1.2021)