Thomas Hofer (23) hat vor knapp einem Jahr seine Karriere beendet. Aber das Skispringen taugt ihm immer noch. "Ich will das weitermachen", halt in anderer Form. Der Tiroler, der Zeit seiner Karriere auf zwei Continental-Cup-Siege, aber nie in die Nähe eines Weltcup-Spitzenresultats kam, ist einer von etlichen Ehemaligen, die nun als Vorspringer tätig sind. Hofer war es zuletzt in Innsbruck, und er ist es wieder in Bischofshofen, wo am Mittwoch (16.45 Uhr, ORF 1) die Vierschanzentournee zu Ende geht.

Genau eine Woche später wird sich der Unfall von Lukas Müller (28) zum fünften Mal jähren. Der Kärntner war am 13. Jänner 2016 als Vorspringer beim Skifliegen auf dem Kulm gestürzt, seither ist er querschnittgelähmt. In einem Rechtsstreit mit dem Skiverband (ÖSV), der ihn nicht bei der Sozialversicherung angemeldet hatte, erreichte er, dass sein Unfall als Arbeitsunfall anerkannt wurde. Der damalige ÖSV-Generalsekretär Klaus Leistner sprach von einer "Einzelfallentscheidung" und wurde dafür sowohl von Müllers Anwalt Andreas Ermacora als auch von Gernot Baumgartner, dem Vorsitzenden der Sportgewerkschaft, heftig kritisiert.

Der Pole Kamil Stoch fährt und fliegt dem Tournee-Gesamtsieg entgegen. Angewiesen auf die Vorspringerdienste ist auch er.
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Baumgartner machte eine "richtungsweisenden Entscheidung" des Verwaltungsgerichtshofes aus. "Die Vorspringer sind in den Betrieb eingebundene Personen und müssen dadurch laut Urteil pflichtversichert werden." Die Frage liegt auf der Hand: Stellt der Skiverband die Vorspringer mittlerweile an, sind sie also ausreichend versichert, wären Folgekosten abgedeckt? Der Vorspringer Hofer kann das nicht wirklich beantworten. Ob ihn der ÖSV für Innsbruck und Bischofshofen bei der Sozialversicherung angemeldet habe, wisse er nicht. "Ich war letztes Jahr noch ÖSV-Aktiver, jetzt habe ich einfach meine ÖSV-Versicherung weiterlaufen lassen."

Arme Amateure

Der Jurist und Alpenvereinspräsident Ermacora wundert sich darüber. Schließlich sei die ÖSV-Versicherung mit einmaligen Zahlungen verbunden, sie könne aber niemals alle Folgekosten abdecken, wie das bei einem "Arbeitsunfall" gegeben wäre. Ermacora würde die Thematik sogar auf jene Skispringer, die weiter hinten im Klassement zu finden sind, ausdehnen. Auf jene, die dem Sport quasi als Amateure nachgehen, weil sie nicht in den Genuss einer Anstellung etwa beim Bundesheer gekommen sind.

Müller-Anwalt Ermacora wundert sich über den ÖSV.
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Laut Ernst Wimmer, der im ÖSV als Coach für die Vorspringer zuständig ist, hat sich Lukas Müller "gut eingesetzt. Man nimmt die Vorspringer jetzt ernst. Sie werden immer wieder kurzfristig bei der Sozialversicherung angemeldet". Doch "immer wieder" ist nicht dasselbe wie "immer". Laut ÖSV-Information waren die Vorspringer 2020 auf dem Kulm wie auch kürzlich beim Weltcup der Damen und Kombinierer in der Ramsau tatsächlich bei der Sozialversicherung angemeldet. Christian Scherer, der Leistner als ÖSV-Generalsekretär folgte, betont: "Es hat ein Umdenken stattgefunden. Die Situation für die Vorspringer hat sich verbessert. Bei Großveranstaltungen sind sie angemeldet."

Schließt das Umdenken, schließt der Terminus "Großveranstaltung" auch die Tourneebewerbe in Innsbruck und Bischofshofen mit ein? Scherer spricht auf Nachfrage von einer "diffizilen Angelegenheit". Jeder (Vor-)Springer werde unterschiedlich bewertet. B-Kader-Springer des ÖSV beispielsweise müsse man "natürlich nicht anmelden". Diese seien ja schon über den ÖSV versichert.

Überwiegende Vorteile

Ermacora, wie gesagt, sieht das anders. Für ihn wäre es "völlig unverständlich", sollte der ÖSV keine umfassenden Lehren aus dem Müller-Urteil gezogen haben. "Ich bin davon ausgegangen, dass der ÖSV die richtigen Konsequenzen zieht." Sportler und Sportlerinnen zumindest für bestimmte Zeiträume oder Wettbewerbe anzumelden, sei ein Kostenfaktor. Doch die Vorteile würden "klar überwiegen".

Der Vorspringer Thomas Hofer begab sich am Montag auf den Weg nach Bischofshofen. Er freut sich, am Dreikönigsspringen mitwirken zu können. Vor der nächsten Saison, sagt er, will er sich intensiv mit Versicherungsfragen beschäftigen. Schließlich stehen auch in Innsbruck und Bischofshofen "große Schanzen", und Unfälle können "immer passieren". Der ehemalige Vorspringer Lukas Müller blickt nicht zurück, schon gar nicht im Zorn. "Du kannst nur ändern, was vor dir liegt." (Fritz Neumann, 5.1.2021)