Den Geschmack vergesse ich nie wieder. Die Mischung aus Blut, dem Salz der Tränen, Erde und Gras. So hat mein Einstieg in die Mobilität geschmeckt. Es war ein Aufstieg. Runter vom Tretroller und dem Unding mit Stützrädern, rauf auf ein vielleicht noch ein wenig zu großes Kinderfahrrad. Es war lila – kein Wunder, dass ich später bei Prince hängen bleiben sollte. Vom Lupo – der Comic-Held zierte den Rahmen – sollte ich mich mit der Zeit wegentwickeln können. Allein meine Nase dient heute noch als Reminiszenz.

Ein Foto vom Lupo-Rad gibt es leider nicht, aber abgesehen davon dürfte die Szenerie eine ähnliche gewesen sein.
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Und das allein ist schon ein Kunststück, denn ich mag nicht zählen, wie oft ich auf der in den ersten Tagen gelandet bin. Aber der Wille, das Fahrradfahren schnell zu erlernen, war enorm. Damals durfte man im Süden der Steiermark als Kind noch ohne Helm und Helikopterbewachung auf der Straße fahren. Die Nachbarn mit dem Simca 1000, Talbot Sunbeam, WAS-2105 und dem Peugeot 305 waren sehr aufmerksam unterwegs. Sie wollten aus gutem Grund am liebsten selbst nicht auffallen. Nur auf den einen mit dem Volvo 240 musste man ein Auge haben.

Ein Rad, fast wie ein Auto

Ein solches hatte ich auch auf den Buben, der zwei Gassen weiter wohnte und einen Highriser hatte. Dreigangschaltung zwischen den Beinen. Das war schon mehr Auto als Fahrrad. Ihm aber immer noch nicht genug, weshalb er eines Tages den Lenker ab- und stattdessen ein Lenkrad eines Trettraktors aufmontierte. Den Umstand, dass er dort keinen Bremshebel montieren konnte, nahm er mit blutigen Knien in Kauf. Obwohl, ein paar Mal hat es ihn auch runtergerissen, weil sich die Fuhre mit dem Lenkrad einfach nicht gescheit steuern hat lassen. Damals lernte ich zu verstehen, dass Schönheit leiden müsse.

Mag man heute gar nicht mehr glauben, dass wir damals ohne Helm und Aufsichtsperson herumfahren durften.
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Klar war damit aber auch, dass, wenn man damals am Land angemessen mobil sein wollte, man selbst Hand anlegen musste. Bis zu der Erkenntnis war ich dem Lupo-Rad aber schon entwachsen, das Taschengeld hatte ich verfressen und hätte es ohnedies nie in ein neues Rad gesteckt.

Aber ich hatte eine Idee: Fetzenmarkt! In den 1980er-Jahren hat eine Gemeinde in der Südsteiermark nicht einfach den Sperrmüll eingesammelt und entsorgt, sondern brachte ihn auf den größten Platz im Ort, stellte eine Blasmusikkapelle daneben und schenkte Alkohol aus, in der Hoffnung, damit jemanden so weit zu bringen, dass er für ein paar Schilling ein Trumm Sperrmüll wieder mitnimmt. Ich meldete mich freiwillig, bei der Sammeltour mitzufahren. Dafür durfte ich mir nach den drei Tagen Sperrmüll-Dorffest drei Räder, derer – oder viel mehr derer Reste – sich keiner derbarmte, mitnehmen, bevor sie doch noch in die Müllpresse wanderten.

Ein Grund für defizitäre Krankenkassen

Es entstanden unzählige Prototypen, die man aus einem verzogenen BMX-Rahmen, einem Herren-, einem Damenrad und dem Miniradl von der Mama – ja, das musste auch daran glauben – bauen kann. Die Konstruktionsarbeiten, die als Nebeneffekt nach oben korrigierte Gewinnprognosen der Hersteller von Merfen und Cibazol hatten, fanden erst ein Ende, als sich ein Krankenhauschirurg im Ellenbogen meines Bruders verwirklichte. Bei einem Testsprung über eine selbstgebaute Rampe trennten sich Lenker, Rahmen und Bruder in der Luft voneinander und entschieden sich für jeweils eigene Wege zurück zur Erde. Den Rest können Sie sich vorstellen.

Irgendwann war klar: Wer ein besonderes Fahrrad braucht, muss sich eben eines bauen.
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Einen Fetzenmarkt später hatte ich die Trümmer für ein Rennrad beinander, so wie ich es mir vorstellte. Von heute aus gesehen hätte ich eigentlich als Erfinder des Gravelbikes in die Geschichte eingehen müssen. Die Liaison war zwar genügsamer, endete aber auch im Krankenhaus. Einer der Nachbarsbuben hatte inzwischen ein Moped, mit dem er mich ganz bestimmt unabsichtlich über den Haufen fuhr. Das Leben auf dem Land war, wie soll ich sagen, nix für Waserln.

Bevor ich Ihnen jetzt aber auch noch erzähle, wie meine Mopedzeit verlief – kein Krankenhaus, aber schon Verbandszeug und die ersten Strafzettel – oder welche Räder heute bei mir um ein bisserl Aufmerksamkeit und Werkzeug betteln, wäre ich gespannt, ob Sie sich an Ihre ersten Fahrräder erinnern können. Was haben Sie erlebt? Was haben Sie versäumt? Wie haben Sie überlebt? Was haben S' geschmeckt? (Guido Gluschitsch, 14.1.2021)