Akzent: Echt oder gefälscht?
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Hilaria Baldwin sorgt derzeit für viel medialen Gesprächsstoff. Ihr wird vorgeworfen, jahrzehntelang einen spanischen Akzent imitiert und einen spanischen Namen angenommen zu haben, obwohl sie in Boston aufgewachsen ist und nie in Spanien gelebt hat. Hilaria wehrt sich gegen diese Anschuldigungen: Ihr Akzent sei mal stärker und mal schwächer, je nachdem, wie viel Spanisch sie spreche. Sie musste auch heftige Kritik einstecken, weil sie vorgetäuscht habe, das englische Wort für Gurke vergessen zu haben. Sie selbst führt das auf ihre Nervosität bei ihrem ersten TV-Live-Auftritt zurück.

Könnte sie die Wahrheit sagen?

Studien zum bilingualen Sprachgebrauch zeigen, dass mehrsprachige Individuen typischerweise eine oder beide Sprachen mit einem nichtmuttersprachlichen Akzent sprechen. Selbst Sprecherinnen und Sprecher, die von Geburt an zwei Sprachen lernen, klingen in der Sprache, die sie seltener verwenden, nicht wie Muttersprachlerinnen und Muttersprachler. Dieses Phänomen kann insbesondere dann beobachtet werden, wenn sie – wie Hilaria – häufig zwischen verschiedenen Sprachumgebungen wechseln.

Akzente sind erwiesenermaßen nicht statisch, sondern verändern sich in Abhängigkeit davon, wie oft Sprecherinnen und Sprecher ihre Sprachen verwenden oder wie häufig sie Sprachen wechseln. Dementsprechend ist Hilarias veränderlicher Akzent nicht ungewöhnlich.

Wenn sie also sagt, dass sie Spanisch zuletzt häufiger gesprochen habe, wird sie einen stärkeren spanischen Akzent haben. Während ihrer Studienzeit hingegen wird sie vorwiegend von englischsprachigen Studienkolleginnen und -kollegen umgegeben gewesen sein; es ist daher wahrscheinlich, dass ihr spanischer Akzent mit der Zeit weniger stark ausgeprägt oder sogar gänzlich verschwunden ist.

Diese kontinuierliche Veränderung von Akzenten wurde in Studien zum bilingualen Sprachgebrauch sehr gut belegt. Studien zeigen zudem, dass bilinguale Menschen oftmals Schwierigkeiten haben, einzelne Wörter in der Sprache, die sie gerade sprechen, abzurufen, da beide Sprachen aktiviert sind. Dies ist insbesondere der Fall, wenn sie nervös sind – wie Hilaria bei ihrem ersten Live-Auftritt im TV.

Akzente geben ein Zugehörigkeitsgefühl

Akzente werden durch ihre Sprecherinnen und Sprecher geformt und sind auf komplexe Weise mit Identität und Zugehörigkeitsgefühl verbunden. Für bilinguale Personen wie Hilaria kann die Frage nach Zugehörigkeit oft schwierig sein, da sie sich einerseits ihrer (in dem Fall spanischen) Familie zugehörig fühlen, sich aber auch als Teil der sie umgebenden Gesellschaft sehen. Sie werden meist als entweder der einen oder der anderen Gruppe zugehörig wahrgenommen; in einigen Fällen scheinen sie keiner Gruppe anzugehören.

Hilaria hat eine Entscheidung getroffen – sie hat sich den spanischen Namen gegeben, die spanische Kultur und den damit einhergehenden Akzent angenommen. Es ist sehr unwahrscheinlich, dass sie sich bewusst dafür entschieden hat, plötzlich mit einem spanischen Akzent zu sprechen. Werden eine Sprache und die dazugehörige Kultur dominanter, wird auch der Akzent prägnanter. Ändern sich soziale Umstände und Sprachgebrauch, wird sich in den meisten Fällen also auch der Akzent ändern.

Möchte man "fremd" klingen?

Es braucht nur einen Sekundenbruchteil, um festzustellen, ob jemand Muttersprachlerin oder Muttersprachler ist. Sobald Menschen als nichtmuttersprachlich entlarvt sind, wird ihre Glaubwürdigkeit angezweifelt, ihre Intelligenz und Kompetenz infrage gestellt. Häufig reicht die geringste Spur von Fremdheit in der Aussprache, um Sprecherinnen und Sprecher zu verurteilen. Es ist daher unwahrscheinlich, dass sich jemand bewusst dafür entscheidet, fremd zu klingen.

Tatsächlich zeigt das Interesse an Hilarias Akzent, dass eine nichtmuttersprachliche Aussprache wahrgenommen wird und übermäßige Aufmerksamkeit generiert. Akzente geben uns ein Gefühl dafür, wer wir sind, woher wir kommen und in welcher Beziehung wir zu anderen Menschen stehen. Es steht der Vorwurf im Raum, Hilaria habe über Jahrzehnte mit einem gefälschten Akzent ihre Mitmenschen betrogen. Sie wird als Hochstaplerin dargestellt; tatsächlich ist sie lediglich eine typische bilinguale Sprecherin. (Ineke Mennen, Lisa Kornder, 6.1.2021)