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Masken mit expressiver Wirkung müssten eigentlich ein gefundenes Fressen für Psychologen sein. Bislang hält sich die Zahl der Studien aber noch in Grenzen.
Foto: AP Photo/Jorge Saenz

Im Frühling 2020 war uns die Situationskomik noch bewusst, wenn wir beim Betreten einer Bank schnell eine Maske überstreiften – inzwischen ist es Routine geworden. Wie auch zwei Interaktionen, die die meisten von uns im vergangenen Dreivierteljahr schon das eine oder andere Mal erlebt haben dürften: Man geht achtlos an jemandem vorüber und wendet sich ihm erst auf sein belustigtes "He, ich bin's!" zu. Oder man ertappt sich dabei, wie man jemanden länger, als unter normalen Umständen höflich wäre, fixiert und sich dabei fragt: Kenne ich den jetzt oder nicht?

Dass der Mund-Nasen-Schutz die Gesichtserkennung beeinträchtigt, wird niemanden überraschen. Im vergangenen Jahr wurde bereits eine Reihe von Untersuchungen zum Thema durchgeführt. Interessant – und vielleicht auch bezeichnend – ist aber der Umstand, dass es dabei fast immer um automatisierte Gesichtserkennung durch Überwachungssoftware ging. Unsere ureigene Wahrnehmung von Gesichtern wurde vergleichsweise stiefmütterlich behandelt. Eine israelische Forschergruppe aber hat sich ganz diesem Aspekt gewidmet und versucht, die Auswirkungen des Maskentragens zu quantifizieren.

Das Experiment

Das Team um Erez Freud und Tziv Ganel von der Ben-Gurion-Universität des Negev führte einen Online-Test mit knapp 500 Probanden durch. Als Grundlage des Experiments diente der sogenannte Cambridge Face Memory Test, mit dem Prosopagnosie diagnostiziert werden kann, also die Unfähigkeit, einen Menschen anhand seines Gesichts zu identifizieren. Normalerweise erwerben wir schon in den ersten Lebensmonaten die Fähigkeit, Gesichter zu unterscheiden. Durch eine angeborene oder verletzungsbedingte Prosopagnosie kann dies aber stark eingeschränkt werden.

Drei Gesichter aus dem Untersuchungssample – für das Experiment auch mit Maske versehen.
Foto: Chicago Face Database (Ma et al., 2015)

Beim Cambridge Face Memory Test werden den Probanden einige Gesichter vorab gezeigt. Später müssen sie dann versuchen, diese inmitten einer größeren Auswahl wiederzufinden. Freud und Ganel haben diesen Test so modifiziert, dass die Hälfte der Probanden Gesichter mit Mund-Nasen-Schutz vorgesetzt bekam und die andere Hälfte unmaskierte. Bloße und bedeckte Gesichter wurden jeweils aus verschiedenen Blickwinkeln, unter wechselnden Lichtverhältnissen oder leicht verpixelt gezeigt, um die Herausforderung größer und damit auch realistischer zu gestalten.

Der Effekt

Das Ergebnis des Vergleichs zwischen den beiden Probandengruppen: Eine Maske reduzierte die Erfolgsrate, mit der Gesichter identifiziert wurden, im Schnitt um 15 Prozent, wie die Forscher im Fachjournal "Scientific Reports" berichten. Das klingt aufs erste Hinhören nach nicht viel und ist vermutlich Wasser auf die Mühlen derjenigen, die beim Lesen des ersten Absatzes unwillkürlich mit "Also mir ist das noch nie passiert!" reagiert haben. Aber es ist nicht nichts. Die ebenfalls an der Studie beteiligte Psychologin Galia Avidan weist darauf hin, dass der Mund-Nasen-Schutz insbesondere für jene Menschen zur Herausforderung wird, deren Fähigkeiten zur Gesichtserkennung ohnehin schwächer ausgeprägt sind.

Eine interessante Erkenntnis aus dem Experiment war laut den Forschern auch, dass der Prozess der Gesichtserkennung mit Maske tendenziell anders abläuft als ohne. Und hier kommt das eingangs beschriebene Fixieren ins Spiel. Anstatt der ganzheitlichen Wahrnehmung, mit der wir normalerweise ein Gesicht sofort identifizieren können, zwinge die Maske nämlich zu einer Schritt-für Schritt-Verarbeitung der einzelnen Gesichtszüge, aus denen am Ende ein Gesamtbild konstruiert wird. Dieser Prozess sei langsamer und ungenauer als die holistische Wahrnehmung, so die Forscher. Der Mund-Nasen-Schutz bringe also sowohl quantitative als auch qualitative Veränderungen bei der Gesichtserkennung mit sich.

Dauerhaftes Phänomen?

Im allerersten Lockdown war noch zu beobachten, wie Fußgänger einen auffallend großen Bogen umeinander schlugen. Dieses Verhalten ist seitdem wieder weitgehend aus dem Stadtbild verschwunden. Ob das Maskentragen genauso schnell aufhören wird, sobald großflächiges Impfen die Pandemie zum Abflauen gebracht hat, wird erst die Zeit weisen.

Die Forscher der Ben-Gurion-Universität gehen offenbar nicht davon aus. Sie sprechen davon, dass das Tragen eines Mund-Nasen-Schutzes weltweit rasch zu einer neuen Norm geworden sei – und plädieren daher dafür, die psychologischen und sozialen Auswirkungen des Maskentragens auf unser Verhalten weiter zu studieren. (jdo, 8.1.2021)