Wöchentlich kommen neue Spiele oder tauchen alte in bestehenden Abodiensten auf.

Foto: EA

Ich gebe es zu, ich bin keine 25 mehr. Wenn jemand fünf Whatsapp-Nachrichten hintereinander auf mich abfeuert, wünsche ich mir die zehn Schilling pro 140-Zeichen-SMS zurück. Ähnlich geht es mir mit den unzähligen Content-Anbietern, die mich privat und beruflich jagen. Da wären mal die Serien- und Filmplattformen – auf Amazon, Netflix, Disney+, Apple TV+ und bald HBO Max bin ich sowieso registriert.

Und dann sind da noch die Gaming-Seite. Aufgrund meines privaten Interesses bin ich sowohl im Xbox- als auch im Playstation- sowie im Nintendo-Store aktiv. Kürzlich ist noch der neue Cloud-Gaming-Service Stadia dazugekommen.

Alle werben damit, dass laufend frischer Content nachgeliefert wird. Bei zehn abonnierten Streaming-Diensten heißt das: täglich! Wie soll man das mit Vollzeitjob und Familie konsumieren? Ich schaffe nicht einmal mehr das, was mich auch wirklich interessiert. Ist das mein persönliches Versagen oder ein Trend, der bald nicht nur mich stresst?

"Wandavision" auf Disney+ kann, muss man aber nicht gesehen haben.
Foto: Disney

Früher war alles ...

Vor 20 Jahren konnte man sich im Freundeskreis über eine Serie unterhalten. Warum? Weil es meist nur eine Handvoll wirklich guter Serien gab, auf die man zugreifen konnte. Nicht zu jeder Zeit, on demand gab es damals nämlich gar nichts. Öffnungszeiten und Hauptabendprogramm – es gab eine gewisse Ordnung und eine erforderliche Planung. Die Highlights kannte jeder zur gleichen Zeit.

Heute ist alles immer verfügbar, wann ich will, auf welchem Gerät ich es will. Das hat unendlich viele Vorteile, aber wenn mir im Bekanntenkreis jemand wieder einmal sagt, ich solle mir unbedingt diese eine Serie auf Kanal XY ansehen, dann verdrehe ich mittlerweile die Augen.

Letztens war ich dann fast so weit: Ich wollte Netflix abmelden. Die ständigen Empfehlungen des Dienstes selbst und die gutgemeinten Ratschläge in meinem Umfeld – mit wenigen Klicks endlich abgedreht, kein Stress mehr mit #Fomo ("Fear of missing out", also der Angst, etwas zu verpassen).

Einfach sagen können, kenn ich nicht, Dienst abbestellt. Das ist konsequent, das könnte das Leben erleichtern ...

Aber dann ist da doch die eine Serie, die ich gern schaue, und für Ende April ist auch schon die nächste angekündigt, die mich interessiert. Der Trailer war zwar kurz, aber nach dem Cliffhanger muss ich auch die dritte Staffel sehen. Schließlich habe ich in diese Serie einiges an Zeit investiert. Ähnlich geht es mir mit Disney+. Gerade ist Wandavision zu Ende, da fängt schon Falcon and the Winter Soldier an. Marvel-Fan mit Zeitmangel darf man heute nicht mehr sein.

Mit "Outriders" kommt in den nächsten Wochen der nächste Loot-Shooter, der Spieler über Jahre beschäftigt halten soll.
Foto: Square Enix

Reduktion

Bei Spielen ist es noch intensiver. Abgesehen von Mehrspieler-Spielen, die man mit und gegen Freunde spielen kann, ist ja kein Ziel absehbar – nicht so wie bei Schach oder Mühle. Dann hat sich die Gaming-Industrie noch Games as a service überlegt. Spiele, die ewig mit Inhalt gefüllt werden, bis das Spiel oder ich platzen. Ich rede jetzt gar nicht von Online-Rollenspielen wie World of Warcraft, die mich rund sieben Jahre alles andere haben vergessen lassen und mich jede freie Sekunde in sich hineingezogen haben. Nein, es gibt sie an jeder Ecke.

Vor allem diese populären Shooter, in denen man auch schon mal 17 Stunden am Tag verbringen kann, sparen nicht mit neuen Umgebungen und Figuren, die das Spiel immer wieder interessant machen. Man kennt sich grundsätzlich mit der Spielmechanik aus, muss kaum etwas neu lernen und bekommt trotzdem einen Kick, wenn man nach ein paar Wochen oder Monaten wieder einsteigt. Genial. Als würde bei Schach einmal im Jahr eine Figur ausgetauscht werden, weshalb man als Spieler unbedingt erfahren will, wie sich das auf das Konzept auswirkt. Kein Läufer mehr, stattdessen ein Sprinter, der vielleicht nur drei Felder fahren kann, dafür aber quer oder geradeaus?

Auch das Angebot wird immer breiter. Indie-Games in Pixeloptik kommen gefühlt stündlich auf den Markt, der Nachschub an Blockbustern stottert derzeit nur wegen pandemiebedingter Verzögerungen. Aber es gibt ja mittlerweile Onlinestores auf jeder Plattform, damit man täglich mit neuen Rabatten gelockt wird. Spiele unter fünf Euro, die neuesten Games um 25 Prozent reduziert. Der Xbox Game Pass verspricht mehrere hundert Spiele für zwölf Euro im Monat. Da muss man fast zugreifen, oder? Jetzt sogar inklusive EA Play, das heißt noch einmal 60 Spielen mehr. Sogar Sony verschenkt schon Playstation-Spiele. Von Steam fange ich jetzt erst gar nicht an. Dort wird schon seit Jahren nur noch ein Bruchteil von dem wirklich gespielt, was bei diversen Schlussverkäufen auf die Festplatte wandert. Spiele, die man sich für später aufhebt, sind mittlerweile ein solches Phänomen, dass es einen eigenen Namen hat: "Pile of Shame".

Der Game Pass von Microsoft füllt regelmäßig das Angebot mit neuen Spielen auf.
Foto: Microsoft

Reißleine ziehen

Heilmittel gibt es keines, außer sich selbst Entschlackung zu verordnen. Mal drei Dienste abdrehen und einen anderen dafür gezielt nutzen. Den Second und Third Screen beiseitelegen und dem ersten Bildschirm die volle Aufmerksamkeit schenken. Den Ton am Smartphone deaktivieren und die Klopause mit einer zerknüllten Zeitschrift oder den eigenen Gedanken verbringen, anstatt Tiktok und Instagram zu checken. Einfach mal ausprobieren. Was kann schon passieren? (Alexander Amon, 20.3.2021)