Die Volkspartei blockiert, die Grünen wehren sich kaum, und die erhoffte Klimawende blieb aus, bilanziert Klimaaktivist Michael Spiekermann im Gastkommentar.

Warum müssen wir eure Ignoranz ausbaden? Aktivistin der Fridays for Future bei einer Demonstration im Herbst in Wien.
Foto: AFP / Joe Klamar

Im vor genau einem Jahr veröffentlichen Regierungsabkommen wurde der Klimaschutz großgeschrieben. Nun, nach Ende des Corona-Jahres 2020, zeigt sich, dass ein Großteil der bis Jahresende versprochenen Maßnahmen zu oberflächlich sind oder verschoben wurden. Im Detail: Die bereits umgesetzte erste Stufe der ökologischen Steuerreform ist unzureichend und wird die Emissionen kaum senken. Es gibt noch keinen Klimacheck, der gewährleistet, dass neue Gesetze und die Staatshilfen für Corona-gebeutelte Unternehmen einen Beitrag zum Klimaschutz leisten. Wann das für 2020 versprochene Klimaschutzgesetz kommen wird, weiß niemand. Das hat zur Folge, dass es nach Ablauf des alten Gesetzes am 31. Dezember 2020 nun erstmals seit Jahren keinerlei Emissionsobergrenzen für die verschiedenen Sektoren gibt.

Keine tiefgreifenden Veränderungen

Die ökologische Ausrichtung der Investitionsprämie hingegen ist ein wichtiger Erfolg, und Österreichs Beitrag zum internationalen UN-Klimaschutz-Topf wurde verfünffacht. Zudem gibt es viel Geld für Elektroautoförderungen, Radverkehr, klimafreundliche Heizungen und die Bahn.

Doch von den dringend notwendigen systemischen Veränderungen fehlt jede Spur. Dass die CO2-Emissionen in Österreich 2020 gesunken sind, hängt mit dem Lockdown zusammen, kaum aber mit der Klimapolitik der Regierung. Corona hat zweifelsohne viele Ressourcen der Ministerinnen und Minister beansprucht. Doch während die EU ihre Klimaschutzvorhaben nach Zeitplan umsetzte, sehen wir in Österreich Verzögerungen an allen Ecken und Enden. Und wenn sogar Hintergrundarbeiten wie die verpflichtende Klimaschutzstrategie für (teil)staatliche Unternehmen sowohl im Finanz- als auch im Klimaministerium nicht in Angriff genommen werden, dann ist die Pandemie wohl eher eine Ausrede als ein tatsächliches Hindernis.

Natürlich haben die Grünen nicht an allem Schuld. Klimaschutzblockaden sind in ÖVP-Regierungen nichts Neues. Kein Wunder, denn auch unter Sebastian Kurz ist die Volkspartei im Kern ein Sammelsurium unterschiedlichster Verbandsinteressen. Und wenn alle mitreden wollen, dann entstehen zwar abenteuerliche und teils sehr undurchsichtige Kompromisse, aber bei kosteneffizientem Klimaschutz versagt das System.

Ein Beispiel ist die von der ÖVP durchgesetzte Förderung von Biomassekraftwerken, deren Abwärme im Sommer nicht genutzt werden kann. Der Betrieb ist dadurch ineffizient, und das Absurde ist: Mit dem Geld, mit dem in den letzten Jahren die Verbrennung von Biomasse (also Holz) in Kraftwerken subventioniert wurde, hätte man circa die Hälfte der österreichischen Ölheizungen durch Pelletheizungen ersetzen können. Das hätte nicht nur deutlich mehr CO2 gespart, sondern auch der heimischen Forstwirtschaft am Ende des Tages mehr Absatz gebracht als die Ökostromerzeugung.

Die Regierung betreibt Greenwashing.

Türkise und Grüne reden gerne über "wichtige Etappensiege" im Klimaschutz. Doch was wir dringend bräuchten, ist Mut zur Selbstreflexion: Reichen die Maßnahmen auch für die Einhaltung des Pariser Klimaabkommens? Ein Beispiel: Die Grünen loben, dass es nie zuvor mehr Budget für den Klimaschutz gegeben habe. Das ist schön, aber wer erklärt den Menschen, dass die Wirkung klimafreundlicher Förderungen bereits ziemlich ausgeschöpft ist und es nun viel mehr auf gesetzliche Maßnahmen ankommt?

Und als beim EU-Umweltrat wichtige Beschlüsse zum neuen Klimaziel vertagt wurden, sprach Leonore Gewessler von "begrüßenswerten Teilerfolgen", anstatt öffentlich kundzutun, dass die Ambitionen der EU-Staaten nicht ansatzweise dem 1,5-Grad-Ziel gerecht werden. Warum beschönigt eine Klimaministerin dieses Versagen? Wo bleibt der Weckruf, dass das aktuelle Verständnis von Politik die Lebensgrundlagen und die Sicherheit der jungen Generation gefährdet?

Klimaschutz ist kein Ökothema.

Weite Teile der ÖVP wissen weder über die sozialen noch über die wirtschaftlichen Folgen der Erderhitzung Bescheid, wie dutzende Treffen der Fridays for Future mit türkisen Politikerinnen und Politikern auf eindrückliche und erschreckende Weise zeigten. Wie konnte das passieren?

Die Klimarettung ist die zentrale Herausforderung des 21. Jahrhunderts – höchst relevant für alle Parteien. Unser Erfolg oder Versagen wird über Krieg und Frieden entscheiden, über soziale Gerechtigkeit, wirtschaftliche Stabilität in Europa und weltweit und vieles mehr. Darauf hinzuweisen, dass ein bis Ende des Jahrhunderts um vier Grad heißerer Planet unsere moderne Zivilisation bedroht, hat nichts mit Parteiinteressen zu tun. Das ist nüchterne Risikoanalyse auf Basis geophysikalischer Fakten.

Die Grünen könnten doch genau diese Botschaft stärker kommunizieren und im selben Atemzug die Chancen nachhaltiger Entwicklung für die Wirtschaft und ein gutes Leben aufzeigen. Als Koalitionspartner sollten sie die Sprache der ÖVP lernen. Weniger ideologisch argumentieren und Expertinnen und Experten finden, die den Türkisen erklären, dass halbgare Klimapolitik Staatshaushalt, Standort und Sicherheit gefährden.

Was muss 2021 geschehen?

Österreich kann sich nicht aus der Klimakrise "raussubventionieren". Statt noch mehr Fördergeldern braucht es dringend ein starkes Klimaschutzgesetz mit Verantwortlichkeiten und klaren Zielen für alle Sektoren, sprich Planungssicherheit für Betriebe.

Und ohne eine tiefgreifende Reform des Steuersystems (inklusive Abschaffung fossiler Subventionen wie dem Dieselprivileg) wird Österreich seine Abhängigkeit von Erdöl und Gas im Verkehr, Gebäudesektor und der Industrie nicht überwinden können. CO2 muss entsprechend den dadurch verursachten Schäden besteuert werden. Steuern auf menschliche Arbeit können im Gegenzug sinken, was zugleich in der Wirtschaftskrise gefragte Arbeitsplätze schafft.

Solange Türkis und Grün nicht die großen Hebel im Klimaschutz umlegen, vergeuden sie wertvolle Zeit ohne nennenswerten Nutzen. Wenn die ÖVP nicht willig ist, sollen die Grünen an die Öffentlichkeit gehen und aufzeigen, wo blockiert wird. Wer im Jahr 2021 noch immer Klimaschutz verhindert, ist weder christlich-sozial noch wirtschaftsfreundlich.

Außerdem fordert Fridays for Future, dass die Klimakrise angesichts der hohen Dringlichkeit medial präsent wird. Dass die Regierung dafür sorgen kann, zeigten die täglichen Pressekonferenzen zur Corona-Krise. Greta Thunberg findet hier klare Worte: "Man kann eine Krise nicht lösen, ohne sie als Krise zu behandeln." 2021 muss Österreichs Kehrtwende im Klimaschutz kommen. Und klar ist: Fridays for Future wird wieder auf der Straße sein, sobald es die Umstände zulassen. Die Klimakrise ist dringlicher denn je. (Michael Spiekermann, 7.1.2020)