Haiyti hat die "richtigen" Fans, wartet aber noch auf den Durchbruch.

Foto: imago/Future Image

Eines der Probleme, die die 27-jährige Rapperin Ronja Zschoche alias Haiyti hat, formulierte sie selbst in gewohnt lakonischer Manier auf ihrem 2018 erschienenen Album Montenegro Zero. Im Refrain des Openers kreischt sie autogetunt: "Ich hab 100.000 Fans / die mich noch nicht kennen". Zschoche bescheinigte sich selbst großes Potenzial bei gleichzeitigem Wissen, dass es noch nicht ausgeschöpft ist. Etwas mehr als zwei Jahre später – ihr aktuelles Album Influencer ist im Dezember erschienen – ist es das immer noch nicht.

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Haiyti kotzt sich die Seele vor allem auf Trap-Beats aus. Es geht um Materielles und Illegales, aber auch um verletzte Gefühle, unerwiderte Liebe und eine schmerzvolle Leere, die sich auch durch den imaginierten Überfluss nicht füllen lässt. Ein bisschen hat das was von Dekadenzdichtung, Paul Verlaine würde das liken. Zwar lässt sich in aktueller Popmusik allenthalben ein Trend zum Verhandeln von Depressionen feststellen, so plastisch über Suizidgedanken wie Haiyti sprechen aber wenige: "Kopf in der Schlinge / Cops kommen klingeln / Badewanne voll, in der Hand ein paar Pillen", hieß es schon 2016 auf der hervorragenden Nummer Ein Messer.

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Gute Kritik, wenige Klicks

Dabei hat Haiyti fraglos die "richtigen" Fans: Menschen, die sich vielleicht gar nicht so sehr für Cloud- oder Deutschrap an sich interessieren, in Haiyti aber ein besonderes Talent erkannt haben. Denn in schludrigster Manier schießt sie im Rappen über Oberflächlichkeiten Tiefgang aus der Hüfte.

Haiyti hat nicht zuletzt deswegen das deutsche Feuilleton auf ihrer Seite, das sie regelmäßig über den grünen Klee lobt, die beste Rapperin des Landes nennt. Wobei beste hier sicherlich nicht technisch beste meint, sondern spannendste. Was Haiyti aber nicht hat, sind die Klicks, die Erfolg heute definieren. Zwar dient sich immer mal wieder eine ihrer Nummer in relevanten Deutschrap-Playlists wie "Modus Mio" hoch, das Video zu Coco Chanel bescherte ihr Presse, weil es in der "Strache-Villa" auf Ibiza gedreht wurde. Doch ein richtiger Lauf war ihr nicht vergönnt.

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Ihre Texte schreibt Haiyti in wenigen Minuten, was auch erklärt, wie sie zu ihrem hohen Output kommt: 2015 erschien das erste Album. Seitdem gab es von ihr vier weitere Alben. Zwei davon, Sui Sui – auch hier geht es um Suizid – und Influencer, erschienen im letzten Jahr. Außerdem legte sie vier Mixtapes und sechs EPs vor.

Die Masse ist hier (auch) die Message. Kollege Trettmann formulierte es einmal so: "Baller’ raus / nimm’s nicht mit ins Grab". Dieses Präsenz- und Potenzzeigen durch Quantität ist als Phänomen kommend aus der amerikanischen Rapszene längst etabliert. Im Dach-Raum war es wohl der Österreicher Money Boy – auch er arbeitete bereits mit Haiyti –, der das zuerst adaptierte. Seit 2010 ballerte er mehr als 50 Veröffentlichungen raus. So wie bei ihm, Haiyti und vielen anderen über den Überfluss an materiellen Gütern gerappt wird, wird der Überfluss durch unablässiges Veröffentlichen selbst generiert. Dem Hörer wird damit die Aufgabe übertragen, zu filtern, was gut und was Schrott ist.

Was die Kids wollen

Wer mit der Musikindustrie der alten Schule vertraut ist, würde annehmen, dass dieses unfokussierte "Rausballern" der Grund wäre, warum Haiyti bisher keine relevanten Charterfolge einstreifen konnte.

Dem ist aber nicht so. Auch ein Kollege wie Ufo361 liefert gefühlt jeden Tag eine neue Veröffentlichung, was seinem Erfolg aber keinen Abbruch tut. Auch er rappt über Depressionen und Versagensängste und ist wie Haiyti independent geblieben, vertreibt sein Werk also über sein eigenes Label. Gleichzeitig bedient er aber auch, was die Kids wollen: belanglose Tracks über Diamanten auf den Zähnen, Bitches und Diamanten auf Bitches. Und er ist, na ja, ein Mann.

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Die Frauen, die im Deutschrap gerade schwer erfolgreich sind, vermarkten sich stark über Sexiness wie Loredana oder Shirin David, die als Infuencerinnen bekannt geworden sind. Für sie ist Rap in erster Linie eine Möglichkeit zur Monetarisierung ihrer Social-Media-Präsenz. Aber auch andere deutsche Rapperinnen wie Nura, die chartrelevant sind, provozieren und spielen mit Obszönitäten, thematisieren Sex.

Sex spielt bei Haiyti aber kaum eine Rolle. Und es scheint leider so, als ob das der Hauptgrund für die fehlenden Klicks ist. Teenies wollen, so zeigen es die Charts, dass Rapperinnen sich über Sexiness vermarkten oder mit dem Thema provozieren, während die Männer deutlich mehr Freiheiten in ihrer Themenwahl haben. So wird Haiyti weiterhin auf 100.000 Fans warten müssen. (Amira Ben Saoud, 7.1.2021)