Erst ab einem geschätzten Auftragswert von 100.000 Euro muss die öffentliche Hand eine Ausschreibung machen. Experten sehen darin kein Vehikel zur Freunderlwirtschaft. Problematisch seien eher Riesenausschreibungen wie zuletzt bei PR-Leistungen für Türkis-Grün.

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Am Ende wurde es noch einmal spannend. Die Justizministerin ließ sich bis zum 23. Dezember mit der Verordnung Zeit, die die Schwellenwerte für Direktvergaben regelt. Dass sie verlängert würden, war von Experten erwartet worden. Wirtschaftskammer-Generalsekretär Karl-Heinz Kopf hätte sich angesichts der Corona-Pandemie gar eine Anhebung der Schwellenwerte für Direktvergaben gewünscht.

Jedenfalls darf die öffentliche Hand nun bis Ende 2022 bei Aufträgen von bis zu 100.000 Euro netto quasi einkaufen wie ein privates Unternehmen. Erst darüber müssen Aufträge ausgeschrieben werden. Bei Bauaufträgen sind nicht offene Verfahren ohne Bekanntmachen bei Aufträgen von bis zu einer Million Euro zulässig. Die Schwellenwerte wären ohne entsprechende Verordnung mit Jahresende ausgelaufen – und auf 50.000 Euro für Direktvergaben und auf 300.000 Euro für Bauvorhaben zurückgefallen.

Krisenverordnung seit 2009

Die höheren Schwellenwerte gelten hierzulande seit 2009. Gedacht war und ist die entsprechende Verordnung als Kriseninstrument: Die öffentliche Hand soll Aufträge möglichst einfach und unbürokratisch an Unternehmen vergeben können. Aber auch abseits von Wirtschaftskrisen mache es Sinn, die Schwellenwerte dort zu belassen, wo sie seit der Finanzkrise sind, sagen Experten.

Anwalt und Vergaberechtsexperte Martin Schiefer ist einer von ihnen. In den EU-Richtlinien, die niedrigere Schwellenwerte für Direktvergaben vorsehen, sieht er das Ergebnis einer vorrangig akademischen Debatte. "In der Praxis würden sich nicht viele europäische Anbieter um kleine regionale Aufträge in Österreich bewerben, wenn diese ausgeschrieben würden", sagt er.

Freunderlwirtschaft

Am Ende bekämen womöglich dieselben Unternehmen den Zuschlag, die bereits jetzt von Gemeinden oder anderen Einrichtungen beauftragt werden. "Aber die Kosten sind bei Auftraggeber wie Anbieter ungleich geringer, wenn direkt vergeben werden kann", so Schiefer.

Der Vorteil der vereinfachten Direktvergabe liegt laut WKO-Generalsekretär Kopf auf der Hand. Beschleunigte Verfahren seien ein wichtiges Instrument, heimischen Betrieben die Auftragsbücher zu füllen und ihnen so durch die Krise zu helfen. Gleichzeitig betont Kopf, dass auch bei beschleunigten Verfahren das Bundesvergabegesetz gelte – und nicht Willkür.

Dass höhere Schwellenwerte bei Direktvergaben für Korruption und Freunderlwirtschaft missbraucht werden, glaubt auch Anwalt Schiefer nicht: Die Gefahr, dass Auftraggeber einen großen Auftrag in viele kleine Lose stückeln, die dann direkt vergeben werden, sei gering. "Die Lose müssen sachgerecht beschrieben und der Auftragswert entsprechend geschätzt werden – auch bei Direktvergaben", so der Experte.

Riesen-Aufträge

Für Aufsehen sorgten letzthin aber weniger Vergaben unterhalb der Schwelle von 100.000 Euro als Megaausschreibungen des Bundes für PR-Leistungen und Werbeschaltungen. Wie berichtet, schrieb Türkis-Grün über die Bundesbeschaffung eine Rahmenvereinbarung für Kreativleistungen im Wert von bis zu 30 Millionen Euro und für Mediaschaltungen im Wert von bis zu 180 Mio. Euro aus. Rahmenvereinbarung heißt: Der Bund kann von den Vertragspartnern der Vereinbarung Leistungen bis zum vereinbarten Rahmen abrufen – aber er muss nicht.

Experten sehen in solchen Rahmenvereinbarungen ein Vehikel für unzulässige Direktvergaben. Wird die Vereinbarung mit vielen Anbietern getroffen, kann der Bund einzelne davon mit Aufträgen von – im konkreten Fall – bis zu 30 bzw. 180 Mio. Euro versorgen. Verglichen damit sind 100.000 Euro nichts. (Aloysius Widmann, 7.1.2020)