Nicht gerade nette Nordmänner im Serientrend, hier Wikinger Bjorn Eisenseite (Alexander Ludwig).

Foto: History/Amazon Prime Video

Wenn zwei sich streiten, freut sich nicht immer der Dritte. Häufig freut sich auch einfach der Erste. Nämlich der Überlebende in einem Duell.

Unter den Germanen gab es einst ein Ritual, das Holmgang genannt wurde. In der Serie Norsemen gibt es gleich zu Beginn ein drastisches Beispiel, was damit genau gemeint sein konnte: Bei einem Holmgang kann nämlich einer einfach so daherkommen und einen anderen herausfordern zwecks Übergabe von Frau, Besitz und letztlich Leben. Entschieden wird die Sache dann mit dem Schwert.

Dass dabei die Risiken sehr ungleich verteilt sind, ist wohl Teil einer komischen Übertreibung. Denn Norsemen macht sich lustig – über die Vorstellungen von Wikingern, Germanen und anderen Völkern jenseits einer Kulturgrenze.

Holmgang mit Jeff Bezos

Wo der Holmgang gepflogen wird, da ist die Zivilisation noch nicht angekommen. Da herrschen Bräuche, die man gern als barbarisch bezeichnet. In unserer modernen Welt würde sich einer, der zum Beispiel Jeff Bezos zu einem Holmgang fordert, lächerlich machen.

Dabei würde sich das echt auszahlen: Man müsste den reichsten Amerikaner nur in Stücke hauen, die Umwidmung seiner Milliarden auf das eigene Konto müsste dann eine von den Wanen vornehmen, so heißen Gottheiten, die bei den Nordleuten für das Haushaltseinkommen zuständig sind. Bei den Wikingern kam dieses Einkommen bekanntlich von Raubzügen, da war das Leben ein permanenter, unerklärter Holmgang.

Die Nordmänner sind also nicht gerade erfreuliche Zeitgenossen. Aber sie sind offensichtlich populär: Wenn man alles zusammenzählt, was auf dem Streamingportalen derzeit so an Barbaren herumfleucht, kommt man auf eine Menge. Vikings bog gerade auf die Zielgerade ein. Im deutschen Wald braut sich gegen die Römer etwas zusammen in einer Serie, die mit ihrem Namen auch gleich das Pilum auf das Sternum setzt (also dort hingeht, wo es wehtut): Sie heißt einfach Barbaren, lässt dabei aber durchaus Spielraum, ob nun der Stamm der Brukterer barbarischer ist als jener der Cherusker.

"Lieber nicht" in den Tod springen

Norsemen ist zu dem ganzen Boom der wilden Hünen mit den unzähmbaren Bärten der ironische Kommentar. Die enge Beziehung, die alle Ritter Odins oder Wotans zum Tod unterhalten, wird in Norsemen durch ein einfaches "Ich möchte lieber nicht" unterbrochen – dass ein alter Brauch namens Aettestup alle alten Leute dazu zwingt, zur Entlastung des nördlichen Pensionssystems von einem Felsen in den Tod zu springen, muss man nicht prinzipiell infrage stellen. Es reicht schon, wenn man sich selbst als Ausnahme setzt: Aettestup gern ohne mich.

Barbaren sind ja im Grunde wie wir – bevor das Lesen und Roden in die Gänge kamen.

Zum größeren Horizont des Booms gehört natürlich auch noch Game of Thrones, das beträchtliche nordsagenhafte Akzente interessanterweise mit einem südlichen Barbarenmythos mischte: Die Dothraki mochte man als eine Art Hunnenvolk sehen, das aus den zentralasiatischen Tiefebenen ins Persische verrutscht war. In der inneren Logik der Serie verband sich aber gerade mit der Begegnung der nördlichen Halbhochkultur von Westeros mit dem Nomadenvolk hinten unten die Initialzündung für alles: die Wiedergeburt der Drachen.

Global entgrenzt

Geschichten von ungehobelten Völkern haben den Gang der Menschheit durch die Zeiten und Kulturen begleitet. Trotzdem ist es ein paar Gedanken wert, warum ausgerechnet jetzt auf den Streamingplattformen die Barbaren wieder so hoch im Kurs sind. Denn eigentlich sind Netflix und Amazon ja gerade der Beweis dafür, dass diese älteste Grenze überhaupt endgültig überwunden ist: Unter dem globalen Regime der abrufbaren Geschichten gibt es kein Außen mehr. Alles ist inzwischen eingemeindet, man muss schon sehr weit in den Amazonas eindringen oder über die Latschengrenze hinauskraxeln, um noch irgendwo Menschen zu finden, die niemanden kennen, der ein Netflix-Abo hat. Dieser Umstand einer sehr weit fortgeschrittenen medialen Integration legt aber auch schon die Antwort auf die entsprechende Frage nahe: Gerade wegen ihrer beträchtlichen Effekte der globalen Uniformierung muss gerade eine Firma wie Netflix an Differenz gelegen sein. Und die Differenz zwischen drinnen und draußen, zwischen Zivilisation und Barbaren ist nun einmal zentrales Erbmaterial aller Erzählwelten seit Agamemnon vor Troja.

In Ansätzen aufgeklärt

Die Nordleute eignen sich für heutige, in Ansätzen aufgeklärte Barbarengeschichten, weil sie mehr oder weniger auf einer Binnendifferenz beruhen: Sie sind ja im Grunde wie wir, nur früher, also bevor mit christlichen Klöstern das Lesen und das Roden in die Gänge kamen.

Vikings beginnt nicht von ungefähr mit einem kulturellen Austausch: Ragnar Lothbrok fährt zum Rauben und Plündern ausnahmsweise einmal nach Westen, stößt dort auf das Kloster Lindisfarne und bringt einen Mönch mit nach Kattegat, in das Wikingerdorf. Das ist eine Grundidee, die auch Umberto Eco gefallen hätte, der intellektuelle Tatsachen gern in spannenden Erzählungen versteckt hat. Athelstan heißt der Priester, er ist eine Art trojanisches Pferd.

Hintersinn ohne Absicht

Eine vergleichbare Figur ist der deutsche Urheld Arminius alias Ari in der Netflix-Serie Barbaren. Nicht erst seit Heinrich von Kleist beschäftigt dieser romanisierte Hermann die nationale Seele. Dass er von dem Österreicher Laurence Rupp gespielt wird, hätte vermutlich Claus Peymann gefallen – seine Interpretation von Kleists Hermannsschlacht hat Generationen von Burgtheater-Besuchern den inneren Barbaren durch Feingeist ausgetrieben. Dass mit Sophie Rois ein Theaterstar der Berliner Volksbühne des Stoffezertrümmerers Frank Castorf die Seherin Runa (!) spielt, ist ein so hintersinniges Manöver, dass vermutlich nicht einmal Absicht dahintersteckt.

Richard Wagner wäre heute Netflix-Autor und Hitlers Lieblingsoper Rienzi eine ideale Vorlage.

Der Gag von Barbaren besteht darin, dass die geläufige Ordnung umgedreht wird: Die Römer sprechen zwar Latein, haben aber alle Züge einer Tyrannenherrschaft, sind also die eigentlich Unzivilisierten. Denn nach einigen Jahrhunderten mit Kämpfen gegen Kolonialherrschaften weiß man, dass die Bösen immer bei der Hegemonialmacht zu suchen sind, während die Wilden die Edlen sind. Das gilt auch dann noch, wenn Arminius in einem dunklen Grund den Hermann in sich entdeckt, als wäre er aus Drachenblut geboren.

Schmafu und Kulturtabu

Barbaren ist insgesamt ein ordentlicher Schmafu, zeugt mit seiner mythologischen Unbekümmertheit aber auch davon, dass ein wichtiges Kulturtabu nicht mehr gilt. Denn die Begeisterung für alles Nördliche und Walhallische, die am Limes gleich hinter der Donau beginnt, war ja durch die Nazis verdorben. Längst aber ist der Zivilisationsbruch durch den Faschismus von der Unterhaltungsindustrie weggearbeitet worden, und wir sind mit Netflix und Co wieder dort, wo die ganze Geschichte mit den Sagen begann: im 19. Jahrhundert, als erstmals nicht mehr nur das oberste ein Prozent ein gewisses Maß an Behaglichkeit erleben durfte, das überhaupt erst ein Bedürfnis nach Sagengenuss wecken konnte. Richard Wagner wäre heute sicher Netflix-Autor, und Hitlers Lieblingsoper wäre eine ideale Vorlage: Rienzi, eine Geschichte aus dem nicht mehr ganz alten Rom, wie sie sich der britische Erzählstar Edward Bulwer-Lytton (ein Michael Köhlmeier seiner Ära) vorstellte und wie sie bei Wagner zum Nährboden für gänzlich fantasierte Vergangenheiten wurde.

Met, Orgie oder Holmgang

"Wir werden den Verlauf der Geschichte verändern", steht als Motto über der Serie Barbaren. Es bedurfte nach Hermann einiger Jahrhunderte der Völkerwanderung und christlichen Dogmenverwirrung, bis vom Imperium Romanum übrig blieb, was bis heute Bestand hat: eine Vorstellung von Ordnung und Klassizität, die so fad ist, dass sie dringend mit ein paar Humpen Met und einer Orgie bekämpft werden muss. Oder mit einem Holmgang.

Als Umverteilungsinstrument ist ein Holmgang weniger brauchbar als eine vernünftige Erbschaftssteuer. Aber als Aufmischung geläufiger Vorstellung macht er Sinn. Deswegen werden wir immer wieder mit Barbaren jeglicher Façon auf den dunklen Grund unserer Unterhaltungsbedürfnisse zuhalten. (Bert Rebhandl, 7.1.2021)