Kanzler Sebastian Kurz (ÖVP) und Gesundheitsminister Rudolf Anschober (Grüne) wollen, dass nun doch schneller mehr Impfungen stattfinden als ursprünglich geplant.

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Der öffentliche Unmut wächst, die Opposition tobt, viele Fragen bleiben unbeantwortet – der zuerst noch groß inszenierte Impfstart in Österreich setzt die Bundesregierung zunehmend unter Druck. "Seit der ersten, öffentlichkeitswirksamen Showimpfung am 27. Dezember ist viel zu wenig geimpft worden", kritisiert Harald Mayer, Vizepräsident der Österreichischen Ärztekammer. "Die Bevölkerung braucht klare, konkrete Pläne statt Showpolitik und Chaos."

Bisher sind in Österreich nach Angaben des Gesundheitsministeriums 6770 Menschen geimpft worden, seit Silvester sogar bloß 700 – wobei die Zahlen nicht tagesaktuell eingemeldet werden. Ganz klar ist es also nicht. In Deutschland haben – zum Vergleich – allein in Alten- und Pflegeheimen bereits 190.000 Menschen eine Impfung erhalten.

Am Dreikönigstag rückte der Kanzler aus, um zu erklären, dass der – laut altem Plan für 12. Jänner geplante – breitere Impfbeginn nun vorverlegt werde: "Beim Impfen geht es um Schnelligkeit und um Menschenleben. Daher gibt es keinen Grund, dass Impfdosen über Wochen zwischengelagert werden", sagt Kanzler Sebastian Kurz (ÖVP).

Niemand will schuld sein

Im Gesundheitsministerium wird beteuert, dass die logistische Herausforderung groß sei und der Impfstoff in der Handhabung kompliziert. Kritik, dass zu wenig Vorbereitungen getroffen worden seien, lässt man dort aber nicht gelten: "Es ist alles gut vorbereitet, wir liefern aus und liegen im Plan, fürs Impfen sind die Länder zuständig", heißt es aus dem Ressort von Minister Rudolf Anschober (Grüne). Auch Verteidigungsministerin Klaudia Tanner (ÖVP) appellierte am Mittwoch an die Einrichtungen in allen Bundesländern, die Impfstoffe abzurufen: "Nur wenn der Impfstoff angefordert wird, können die zuständigen Stellen die Impfstoffe auch liefern."

In den Ländern wird wiederum auf die Bundesregierung verwiesen: "Wenn wir mehr impfen sollen, muss es mehr Dosen geben", sagt Gerd Kurath, Sprecher des Kärntner Corona-Expertenkoordinationsgremiums im STANDARD-Gespräch. "Und der Bund muss uns sagen, wie viel Impfstoff wir abrufen können." Ständig gebe es Änderungen, moniert Kurath. "Man wird fast jeden Tag aufs Neue überrascht."

Dafür, warum nun tatsächlich nicht schneller geimpft werden konnte, hat jeder Beteiligte eine andere Erklärung parat: Die Heime seien schlecht vorbereitet worden; die um ein paar Tage frühere Zulassung des ersten Impfstoffs habe das Gesundheitsministerium überrumpelt – oder eben auch: Eigentlich laufe doch alles nach Plan, wie Chief Medical Officer Katharina Reich, neue Sektionschefin im Gesundheitsministerium, in der ZiB 2 erklärte.

Dezentrale Vorgehensweise

Logistische Schwierigkeiten ergeben sich jedenfalls daraus, dass die Verimpfung der Dosen in Österreich – im Gegensatz beispielsweise zu Deutschland – dezentral stattfindet: Der Impfstoff wird "zu den Menschen gebracht", wie Anschober sagt – also direkt in die betreffenden Einrichtungen. Seit Dienstag können die Trägerorganisationen der mehr als 900 Alten- und Pflegeheime in Österreich beim E-Shop der Bundesbeschaffung GmbH Impfdosen bestellen. Diese werden dann zusammen mit Spritzen und Nadeln durch den Pharma-Großhandel ausgeliefert.

Die Erhebung des Gesamtbedarfs in den Alten- und Pflegeheimen in den einzelnen Bundesländern war auch Anfang dieser Woche zumindest noch nicht in allen Ländern abgeschlossen. Daraus wurde bzw. wird ein Verteilungsschlüssel erstellt, anhand dessen die Impfdosen aufgeteilt werden; der Großteil der in der vergangenen Woche nach Österreich gelieferten 63.000 Dosen blieb vorerst jedoch liegen. Nach anhaltender Kritik sollen nun noch in dieser Woche über 21.000 Dosen verimpft werden.

Auch in der Bioethikkommission hält man das Vorgehen für zu lasch: "Klarerweise sollte aus ethischer Sicht jede Verzögerung vermieden werden. Besonders in der jetzigen Situation, in der wir mit Hinblick auf die Mutationen nicht genau wissen, wie sich diese auf die Übertragbarkeit auswirken werden", sagt Vorsitzende Christiane Druml zum STANDARD. Bei "allen Schwierigkeiten", die die Logistik mit sich bringe, sei vieles schon vorab zu klären gewesen: Wer tatsächlich impfwillig sei, "hätte man auch im September oder Oktober fragen können".

Vorbild Deutschland

Druml meint, man hätte alle Impfwilligen unter den Hochrisikogruppen etwa vorab in zentrale Impfstellen einladen können. Ein ähnliches Vorgehen hat Deutschland gewählt: Dort ließ der Bund mehrere Zehntausend Dosen an insgesamt 27 Standorte liefern, von wo aus sie an zentrale Impfzentren und mobile Teams verteilt werden. Letztere sollen vor allem Pflege- und Altenheime besuchen, um das Personal und die Bewohner zu impfen.

Die SPÖ will am Donnerstag eine Sondersitzung des Nationalrats beantragen. Parteichefin Pamela Rendi-Wagner sieht die Impfaktion durch "Chaos, Zögern und Pannen" gefährdet und spricht von "fahrlässigem" Vorgehen der Regierung. Auch FPÖ-Chef Norbert Hofer attestiert ÖVP und Grünen "Versagen". "Jeden Tag sterben Menschen in Alters- und Pflegeheimen, weil die Regierung die gefährdetsten Einrichtungen wider besseres Wissen bis heute nicht ausreichend schützt", sagt Neos-Gesundheitssprecher Gerald Loacker. (Vanessa Gaigg, Katharina Mittelstaedt, 7.1.2021)