Trump-Fans wollen in das Kapitol eindringen.

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"Ich könnte jemanden erschießen und würde trotzdem keine Wähler verlieren." In diesem Satz eines amerikanischen Präsidenten liegt, wie wir spätestens seit gestern wissen, ein – sein – politisches Programm. Donald Trump musste niemanden erschießen, um trotz dieser eher beiläufig zur Kenntnis genommenen Ungeheuerlichkeit im Kampf um eine Amtsverlängerung mehr Wähler zu gewinnen als vier Jahre zuvor der Kandidat. Ausgestattet mit einem solchen Vertrauen in seine Ausstrahlung, gestattet er sich nun die Überzeugung, er könne gar keine Wahlen verlieren – wenn es äußerlich doch so aussehe, liege das nur an einem Triumph des Diebstahls über die Demokratie. Und wenn er nun mit der kaum verhohlenen Aufforderung an seine Wähler zum Sturm auf das Kapitol Schlimmeres angerichtet hat, als eine Person zu erschießen, sei das nur in demokratischer Notwehr geschehen.

Die amerikanische Welt des Querdenkens

Es handelt sich bei diesem Denkmuster um die große, die amerikanische Welt des Querdenkens, das derzeit auch in vielen kleineren Welten seine Probe hält, und Österreich ist da leider keine Insel der Seligen. Längst geht es nicht mehr um verqueres Denken verschrobener Einzelgänger, wie es sie immer gegeben hat, sondern um Zusammenrottungen von Personen, die sich vom Gemeinwesen ausgelagert fühlen, sich digital vernetzt auf den Straßen zusammenfinden, um dort reichsbürgerlich verbunden ihren Verschwörungsfantasien Luft zu verschaffen. Dass sie dabei die Geschäfte von Rechtsextremisten und Neonazis mitbesorgen, scheint bisher jedenfalls nicht weiter zu stören.

An verbaler Gewalt fehlt es dabei nicht, und es ist nur eine Frage der Zeit, bis sie in reale umschlägt. Das schließlich ist das Ziel von Aufforderungen zu Anschlägen auf Polizeikommissariate, Brandlegungen an Regierungsgebäuden, "Hausbesuchen" bei Politikern, deren Wohnadressen veröffentlicht werden, etc. Dass Journalisten und die "Lügenpresse" zu den Hassobjekten der Superpatrioten gehören, versteht sich von selbst.

Aufgabe eines demokratischen Staates wäre es, diesen unter Erlösungsvorwand auftretenden Straßenterror in seinen äußeren Erscheinungen und in seinen Ursachen zu bekämpfen. Weder das eine noch das andere ist Behörden und Regierung bisher gelungen. Vielleicht beruhigt man sich damit, dass hiesige Kämpfer gegen die Regierungsdiktatur noch nicht bis an die Zähne bewaffnet auftreten wie amerikanische, auch wenn immer wieder Waffenmagazine auffliegen.

Grundrecht der Versammlungsfreiheit

Nun ist es gewiss heikel, am Grundrecht der Versammlungsfreiheit zu rühren. Aber wenn der Innenminister schon zu der Erkenntnis kommt, dieses dürfe nicht zum Missbrauch durch Feinde der Demokratie führen, sollte er auch danach handeln, statt rechtsextremistisch aufgeladene Aufmärsche schützend durch die Straßen geleiten zu lassen. Dass die Verwirrung, mit der die Regierung nun seit Monaten das Unbehagen vor einer "Corona-Diktatur" eher nährt als bekämpft, liefert Querköpfen einen Vorwand. Das Parlament im türkisen Zangengriff von Kanzler und Nationalratspräsident die Geringschätzung der Regierenden spüren zu lassen wird Identitäre ebenso wenig stören wie der schlampige Umgang mit der Verfassung. Gegen Verschwörungsfantasien ist Glaubwürdigkeit kein schlechtes Rezept. (Günter Traxler, 7.1.2021)