Sebastian Kurz musste eingreifen, weil Rudi Anschober die Impfaktion nicht mehr im Griff hatte – so stellt es zumindest der Kanzler dar.

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Es ist ein Versagen auf breiter Ebene. Österreich impft zu spät und zu wenig, darüber sind sich mittlerweile alle einig, die Experten, die Medien und auch die Politik, der man die Verantwortung dafür zuschiebt. Das wissen die Millionen Virologen in den Social-Media-Kanälen und auf den Onlineplattformen schon lange. Dieses Impfdesaster ist deshalb besonders tragisch, weil es auf der einen Seite Menschenleben kostet und auf der anderen Seite den Ausnahmezustand, in dem wir uns schon so lange befinden, noch weiter verlängern dürfte. Das hat Auswirkungen: wirtschaftlich und finanziell, aber auch emotional und psychosozial. Was noch gefährlicher sein dürfte: Das greift mittlerweile auch die Grundverfassung unserer Demokratie an.

Was die konkreten Fehler betrifft, sind wir alle schon auf der Suche nach den Schuldigen. Wer trägt die Verantwortung dafür, dass wir eine Impfaktion, von der wir schon länger wissen, nicht in den Griff bekommen? Von der EU-Kommission über Kanzler, Minister und Landeshauptleute bis hin zu einzelnen Beamten und Beamtinnen auf Bundes- und Landesebene lässt sich gut Schuld verteilen – in den allermeisten Fällen auch mit ausreichender Berechtigung.

Aktion versemmelt

Eben erst hat Bundeskanzler Sebastian Kurz das Heft in die Hand genommen, so stellt er selbst das jedenfalls dar, und eine Beschleunigung der Impfaktion herbeigeführt – weil er nicht länger zuschauen wollte, wie das grün geführte Gesundheitsministerium diese immens wichtige Aktion versemmelt. So lautet die Botschaft, die hier kaum unterschwellig mitschwingt.

Das Gesundheitsministerium hat wirklich keine gute Figur gemacht. Das beginnt bei Minister Rudi Anschober selbst, der die Impfaktion zu lasch angegangen ist oder dem ein schlecht organisierter oder strategisch falsch aufgestellter Beamtenstab auf der Nase herumtanzt – was für einen Ressortchef auch keine Auszeichnung ist.

Mit Clemens Martin Auer sitzt ein "Sonderbeauftragter" im Gesundheitsministerium, der durch und durch Beamter ist, sehr gründlich vorbereitet, aber in Extremlagen viel zu wenig flexibel. Auer ist kein Krisenmanager. Wenn Anschober ihn gewähren lässt, ist das Problem des Ministers. Dass Katharina Reich, neuer "Chief Medical Officer" im Ressort, bei einem Interview mit Armin Wolf bereitwillig in alle Messer gelaufen ist, die sich aufgetan haben, ist auch das Problem Anschobers: Jemanden hinzuschicken, der der Situation (nach nur zwei Wochen im Amt) erwartbar nicht gewachsen ist, war fahrlässig bis bösartig. Reich hat einen Plan und eine Strategie verteidigt, die nicht zu verteidigen waren, die in ihrem Ministerium aber beschlossen waren und zu diesem Zeitpunkt Gültigkeit hatten.

Es gibt im Beraterstab von Anschober überraschend viele Personen, deren Eignung man infrage stellen kann. Franz Allerberger, Chef der Agentur für Gesundheit und Ernährungssicherheit, sei hier stellvertretend erwähnt. Liegt das am Beraterstab – oder doch an Anschober?

Medien ruhigstellen

Dass Kurz quasi in letzter Sekunde eingreifen musste, um das Ruder herumzureißen, ist wenig glaubwürdig. Der Kanzler wird wohl in den Impfplan des Ministeriums eingeweiht gewesen sein, offenbar hat auch er einem sehr beamteten Zugang zu einer Rettungsaktion zugestimmt. Immerhin: Der Kanzler hat erkannt, dass es so nicht geht, nicht weitergehen kann. Erste Schritte zur Beschleunigung der Impfaktion sind gesetzt.

Die Schuldigensuche ist spannend, viel wichtiger ist es aber, den Impfplan zu aktualisieren und funktionierende Wege aus der Pandemie zu finden. Wenn es dazu geeignete oder geeignetere Personen an strategisch wichtigen Stellen im Ministerium gibt, soll Anschober handeln und endlich ein Team bilden, das in einer solchen Extremsituation nicht überfordert ist, zu dem man wieder Vertrauen fassen kann. Wenn sich Anschober dazu nicht in der Lage sieht, hat er selbst (sich) die Vertrauensfrage zu stellen. Bauernopfer, um die Medien ruhigzustellen, helfen uns nicht weiter. Dazu ist die Situation viel zu ernst. (Michael Völker, 7.1.2021)