Reinhard Heinisch, Politikwissenschafter an der Universität Salzburg, ordnet in seinem Gastbeitrag die Folgen des Sturms auf das Kapitol für die US-Politik ein.

Das erste gewaltsame Eindringen in das Kapitol in Washington seit 1812, damals durch britische Truppen, durch einen vom Präsidenten aufgewiegelten Mob wirft unmittelbar drei Fragen auf. Erstens: Sahen wir am Mittwoch das Ende eines düsteren Kapitels der US-Geschichte? Also war dies ein letztes verzweifeltes Aufbäumen eines Phänomens, das mit der Tea Party begonnen hatte und nun mit dem Abtritt Donald Trumps wieder in den pathologischen Rand der US-Politik zurückkehrt? Oder war dies erst der Anfang noch hässlicherer Entwicklungen, die bis zu bewaffneten Auseinandersetzungen und Separatismus gehen? Aus heutiger Sicht scheint beides möglich.

Ein schwarzer Tag für die Demokratie: Unterstützer des abgewählten US-Präsidenten Donald Trump stürmten das Kapitol in Washington und drangen weit in das Gebäude ein.
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Zweitens fragt man sich, wie es mit der Republikanischen Partei weitergehen soll. Sie ist mittlerweile in Teilen ein rechtspopulistischer Trump-Kult, der sich ideologisch immer weiter von der traditionellen neoliberal-konservativen Parteiideologie entfernt und seinen Rückhalt zunehmend in der ländlichen und weißen Unterschicht findet. Lange hat dies das klassische und von der Geschäftswelt finanzierte Parteiestablishment geduldet, da Trump es wie kaum ein anderer verstand, das Fußvolk zu mobilisieren und Wahlen zu gewinnen. Mittlerweile wird man jedoch die Geister, die man gerufen hat, nicht mehr los, und die Anhänger Trumps diktieren längst das Parteigeschehen.

Weiße-Unterschicht-Partei

Die Entwicklung in Richtung Weiße-Unterschicht-Partei kostet die Republikaner mittlerweile Stimmen bei ihrem Stammpublikum, den Wählern der Mittel- und Oberschicht. Diese laufen zunehmend zu den Demokraten über. Die schwere Niederlage bei den Senatswahlen in Georgia hat dies eindrücklich vor Augen geführt. Bei der Frage, wie es bei den Republikanern weitergeht, sind alle möglichen Szenarien denkbar, da unklar ist, ob diese letzte Aktion Trumps eine Spaltung der Partei mehr oder weniger wahrscheinlich macht. Immerhin rücken mittlerweile auch Trump-Loyalisten von ihm ab und distanzieren sich Wall Street und Wirtschaftsunternehmen zunehmend von diesem Teil der Republikaner.

Drittens muss man sich fragen, was dies für Joe Biden bedeutet. Zumindest kann er sich seit dem Sieg seiner Partei in Georgia sicher sein, dass er im Senat die für die Regierungsfähigkeit notwendige Mehrheit haben wird, sonst wäre er wohl von Anfang an eine "lame duck" gewesen, eine Art Übergangspräsident möglicherweise zwischen zwei Trump-Administrationen.

Mehr Rückendeckung

Man konnte auch davon ausgehen, dass Trump knapp vor dem Amtswechsel durch die Ankündigung seines eigenen Antretens 2024 oder durch eine andere deutliche Demonstration seiner Macht über die Republikaner versucht hätte, den neuen Präsidenten von Anfang an zu marginalisieren. Mit den Ereignissen in Washington wird dieses Szenario weniger wahrscheinlich. Auch werden die Biden-Administration und die Justizbehörden nun mehr Rückendeckung bekommen, gegen Trump rechtlich und politisch vorzugehen.

Letztlich dürfen wir in Europa dies nicht bloß als amerikanisches Phänomen abtun, sondern dieser Mix aus radikalem Obskurantentum, rechten "Querdenkern" und Wutbürgern ist längst auch Teil unserer politischen Landschaft und wird auch hier von politischen Kräften nach Möglichkeit für eigene Zwecke instrumentalisiert. (Reinhard Heinisch, 8.1.2021)