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Trump hat den Bogen vielleicht überspannt.

Foto: Reuters/Tom Brenner

Die Bilder marodierender Anhänger von US-Präsident Donald Trump im Washingtoner Kapitol sorgten am Donnerstag rund um die Welt für Entsetzen. Teils in bizarre Verkleidungen gehüllt, posierten die Eindringlinge inmitten des von ihnen angerichteten Chaos im US-Parlament ungeniert für Fotos, die daraufhin tausendfach in den sozialen Netzwerken geteilt wurden.

Und auch Trump selbst nahm sich kein Blatt vor den Mund – im Gegenteil: Laut und deutlich rief er seine Anhänger dazu auf, gegen die seiner Ansicht nach gefälschte Wahl zu protestieren. "Mit Schwäche werdet ihr unser Land nicht zurückerobern", hetzte er den Mob vor den Toren des Parlamentsgebäudes auf, bevor dieser sich gewaltsam Zutritt in das Herz der US-Demokratie verschaffte. Vergebens: Wenige Stunden nachdem die anfangs völlig überforderte Polizei das Kapitol zurückerobert und dutzende Infiltratoren festgenommen hatte, bestätigte Vizepräsident Mike Pence zeremoniell den Wahlsieg Joe Bidens.

Nun werden die Rufe jener immer lauter, die Trump keinen Tag länger im Weißen Haus residieren sehen möchten. Und auch seinen Anhängern, die das Chaos am Capitol Hill zu verantworten haben, drohen empfindliche Strafen.

Frage: Könnte Trump nun sogar noch vor dem 20. Jänner aus dem Amt gedrängt werden?

Antwort: Glaubt man den Gerüchten aus Washington, wird hinter den Kulissen schon emsig an einem derartigen Szenario gearbeitet. Um einen amtierenden Präsidenten seines Amtes zu entheben, gibt es zwei Möglichkeiten. Einerseits jene, die Donald Trump schon aus dem Vorjahr – Stichwort Ukraine-Affäre – zur Genüge kennt: Impeachment. Zwei Wochen vor dem ohnehin feststehenden Ende seiner Präsidentschaft kommt dieser Spielart der Amtsenthebung freilich nur theoretische Bedeutung zu. In einer Art Gerichtsprozess spielt das demokratisch dominierte Repräsentantenhaus die Rolle der Anklage, der Senat jene der Jury. Um Trump tatsächlich auf dieser Art aus dem Amt zu jagen, brauchte es dort eine Zweidrittelmehrheit, was nicht sehr wahrscheinlich ist. Voraussetzung für ein Impeachment ist jedenfalls der Vorwurf eines "hohen Verbrechens und Vergehens": Trumps jüngst ruchbar gewordener Einschüchterungsversuch gegen den Innenminister von Georgia – dieser hätte ihm die fehlenden Stimmen verschaffen sollen – oder eben die mögliche Anstachelung zur Gewalt vor dem Kapitol könnten eine derartige Anklage rechtfertigen.

Wahrscheinlicher ist es da schon, dass Trump über den 1967 nach dem Mord an John F. Kennedy verabschiedeten 25. Verfassungszusatz vorzeitig stürzt. Im Falle von körperlicher oder mentaler Erkrankung des Präsidenten, heißt es dort, kann der Vizepräsident mit den Unterschriften der Hälfte des Kabinetts oder der Unterstützung des Kongresses seinen Chef für amtsunfähig erklären. Trump könnte zwar dagegen berufen, um die Macht bis zum 20. Jänner zurückzuerlangen, wäre der Fristenlauf aber zu lang. Mike Pence, der sich laut Berichten zuletzt von seinem langjährigen Chef distanziert hat, wäre in diesem Fall für wenige Tage der 46. Präsident der USA, bevor Joe Biden ins Weiße Haus einzieht.

Die demokratischen Kongressführer Nancy Pelosi und Chuck Schumer rufen schon offen zu einer solchen Absetzung auf, ebenso wie eine Handvoll von Republikanern. Aber der Rücktritt von Trump-kritischen Kabinettsmitgliedern wie Verkehrsministerin Elaine Chao macht dieses Szenario noch unwahrscheinlicher.

Frage: Was, wenn Trump ganz einfach zurücktritt?

Antwort: Darüber ist schon vor der jüngsten Eskalation fleißig gemutmaßt worden: Trump, der bis Donnerstag wartete, um eine "geordnete Machtübergabe" zu versprechen, könnte ganz einfach selbst zurücktreten, um sich einerseits die Rolle als Zaungast bei Bidens feierlicher Amtseinführung zu ersparen und andererseits so auf eine Begnadigung durch den automatisch nachrückenden Präsidenten Pence zu spekulieren. Wie ein solcher Schritt zu seiner martialischen Rhetorik ("Unser Kampf hat erst begonnen") passen würde, bliebe freilich Trump selbst überlassen zu argumentieren.

Frage: Welche rechtlichen Konsequenzen drohen den Trump-Anhängern, die in das Kapitol eingedrungen sind, denn nun?

Antwort: Mit mindestens zehn Jahren Gefängnis hatte der Präsident im vergangenen Sommer noch jenen Black-Lives-Matter-Demonstranten in Portland gedroht, sollten sie Bundesgebäude angreifen oder gar beschädigen. Nun, da seine Gesinnungsgenossen fahnenschwenkend im US-Kapitol hausten, bleibt Trump still. 26 Personen wurden bislang auf dem Gelände des Kapitols festgenommen, weitere außerhalb. Weil sich einige der Eindringlinge selbst für Fotos und Videos in Szene setzten, dürften weitere aber nicht allzu schwer auszuforschen sein. Ihnen droht – je nachdem, wo sie festgenommen wurden – eine Anklage wegen Vandalismus, wegen der Zerstörung von Bundeseigentum oder, in den schwersten Fällen, gar wegen "aufrührerischer Verschwörung". Dieser Vorwurf kommt zum Tragen, wenn mehrere Menschen sich verschwören, um die Regierung zu stürzen oder die Ausübung des Rechts zu verhindern – wie möglicherweise im konkreten Fall etwa die Wahl des US-Präsidenten im Senat. Die potenzielle Strafe für ein derartiges Verbrechen ist mit zwanzig Jahren Gefängnis durchaus saftig bemessen. Sollten die Behörden die Hintermänner der beiden gefundenen Rohrbomben in Washington fassen, könnten diese sogar wegen Terrorismus belangt werden. Die Bundespolizei FBI ruft im Internet mögliche Zeugen auf, ihr Beobachtungen zu melden.

Frage: Könnte Trump die Unruhestifter in seinen letzten Tagen im Amt amnestieren?

Antwort: Ja, jedenfalls für jene Vergehen, derer sie nach Bundesrecht beschuldigt werden. Theoretisch ginge dies auch, ohne die Namen der Beschuldigten zu kennen – also eine Art Blankobegnadigung für seine Unterstützer, die in seinem Namen das US-Parlament gestürmt haben.

Frage: Könnte Trump selbst angeklagt werden?

Antwort: In der Theorie könnte der amtierende Präsident selbst wegen der Unruhen vor dem Richter landen – jedenfalls nach Ende seiner Amtszeit. Die frühere Bundesanwältin Jennifer Rodgers erklärte in der Washington Post, Trumps Aussagen vor der Erstürmung hätten durchaus "Leute ermutigt, es zu tun". Der Präsident habe seine Anhänger dazu angestachelt, "zu kämpfen und stark zu sein und zum Kapitol zu marschieren" – und damit Gewalt provoziert. (Florian Niederndorfer, 7.1.2020)