Trump-Anhänger stürmen das Kapitol.

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Noch vor wenigen Tagen war die Mehrheit der politischen Analysten in den USA überzeugt, dass Donald Trump auch nach dem Ende seiner Präsidentschaft die Republikanische Partei dominieren und so eine Schlüsselrolle in der US-Politik spielen wird. Trump werde das Festhalten am Mythos der gestohlenen Wahl zum Lackmustest für jeden Republikaner machen, alle Abtrünnigen mit seinen gehässigen Tweets verfolgen und sie in Vorwahlen zu Fall bringen. Und deshalb würden die meisten Republikaner an Trumps rechtspopulistischem Kurs festhalten und dem angeblichen Betrüger Joe Biden jede Kooperationsbereitschaft verweigern.

Erbärmliche Reaktion des Präsidenten

Dieses Szenario ist am Mittwoch durch den Sturm der Trump-Anhänger auf das Kapitol und die erbärmliche Reaktion des Präsidenten zusammengebrochen. Auch vorher haben nur die wenigsten gewählten Funktionäre – anders als wohl Trump selbst und die Mehrheit seiner Wähler – die Wahlbetrugslüge geglaubt. Von nun an aber wird jeder Politiker, der diesen absurden Opfermythos öffentlich vertritt, auch mit den entsetzlichen Bildern aus Washington assoziiert, die von den meisten Amerikanern als Verrat an den Grundfesten der amerikanischen Demokratie betrachtet werden.

Schon in der Nacht haben bisher stille Trump-Kritiker ihre Empörung öffentlich gemacht und manche zuvor lautstarke Verbündete sich vorsichtig distanziert. Mehr noch als durch den Wahlsieg der Demokraten in Georgia und die Zertifizierung seiner Wahl im Kongress hat Biden durch den missglückten Putsch an Legitimität gewonnen. Das wird ihm das Regieren erleichtern. Und die Republikaner haben erstmals seit Trumps Siegeszug 2016 die Chance, sich aus der Geiselhaft eines korrupten Narzissten zu befreien. Am 6. Jänner könnte die Trumpdämmerung begonnen haben.

Rückkehr zur Normalität?

Aber die Rückkehr zur Normalität ist keineswegs gesichert. An der Basis bleibt Trump beliebt, und seine Tweets, verstärkt durch die rechten Medien, werden wohl auch in Zukunft das Denken von Millionen Amerikaner bestimmen.

138 republikanische Abgeordnete haben auch nach dem Sturm gegen die Anerkennung der Wahlergebnisse einzelner Bundesstaaten gestimmt. Sie taten das nicht aus Überzeugung, sondern aus Kalkül. Der Angriff auf die Demokratie durch Trump ist gescheitert, weil ihr Mastermind nur von Emotionen und nicht von strategischem Denken gelenkt war. Ein klügerer Demagoge aber könnte die Kräfte, die dem Land dieses Desaster eingebrockt haben, viel wirkungsvoller nutzen. (Eric Frey, 7.1.2021)