Ein einziges Fenster ist erleuchtet. Gäste sind rar, das Hotel bleibt offen – mit nur zwei Mitarbeiterinnen.

Foto: Fauma

Das Overlook-Hotel in Colorado spielt die eigentliche Hauptrolle in der nicht zwingend melodramatischen Verfilmung von Stephen Kings Roman The Shining, mit Jack Nicholson in der Hauptrolle. Ein Monolith von einem Hotel in den Bergen, das über die leerstehenden Wintermonate von einem einzigen Mitarbeiter instand gehalten wird. Zwar darf er seine Familie dabeihaben, diese überlebt seine von Wahn getriebene Aggression jedoch nur knapp.

Kaum Grund zu Aggression gibt es, wenn man derzeit in Wien in einem Hotel nächtigt. Angst vor leeren Räumen sollte man allerdings keine haben. Die Hotels rund um den Hauptbahnhof geben einem dazu auf den ersten Blick keinen Anlass. Die Lobbys sind hell beleuchtet. Man sieht gemütliche Sitzgruppen, schummrig illuminierte Bars und hübsch eingedeckte Speisesäle. Erst auf den zweiten Blick bemerkt man das Fehlen der Hotelgäste. Die Häuser scheinen bereit, zu empfangen. So, als könnte es stündlich wieder mit der Versorgung touristischer Massen losgehen.

Zwei Voraussetzungen

Hier wird eine unglaubliche Infrastruktur aufrechterhalten, obwohl es keine Gäste dazu gibt. Ein vorübergehendes Schließen scheint sich nicht zu rechnen. Ein paar Gäste alle paar Tage – mehr sind es zurzeit nicht. Zwei Voraussetzungen müssen erfüllt sein, um im Hotel nächtigen zu dürfen: Einerseits muss der Grund der Nächtigung beruflicher Natur sein, und andererseits braucht man zusätzlich ein negatives Covid-19-Attest. Dann öffnen sich einem schon die Hoteltüren der Stadt. Wir nächtigten im Novotel beim Hauptbahnhof.

Eine freundliche Mitarbeiterin beginnt als Portier, setzt ihren Dienst an der Rezeption fort und würde auch eine Pizza am Abend zubereiten und servieren. Nur das auch im Lockdown notwendige tägliche Reinigen der unbenutzten Zimmer macht jemand anderes. Zwei statt der sonst fünfzig Mitarbeiter sind in einem Haus mit fast zwanzig Stockwerken unterwegs. Man träfe einander nicht oft bei der Arbeit. Kundenkontakte wären die Ausnahme, auch kämen kaum Lieferanten ins Haus.

Diese neue Distanz mag mitunter dafür verantwortlich sein, auch ein wenig außer Tritt zu kommen in Sachen Servicequalität. Man bekommt als einziger Gast im Hotel nicht automatisch das beste Zimmer der gewählten Kategorie. Der am Telefon gewünschte Blick auf die Innenstadt? Fehlanzeige. Ein Upgrade, das den Kunden womöglich binden würde? Irrtum. Ungestörtes Ausschlafen bis in den Vormittag? Undenkbar. Muss doch vor dem einzigen belegten Zimmer zeitigst gesaugt, geklopft und Türen geknallt werden. Voriges Jahr, als das Haus an diesem Tag ausgebucht war, stellten sich diese Fragen nicht. Da war alles noch einfacher.

Selbstversorgung

Ein Hauptproblem für die Hotels ist derzeit die Verpflegung der Gäste. Sie ist eigentlich nicht erlaubt. Man kann sich aber Gerichte von den zahlreichen Take-away-Küchen von der Fressmeile des Hauptbahnhofs holen. Indische, thailändische, türkische, pan-asiatische, wienerische und österreichische Streetfood-Klassiker stehen zur Auswahl, auch zwei gängige Burgerbrutzlerketten haben hier ihre Filialen. Im Hotel kann man dann im Restaurantbereich Platz nehmen, nach Metallbesteck fragen und sein Dosenbier in ein erbetenes Glas umfüllen. Das Frühstück entfällt, einen Kaffee bekommt man aber zubereitet und an der Bar serviert.

Stundenweise buchen

Viele Hotel bieten zurzeit ihre Zimmer als Büroersatz stundenweise an. Manche räumen dazu die Betten ab, andere Hotels belassen Decken und Pölster in den zu Arbeitsplätzen mutierten Zimmern. Womöglich möchte ja der Gast nach getaner Arbeit ein Nickerchen machen – ob allein oder zu zweit sei dahingestellt. Es wurde ja stundenweise gebucht.

Wie schnell sich die Mitarbeiterinnen der Hotels an die neue Einsamkeit im Betrieb gewöhnt haben, ist auch am Erschrecken einer Reinigungskraft zu erkennen, als sie mit dem Lift im Erdgeschoß ankommt, sich die Lifttür öffnet und sie beinahe einen Herzkasperl vor Schreck bekommt, als sie zwei Gäste sieht. Ihr Shining-Moment war ihr ins Gesicht geschrieben. (Gregor Fauma, 8.1.2021)