Teil-Faksimile des Inserats von Gegnern der Corona-Maßnahmen im "Kurier".

Foto: Faksimile Inserat Acu Kurier

Masken seien nutzlos und gesundheitsschädlich, PCR-Tests am Menschen nicht zugelassen, "Zwangsimpfung": Mit diesen Botschaften schaltete eine Vereinigung von Gegnern der Corona-Maßnahmen, die sich Außerparlamentarischer Corona-Untersuchungsausschuss Austria (ACU) nennt, Inserate in österreichischen Tageszeitungen wie dem "Kurier" und "Österreich". Die Schaltungen sorgen für heftige Debatten, etwa auf Twitter.

Medienberater und -unternehmer Stefan Lassnig, er war Geschäftsführer der Regionalmedien Austria, sieht eine Verantwortung der Geschäftsführung:

"ZiB 2"-Moderator Armin Wolf schreibt: "Eine Tageszeitung, die allen Ernstes darüber diskutiert hat, ob man den Bundeskanzler in einem TV-Interview unterbrechen darf, druckt ein ganzseitiges Corona-Leugner-Inserat – 'weil wir freie Meinungsäußerung für ein unantastbares Gut halten'. Muss ich nicht verstehen, oder?"

Der Innsbrucker Wirtschaftswissenschafter und Medienunternehmer ("Momentum") Leonhard Dobusch verweist auf die Werberichtlinien von Facebook, die derlei verbieten würden:

"Kurier"-Chefredakteurin Martina Salomon erklärt in einer Stellungnahme auf der Seite neben dem Inserat die Veröffentlichung nach internen Diskussionen mit Verweis auf Meinungsfreiheit:

Foto: Faksimile Kurier

Der "Kurier" stellte auf der Seite links neben dem Inserat zudem ein Interview mit der Virologieprofessorin Dorothee von Laer gegenüber, die erklärt, dass eine "erdrückende Zahl von Studien beweist, dass das Tragen von Masken die Ausbreitung von Covid-19 reduziert".

"Heute" hat das Inserat nach Angaben von Chefredakteur Christian Nusser abgelehnt.

Wissenschaftliche Desinformation reinsten Wassers

Die – wissenschaftlich unhaltbaren – Aussagen über Corona-Maßnahmen zum Thema Masken, PCR-Tests und Impfungen stehen unter der irreführenden Zwischenüberschrift "Wir möchten die Bevölkerung wissenschaftlich fundiert informieren". Darunter wird konkret suggeriert, "dass Masken nutzlos und gesundheitsschädigend" seien oder dass "PCR-Tests weder Infektion, Infektiosität noch Krankheit festzustellen vermögen". Wissenschaftlich ist das natürlich längst widerlegt.

Unter der Zwischenüberschrift "Zwangsimpfung" wird schließlich behauptet, dass die mRNA-Impfung "nicht verantwortungsvoll geprüft worden" sei und "die überwiegende Mehrheit der Wissenschaftler vor den drohenden Nebenwirkungen, insbesondere vor Autoimmunerkrankungen und allergischen Reaktionen" warne. Auch das eine grobe Fehlinformation.

Sönnichsen mit voller Funktion auf Homepage

Der ACU Austria stellt sich in dem "Offenen Brief an die österreichische Bundesregierung und die österreichische Bevölkerung" als Vereinigung von Rechtsanwälten, Ärzten, Wissenschaftern und Künstlern vor. Verantwortlich für die ACU-Website, auf die am Ende des Inserats verwiesen wird, ist der Wiener Anwalt Michael Brunner. Als Mitglieder werden etwa Anwalt Alexander Todor-Kostic und der Vorstand des Zentrums für öffentliche Gesundheit der Med-Uni Wien, Andreas Sönnichsen, genannt.

Die "Anwälte für Aufklärung" und ihre Positionen seien der Wiener Rechtsanwaltskammer bekannt, sagt Präsident Michael Enzinger. "Wenn Anwälte öffentlich Falschinformationen verbreiten, kann das ein Grund für ein Disziplinarverfahren sein", sagt er. Das konkrete Inserat wolle er nicht vorrausschauend beurteilen, da es, wenn es jemand an die Rechtsanwaltskammer herantrage, eben Teil eines solchen Verfahrens werden könnte. Zu der Tatsache, dass die "Anwälte für Aufklärung" auf ihren jeweiligen Homepages um Spenden werben, sagt Enzinger: "Das wird bereits geprüft."

Der Mediziner Sönnichsen scheint beim ACU Austria mit voller Funktionsbezeichnung seiner Tätigkeit an der Med-Uni Wien auf, was wohl dazu dienen soll, den Fehlinformationen einen wissenschaftlichen Anstrich und eine Legitimität zu verleihen.

Sönnichsen wollte differenziertere Maskendarstellung

DER STANDARD ersuchte Sönnichsen unter seiner (auf eine Mobilbox weitergeleitete) Durchwahl an der Med-Uni um Stellungnahme, ob er die Aussagen in dem Inserat unterstützt. Der Mediziner erklärt dem STANDARD, er habe das Inserat vorab gesehen, seine Anmerkungen dazu seien "teilweise" in der erschienenen Variante berücksichtigt worden. Er hätte sich vor allem eine "differenziertere Darstellung" des Themas Mund-Nasen-Schutz gewünscht.

Zu den Masken erklärt Sönnichsen, vielfach als Masken getragene "Stofffetzen" würden nichts bringen. Wenn man aber FFP2-Masken im Pflegeheim einsetze, "bringt das schon etwas", nicht aber Masken als eine "Allgemeinmaßnahme".

PCR-Tests würden tatsächlich keine Infektiosität nachweisen, erklärt Sönnichsen: "Wenn wir viele asymptomatische Menschen testen, bekommen wir falsch positive Befunde. Und selbst bei richtig positiven Befunden wissen wir nicht, ob sie wirklich infektiös sind." In der Darstellung der positiven Tests werde nicht nach CT-Werten differenziert. Ab einem solchen Wert von 30 sei die Person "ziemlich sicher nicht infektiös". Die Tests seien "nicht geeignet, eine Pandemie zu kontrollieren".

"Das heißt nicht, dass ich gegen die Impfung bin"

"Voll und ganz" steht Sönnichsen hinter den Aussagen des Inserats über "Zwangsimpfungen". Der Mediziner erklärt das so: "Wir wissen viel zu wenig über die Impfung." Es gebe bisher einen Beobachtungszeitraum von drei Monaten. Klar sei damit nur, dass sie rund drei Monate wirke. Unklar sei, ob geimpfte Personen das Virus weitergeben können. Und: "Wir wissen nicht, wie sicher die Impfung auf Dauer ist".

Sönnichsen: "Das heißt nicht, dass ich gegen die Impfung bin. Man muss die Menschen ehrlich aufklären über den möglichen Nutzen und die Risiken. Es ist sinnvoll, die Leute zu impfen, die ein hohes Risiko durch Covid haben", also Menschen hohen Alters. "Die gesunde Bevölkerung durchzuimpfen ist unsinnig, wenn ich nicht weiß, ob die Weitergabe verhindert wird", erklärt der Mediziner.

Kritik von Kollegen der Universität

Etliche seiner Kollegen Zentrum für Public Health der Med-Uni Wien sind mit dem "Offenen Brief" des ACU Austria alles andere als erfreut. So heißt es in einer Stellungnahme, die unter anderem vom Umweltmediziner Hans-Peter Hutter unterzeichnet ist: "Diskurs ist in der Wissenschaft und Medizin unerlässlich. In der derzeitigen Situation ist es jedoch unverantwortlich, durch haltlose Zwischenrufe, wie es hier der Fall ist, eine ohnehin oft ratlose Bevölkerung zusätzlich zu verunsichern und einen noch stärkeren Keil in die Gesellschaft zu treiben."

Aus Public Health-Sicht seien "für den Schutz der Bevölkerung sowohl Maßnahmen zur Eindämmung der Epidemie, d.h. vorsorglichen Mund-Nasen-Schutz, Abstandhalten, Händehygiene, Lüften sowie nun auch Impfen, als auch Maßnahmen zur Minimierung der sogenannten Kollateralschäden dringend erforderlich."

(Grenzen der) Wissenschaftsfreiheit

Die Med-Uni Wien selbst hat sich von Sönnichsens verharmlosenden Aussagen zum Thema Corona bereits im April distanziert, so etwa in einem Facebook-Eintrag im April. Zum aktuellen Inserat heißt es auf STANDARD-Anfrage: "Andreas Sönnichsen vom Zentrum für Public Health vertritt zum Thema ‘Corona-Infektion‘ persönliche Ansichten und tätigt Aussagen von denen sich die Medizinische Universität Wien bereits mehrfach ausdrücklich distanziert hat und sich auch weiterhin distanziert. Dies bezieht sich auch auf Aktivitäten Sönnichsens im Rahmen von Vereinen oder Plattformen wie z.B. 'ACU'."

Die Med-Uni Wien verweist zudem auch darauf, dass Sönnichsen "weder Experte auf dem Gebiet der Biologie, Diagnose oder Therapie von Viruserkrankungen" sei noch Leiter einer Organisationseinheit oder "Vorstand" an der Universität". Zudem hält man fest, "dass es im Wissenschaftsbetrieb grundsätzlich der akademischen Freiheit entspricht, dass einzelne WissenschafterInnen persönliche Meinungen artikulieren". Dennoch schließt die Stellungnahme der Med-Uni Wien mit folgendem Satz: "Im Zusammenhang mit den Angaben und Äußerungen von Andreas Sönnichsen werden dienstrechtliche Schritte geprüft."

Stellungnahme der Ärztekammer

Am Nachmittag reagierten auch die Österreichische Ärztekammer (ÖAK) und ihr Präsident Thomas Szekeres auf das Inserat: "Die Österreichische Ärztekammer hat sich mehrfach klar für eine Maskenpflicht zur Eindämmung der COVID-19-Pandemie, für PCR-Tests als wichtiges Diagnoseinstrument bei Verdachtsfällen und für die Impfung gegen COVID-19 ausgesprochen. Die ÖÄK hat dabei nie einen Zweifel daran gelassen, dass sie sich in ihren Aussagen stets auf wissenschaftlich fundiertem Boden befindet."

Die in dem Offenen Brief getätigten Aussagen hält Szekeres "für verantwortungslos und eine Gefährdung der Bevölkerung". Daher werde er "disziplinarrechtliche Schritte prüfen lassen". Nachsatz: "Ich halte es auch für überaus fragwürdig, dass Medien solche Texte überhaupt abdrucken." (fid, tasch, jop, 8.1.2021)

Anm. der Red.: Der Artikel wurde um 13:48 um die Stellungnahme der Med-Uni Wien und um 15:13 um die Stellungnahme von Ärztekammer-Präsident Thomas Szekeres aktualisiert.