Elf Jahre lang haben sich die Bohrer mit Berliner Langsamkeit durch die historische Stadtmitte gewühlt. Im Dezember wurde die jahrzehntelang klaffende Lücke zwischen Ost- und Westberlin endlich geschlossen: Die neue Strecke zwischen Alexanderplatz und Brandenburger Tor, die die beiden U-Bahn-Arme der U5 und U55 verbindet, ist nicht nur das größte innerstädtische Verkehrsprojekt, sondern auch eine Reise durch verschiedene Interpretationen unterirdischer Architektur.

Der Bahnhof Unter den Linden wirkt wie eine Kathedrale des Verkehrs im Stil der Frühmoderne. Die Architekten Ingrid Hentschel und Axel Oestreich haben für die Wände dunklen Muschelkalk ausgewählt und kontrastieren diese mit hellen Lichtdecken. Hingucker im neuen U-Bahnhof Rotes Rathaus sind sieben schwungvolle Pilzkopfstützen. Dazu hat Architekt Oliver Collignon Wände aus dunklen Betonplatten kombiniert, die an die Kurven moderner Karosserien erinnern.

Partitur der
Geschwindigkeit: Die Architekten zitieren das alte Konzept aus den Siebzigerjahren, machen aber alles eckiger und dynamischer.
Foto: YF, Franz & Sue

Ferne Sterne

Dramatisch geht es im U-Bahnhof Museumsinsel des Schweizer Architekten Max Dudler zu: Am Gewölbe prangen über 6000 Lichtpunkte wie ferne Sterne im nachtblauen Firmament. Dudler nutzt oft klassizistische Motive wie etwa Kolonnadengänge und steinerne Torbögen. In diesem Fall entschied er sich, jenes berühmte Bühnenbild zu zitieren, das Architekt Karl Friedrich Schinkel für Mozarts Zauberflöte an der Berliner Oper entwarf, und zwar für jenen großen Moment, als bei der Premiere am 18. Jänner 1816 die Königin der Nacht ihren großen Auftritt hatte.

Einen ganz anderen, weniger baukünstlerisch singulären Weg geht Wien, wo übermorgen, Montag, der Spaten zum Bau der neuen U5 gestochen wird. Die 1970 bis 1973 von der "Architektengruppe U-Bahn" entwickelten Gestaltungsrichtlinien auf Basis eines einheitlichen Paneelsystems gelten bis heute: dunkle Gleisbereiche und weiß vertäfelte Bahnsteige mit Akzentuierungen in der jeweiligen U-Bahn-Farbe.

Ohne Zweifel ist das Konzept der Wiener Architekturbüros YF und Franz & Sue, Sieger eines 2015 ausgeschriebenen Architekturwettbewerbs, sowohl auf den Bahnsteigen als auch in den Aufnahmegebäuden über der Erde als Zitat der alten Siebzigerjahre-Stationen lesbar, allerdings haben sich die Architekten diesmal für eine eckige, polygonale Variante entschieden, und statt eines gleichbleibenden Rhythmus in der Blechvertäfelung variieren nun die Abstände, sind einmal enger beisammen, einmal weiter auseinander.

6000 Lichtpunkte am Firmament: Für die neue U5-Station Museumsinsel in Berlin stand das
Bühnenbild für Mozarts "Zauberflöte" Pate.
Foto: Max Dudler

"Wir haben etwas mehr Dynamik hineingebracht", sagt Architekt Markus Bösch von YF. "Dadurch wirkt die Gestaltung frischer und zeitgemäßer. Vor allem aber wollten wir das Thema Geschwindigkeit visualisieren. Wo viele Menschen ein und aus gehen, sind die Abstände enger und suggerieren eine entsprechende Beschleunigung, wo weniger Menschen sind, nimmt die Distanz zwischen den türkisfarbenen Streifen zu, und es entsteht eine gewisse visuelle Abbremsung."

Wichtigste Kriterien des Wiener Systems: Die Stationen müssen barrierefrei, leicht zu warten und vor allem unkaputtbar sein. "Langlebigkeit und Wartungsfreundlichkeit waren von Anfang an Teil unseres Konzepts", erzählt Erwin Stättner von Franz & Sue. "Aber die Fachabteilungen der Wiener Linien waren aufgrund ihrer Expertise noch strenger als wir. Wir mussten die Blechstärken erhöhen, um möglichem Vandalismus vorzubeugen, und alle Einbauten wie Bänke und Mistkübel so planen, dass sie leicht abnehmbar sind. Für Millionen Passagiere zu bauen ist ein permanentes Learning by Doing."

Geplante Station an der Schwarzspanierstraße.
Foto: YF, Franz & Sue

Und wie sieht die U5 anderer Städte aus? Eine besondere Rolle im internationalen U-Bahn-Universum nimmt die Moskauer Metrolinie 5 ein. Die 1950 eröffnete Kolzewaja-Linie fährt im Kreis und umrundet auf einer Länge von knapp 20 Kilometern die Innenstadt. Architektonisch verbirgt sich in der Tiefe so mancher Schatz: Die Stationen, die laut ihrem Auftraggeber Stalin als "Paläste fürs Volk" errichtet wurden, weisen typische Elemente des sozialistischen Realismus auf und zählen zu den schönsten Metrostationen der Welt – mit Marmorsäulen, Glasmalereien und prunkvollen Kronleuchtern.

Zweifelhafter Ruhm

Im Megaland China sind über 40 Großstädte mit einem U-Bahn-System ausgestattet. Die U5 in Peking, dem größten U-Bahn-Netz der Welt, passiert die Verbotene Stadt und den Platz des Friedens und durchkreuzt die chinesische Hauptstadt auf einer fast schnurgeraden Strecke von Nord nach Süd. In Tokio quert die 1964 zu den Olympischen Spielen eröffnete Linie 5 die Metropole wiederum von Ost nach West und heißt folgerichtig Tozai Line (Ost-West-Linie). Sie operiert am Rande der Überlastung und trägt den zweifelhaften Ruhm, die vollgestopfteste Bahnlinie Japans zu sein.

Auch im New Yorker "Fünfer" geht es eng zu, obwohl er sich die Lexington Avenue Line, die die East Side Manhattans von Nord nach Süd durchmisst, mit der Linie 4 und 6 teilt. Gemeinsam verzeichnen sie pro Tag über eine Million Fahrten – mehr als die gesamten U-Bahn-Netze von Chicago oder San Francisco. Architektur und Design spielen in New York jedoch eine untergeordnete Rolle, anders als etwa in Montreal, wo im U-Bahn -System hunderte Kunstwerke verteilt wurden. Über den schönen Jugendstil-Eingang von Hector Guimard, den die Stadt Paris den Kanadiern 1967 schenkte, durfte sich die orangene Linie 2 freuen, die blaue Linie 5 ging leer aus.

Geplante Station am Frankhplatz.
Foto: YF, Franz & Sue

Und Paris selbst? Hier, wo die Metro seit über einem Jahrhundert in Film, Fernsehen und Literatur verewigt wurde, erzählt jede Linie ihre Geschichte. Die Story der Nummer 5: Sie touchiert nicht nur die Bahnhöfe Nord und Est subterran und durchbohrt den Gare d’Austerlitz im ersten Stock, sie hat selbst auch zwei Geisterbahnhöfe.

Versinken in einer Oktoberfestmaß

Was ambitionierte Untergrund-Architektur betrifft, gilt jedoch eine andere Stadt als weltweit führend – ausgerechnet das biedere München. Hier gleicht kaum ein Bahnhof dem anderen. Die ersten Stationen, zu den Olympischen Spielen 1972 eröffnet, leuchten in knalligen Farben. Der orangene Marienplatz kann heute noch psychedelische Ekstase bei weniger gefestigten Seelen erzeugen. Eine der schönsten Stationen der Welt dürfte der Westfriedhof sein, mit seinen großen runden Leuchten in tiefem Dunkelblau, fast schon ein Schritt ins Jenseits. Die Münchner U5 kam in den 1980er-Jahren dazu. Ihre Signalfarbe Gelb wurde meist nüchtern mit Weiß kombiniert, nur unter der Theresienwiese ist alles in sattes Gelb getaucht, als versänke man in einer Oktoberfestmaß.

In Wien soll das Eröffnungsfest für die autonom fahrende U5 im Jahr 2025 steigen. Die Baukosten fürs Gesamtprojekt U2/U5 belaufen sich auf 2,1 Milliarden Euro. Wie so oft in der Geschichte dieser Stadt entschied sich Wien auch diesmal wieder für den Mittelweg: Zwar wurde für die nun zum Leben erweckte Nummer 5 ein eigener Architekturwettbewerb ausgeschrieben, doch anders als in Moskau, München, Berlin wird hier nicht die Architektur als Einzelbauwerk zelebriert, sondern die Partitur eines infrastrukturellen Systems. (Wojciech Czaja, Maik Novotny, Ulf Meyer, 10.01.2021)