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Brille statt Monitor: Die Pandemie könnte das virtuelle Büro in der Augmented Reality beflügeln.

Foto: Getty Images

Als vor ein paar Jahren Menschen mit futuristischen Brillen in Bars und Restaurants in San Francisco aufkreuzten, kam es zu regelrechten Tumulten. Denn Google Glass, wie der am Kopf getragene Minicomputer hieß, verfügte nicht nur über ein Prisma, über das sich der Träger Informationen über Stadt und Umgebung anzeigen lassen konnte, sondern auch über eine integrierte Kamera.

Viele empfanden das als übergriffig und indiskret, als Verletzung ihrer Privatsphäre. Die Träger wurden als "Glassholes" beschimpft. Zahlreiche Bars und Restaurants verbannten die Datenbrillen daraufhin aus ihren Räumlichkeiten. 2015 musste Google das Projekt einstellen. Auch die Spectacles, eine mit einer Kamera bewehrte Sonnenbrille, die die Foto-App Snapchat lancierte, um Videos zu teilen, floppte. Und das gehypte Start-up Leap, das eine vielgelobte AR-Brille entwickelte, schrammte nur knapp an der Pleite vorbei. Doch nun könnten die Datenbrillen ein Comeback erleben.

Facebook-Chef Mark Zuckerberg hat vor wenigen Wochen angekündigt, dass sein Konzern im neuen Jahr eine eigene Datenbrille auf den Markt bringen will. Dazu kooperiert der Tech-Konzern mit dem italienischen Brillenhersteller Luxottica, der unter anderem Gestelle für Luxusmarken wie Armani und Ray-Ban produziert.

Die "Gehirn-Maus"

Facebook arbeitet im Rahmen des Project Aria bereits an einer Augmented-Reality-Brille, einem mit Hightech vollgestopften Wearable, bei dem nicht bloß eine zweite Wirklichkeitsfolie vor die Linse projiziert werden soll, sondern eine eigene 3D-Schicht. "Stell dir vor, du rufst einen Freund an und chattest mit einem lebensähnlichen Avatar am Tisch", heißt es in einem Post von Facebook.

In seinen geheimen Reality-Labs tüftelt der Tech-Konzern schon länger an Hardware, unter anderem auch an Gehirn-Computer-Schnittstellen. So arbeitet ein Team von 60 Entwicklern an Sensoren, die Gehirnaktivitäten messen und in Sprache übersetzen sollen. Das System soll pro Minute 100 Wörter aus dem Gehirn "auslesen" – fünfmal schneller als man auf dem Smartphone tippen kann.

Die Projektverantwortliche Regina Dugan, vormals Direktorin bei der US-Militärforschungsbehörde DARPA, sprach von einer "Gehirn-Maus". Wenn das Gehirn als Eingabegerät fungiert, brauchte man nur noch ein Ausgabe- und Speichergerät. Beides könnte eine Datenbrille leisten, die im Gegensatz zu einem Smartphone nicht per Hand, sondern per Sprach- oder Gestensteuerung bedient wird.

Ciao, Smartphone?

Trendforscher sagen schon seit längerem voraus, dass Datenbrillen das Smartphone irgendwann ersetzen werden. Zwar ist das Handy mittlerweile zu einem digitalen Alleskönner avanciert, das Telefon, Geldbeutel und mobiles Büro in einem ist. Doch es ist noch immer relativ umständlich, das Smartphone aus der Tasche zu holen, um sein elektronisches Ticket vorzuzeigen oder auf den Routenplaner zu schauen. Wenn die Wegbeschreibung oder Informationen über den Anschlusszug in einer Datenbrille angezeigt würden, müsste man nicht jedes Mal sein Handy herauskramen. Die Brille hat man ohnehin auf.

Die Konzernstrategen sind sich des Wandels bewusst, zumal das Potenzial von Smartphones nahezu ausgeschöpft ist. Das iPhone hat sich in den letzten Versionen nur graduell weiterentwickelt. Große Innovationssprünge erwarten Analysten von Smartphone-Herstellern nicht mehr. Die Tech-Konzerne setzen daher verstärkt auf den Wearable-Markt: Fitness-Tracker, Smartwatches, aber auch Datenbrillen. So werkelt Apple seit einigen Jahren an einer AR-Brille, die Spekulationen zufolge 2021 oder 2022 auf den Markt kommen könnte.

Amazon hat jüngst die zweite Generation seiner Echo-Frames lanciert, mit der man per Sprachsteuerung Anrufe tätigen oder Erinnerungen abspeichern kann. Eine Art mobile Alexa, die man auf den Nasenflügeln trägt. Mit Microsofts Hololens gibt es bereits eine sehr erfolgreiche (wenngleich etwas klobige) Datenbrille für den Industriebereich, die sich beispielsweise für die Wartung von Maschinen eignet.

Hallo, Interface!

Auch Google ist wieder im Geschäft. Nachdem der Internetriese Google Glass für Geschäftskunden neu auflegte, übernahm er in diesem Jahr den kanadischen Datenbrillenhersteller North. Insider werten die Übernahme als Signal, dass Google seine Hardware möglicherweise über den Industriebereich hinaus im Konsumentenmarkt platzieren könnte. Der Gründer von Google X, Sebastian Thrun, sagte jüngst in einem Interview mit dem Wirtschaftsmagazin Brand eins, man habe die Brille "zu früh auf den Markt gebracht". Im Privaten werde es jedoch eine ähnliche Entwicklung wie im Geschäftsbereich geben: "Die Brille ist einfach ein zu praktisches Interface."

Der Vorteil von Augmented Reality – die berührungsfreie Anreicherung der Wirklichkeit – könnte sich in der Corona-Pandemie als entscheidender Erfolgsfaktor erweisen. Ein Kunde muss im Supermarkt nicht mehr jede Tomate oder Gurke einzeln in die Hand nehmen, um nach Preis und Herkunftsland zu schauen, sondern könnte sich die Information einfach auf dem Brillendisplay einblenden lassen.

Anweisungen aus der Ferne

Und ein Servicetechniker muss auch nicht mehr eigens anreisen, sondern kann eine Maschine per Augmented Reality fernwarten. Der Arbeiter vor Ort macht einfach ein Foto des defekten Geräts, dann instruiert ihn der Experte mit visuellen Anweisungen in einer App, an welchen Stellschrauben er drehen muss. So kann der Betrieb auch unter Einhaltung von Abstands- und Hygieneregeln am Laufen gehalten werden.

Wie bei anderen Technologien könnte sich Corona als Katalysator für Augmented Reality erweisen. Datenschützern bereiten jedoch die Risiken für die Privatsphäre Sorgen. Denn die Frage ist, ob neben Objekten irgendwann auch Menschen "augmentiert", das heißt, mit Kontextinformationen angereichert werden können.

Merkt sich die Brille, dass man länger vor dem Süßigkeitenregal stand? Sieht man das Gehalt des Kollegen? Blendet uns die smarte Facebook-Brille irgendwann den Beziehungsstatus des Gegenübers ein? Datenbrillen machen Betriebsabläufe und Konsumerlebnisse einfacher. Ob die datenbebrillten Menschen allerdings freundlicher empfangen werden als die "Glassholes", bleibt abzuwarten. (Adrian Lobe, 9.1.2020)