Medizinisches Personal in Frankreich im Sommer auf den Barrikaden. Allgemein zurückgeworfen auf die täglich erweiterte Belastbarkeitsgrenze?

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Ich mache mir Sorgen, große Sorgen, um unsere Helfer. Ich bin selbst auch eine sogenannte Helferin, arbeite als Psychotherapeutin und könnte 24 Stunden sieben Tage die Woche arbeiten, und das seit Monaten. Viele meiner bereits "austherapierten" Patienten sind wieder in schwere psychische Probleme geschlittert.

Vor allem die Einsamkeit macht vielen zu schaffen, ich bin oft ihre einzige Ansprechperson. Ich kann meinen Klienten aber nicht mehr so gut helfen wie früher, habe selbst manchmal keine heilenden Antworten mehr – ich kann sie nur mehr beim Ertragen der Pandemie unterstützen. Erschwerend kommt dazu: Ich darf ihnen nicht zu nahe kommen, darf sie nicht umarmen, darf ihnen nicht einmal die Hand geben – jeglicher persönliche Kontakt könnte für alle Beteiligten lebensbedrohlich werden, am sichersten ist eine kontaktlose Onlinesitzung.

Wir stecken in einem psychologischen Dilemma, Ärzte und Pflegepersonal empfinden es oft so, dass die gesamte Krise auf ihnen lastet, und langsam macht sich die Erschöpfung flächendeckend breit. Ärzte sind es gewohnt, zu helfen, entweder durch eine Operation, ein Medikament oder eine Therapie – das ist nun anders.

Emotionales Chaos

Das Virus lässt sich nicht klar und durchgängig heilen, es zeigt der (Maschinen-)Medizin ihre Grenzen auf. Die Helfer haben häufig das Gefühl, nicht mehr ausreichend helfen können, obwohl wir aus unserer ethischen Verantwortung glauben, alles und jeden heilen zu können. Doch die Wahrheit ist: Wir können nicht jedem helfen.

Die Helfer befinden sich in einem emotionalen Chaos, einer unlösbaren Ambivalenz aus der eigenen Angst, selbst zu erkranken, Patienten, die eigene Familie und Angehörige anzustecken, in Quarantäne zu müssen oder den Job zu verlieren, weil man es nicht mehr schafft, und auf der anderen Seite steht das Helfen-Wollen. Problematisch ist auch, dass die Helfer momentan selbst hilflos sind, keine Zeit für ihre eigene Psychohygiene haben und so an einer permanenten psychosozialen Unterversorgung leiden. Das einzige Gebot der Stunde ist, auf sich zu achten und zu horchen. Viele Ärzte und Pflegende klagen (nicht nur in Pandemiezeiten) über Schlafstörungen, Albträume, Gereiztheit und Nervosität. Ich habe mir angewöhnt, bei den ersten Anzeichen auf die Notbremse zu treten und mir einzugestehen: "Ja, ich bin überlastet!"

Wichtig sind Gespräche, so kann die Speicherung des Erlebten verändert werden. Psychologisch betrachtet muss man die vielen traumatischen Erfahrungen vom diffusen ins episodische Gedächtnis transferieren. Das diffuse Gedächtnis ist wie eine große Schmutzwäschekiste, wo man jeden Tag die dreckige Wäsche deponiert. Erst wenn die Wäsche in die Waschmaschine kommt, wird sie sortiert. Das ist der Weg vom diffusen ins episodische (geordnete) Gedächtnis. Wenn die schlimmen Erlebnisse ausgesprochen werden, kann man sie beschriften, in kleine Laden tun und so besser beherrschen – die vielen Erinnerungen quälen und überwältigen einen nicht mehr so intensiv.

Belastetes Immunsystem

Die psychosozialen Langzeitfolgen? Ja, diese werden massiv sein. All die psychischen Belastungen, die die Helfer und auch die Covid-Patienten (Nahtoderfahrungen auf der Intensivstation) – im Prinzip die gesamte Gesellschaft – erfahren haben und nicht bearbeiten können, sind nach der Krise immer noch da und verlangen nach Behandlung. Was wird passieren? Viele Ärzte und Pfleger werden aus ihrem Beruf flüchten, man sagt schon "Pflexit" dazu. Helfer sind eigentlich geschult, sich von den psychischen Belastungen abzugrenzen, wissen, wo ihre Grenzen sind, und ein Helfer weiß normalerweise, wie er sich selbst helfen kann.

Die Grenzen zwischen normal und pathologisch werden immer schwerer greifbar, die Obergrenze der Selbstbelastung und Selbstgefährdung wird immer höhergesteckt. Wir wissen alle nur zu genau, zu viel Stress und Angst nötigen unsere Seele, Kummer zu haben, und schwächen unser Immunsystem. Somit rückt auch der psychoneuroimmunologische Ansatz für mich wieder mehr ins Zentrum – ein gesunder Körper braucht eine gesunde Seele und umgekehrt.

Wir Helfer müssen uns getrauen zu sagen: "Es ist genug!" Ich versuche, gegenzusteuern und die Selbstausbeutung zu reduzieren. Nach meinen Beratungen falle ich nicht sofort in den Ruhezustand und auf mein Sofa. Den Wechsel von extremer Anspannung in die totale Entspannung kann unsere Psyche nicht gut verarbeiten, man muss sich aus dem Stress langsam rausschleichen. Es liegt ein intensiver Weg der Rekonvaleszenz vor uns, zum Beispiel psychische Intervention wieder im Gesundheitsalltag zu integrieren, die Hygienemaßnahmen müssen sich wieder auf unsere Seele ausweiten, damit wir wieder angstfreier leben können. (Monika Spiegel, 14.1.2020)