Bild nicht mehr verfügbar.

Trump-Anhänger stürmten am Mittwoch gewaltsam das US-Kapitol.

Foto: AP/Manuel Balce Ceneta

Der gewaltsame Sturm auf das US-Kapitol hatte für Donald Trump Konsequenzen. Auf fast allen etablierten Social Media-Netzwerken wurde er inzwischen dauerhaft gesperrt. Darunter der Kurznachrichtendienst Twitter, aber auch Facebook und Instagram. Konservative und Rechtsextreme könnten dadurch wieder verstärkt Zuflucht auf den Twitter-Alternativen Parler und "Gab" suchen. Aber auch die Game-Streaming-Plattform DLive entwickelte sich schon vor Jahren zum sicheren Hafen für Rechtsextremisten – die die Kapitol-Erstürmung zum Teil live übertragen haben.

Seit rund zwei Jahren wirbt Parler bereits mit dem Versprechen, "die erste Adresse für freie Rede" zu sein. Als Reaktion auf die jüngsten Ereignisse entfernte Google die App jedoch aus dem hauseigenen App Store, Apple folgte nur einen Tag später diesem Vorbild. In der Nacht auf Sonntag entschloss sich schlussendlich auch Amazon – auf dessen Servern der Dienst bislang lief – dazu, Parler rauszuwerfen. Für Parler bedeutet all dies einen enormen Einbruch der Reichweite und somit Relevanz.

Breitere Bekanntheit erlangte der seit 2018 bestehende Service erst vergangenen Sommer, als zum ersten Mal ein Tweet von Donald Trump mit einem Warnhinweis versehen wurde. Als Reaktion riefen immer mehr republikanische Politiker, aber auch Medienvertreter ihre Anhängerschaft auf Twitter und Facebook zum Wechsel zu Parler auf. Das Ziel: der scheinbaren Zensur entkommen.

Finanziert von einer Milliardärin

Möglich macht dies eine wohlbekannte, aber medienscheue Trump-Unterstützerin, die in der rechten Szene sogar zur "First Lady der Alt-Right-Bewegung" gekrönt wurde. Die Rede ist von Rebekah Mercer, Tochter des Hedgefonds-Milliardärs Robert Mercer, die bereits seit Jahren als eine der wichtigsten Geldgeberinnen für konservative Zwecke gilt.

Zusammen mit ihrem Vater finanzierte sie bereits die rechtsextreme Nachrichtenplattform "Breitbart", steckte mehrere Millionen Dollar in die umstrittene Datenfirma Cambridge Analytica – und ist nun maßgeblich für die Finanzierung von Parler verantwortlich.

Kapitol-Sturm geplant

Nun richten sich die Scheinwerfer erneut auf ebendiesen Social-Media-Dienst, da er von Trump-Supportern zur Planung der Kapitol-Erstürmung genutzt wurde, berichtet "Propublica". Schon am 12. Dezember war außerdem auf der Webseite "mymilitia.com" ein Beitrag zu finden, der zu Gewalt drängte, sollten Senatoren den Wahlsieg von Joe Biden offiziell anerkennen. "Wenn sich das nicht ändert, befürworte ich eine Revolution", schrieb laut den Reportern ein Nutzer mit dem Namen "I3DI".

Während etablierte Social-Media-Dienste wie Twitter und Facebook immer wieder dazu gedrängt werden, strengere Moderationsregeln durchzusetzen, wird auch befürchtet, dass gerade ein stärkeres Durchgreifen Dienste wie Parler stärken würde – und Extremisten in den Untergrund treibt.

Während Nutzer selbst in den Mainstream-Netzwerken über den geplanten Kapitol-Sturm sprachen, ging es insbesondere auf den Alternativdiensten rund. Manche Nutzer sollen dort unter anderem diskutiert haben, ob sie Waffen mitbringen sollten, berichtet der "Spiegel". Die Ereignisse am Mittwoch zeigen dabei, wie schnell online diskutierte Gewaltphantasien Realität werden können.

Österreichs Rechtsextreme

"Das sind unmoderierte und geschlossene Kreise, in denen nur Leute mit extremistischen Ideologien ihre Zeit verbringen", warnt diesbezüglich auch Jonathon Morgan. Seine KI-Firma Yonder hat sich zur Aufgabe gemacht, Falschinformationen zu tracken. Da die auf Diensten wie Parler konsumierten Informationen absolut homogen seien, soll auch die Gefahr der Radikalisierung deutlich höher sein.

Zum Zeitpunkt der Twitter-Sperrung scheint Sellner bereits Parler beigetreten zu sein.
Foto: Parler/Screenshot

Für diese Theorie spricht die Tatsache, dass auch österreichische Rechtsextreme nach Twitter-Sperren auf Parler ausweichen – unter ihnen zum Beispiel der Identitären-Sprecher Martin Sellner, dessen Twitter-Konto erst im Juli letzten Jahres gesperrt wurde. Aber auch dessen rechtsextreme Bürgerbewegung "Die Österreicher – DO5" hat ein eigenes Konto auf der Plattform, wenn auch mit deutlich weniger Followern als Sellner selbst.

Wachstum seit Wahl

Eigenen Angaben zufolge konnte Parler allein seit der US-Präsidentschaftswahl am 3. November seine Nutzerzahlen verdoppeln, von zuvor fünf Millionen auf mehr als zehn Millionen. Verglichen mit Twitters 330 Millionen Nutzern ist das zwar eine verschwindend geringe Zahl, in rechten Kreisen ist die Aufregung dennoch groß, wie die neuesten Ereignisse in Washington zeigen.

Der Versuch des App-Gründers John Matze, diese Entwicklung zu verhindern, blieb dabei offensichtlich vergeblich. Noch letztes Jahr bot er linken Influencern mit mehr als 50.000 Followern 20.000 US-Dollar, wenn sie zu Parler wechseln.

Republikanische Politiker

Stattdessen versammeln sich dort selbst die prominentesten Trump-Befürworter – so auch der republikanische Senator Ted Cruz, der schon vergangenen Juni in einem auf Twitter veröffentlichten Video seinen Beitritt bewarb. "Lasst uns die Silicon-Valley-Zensur beenden", betitelte er damals seinen Aufruf.

Doch wie konnte Parler das bei Rechtsextremen offensichtlich ebenso beliebte Social Network "Gab" bezüglich Bekannt- und Beliebtheit so deutlich abhängen? Für eine Erklärung muss man erneut die Mercers heranziehen. Bedenkt man, dass Vater und Tochter Trump-Supporter der ersten Stunde und gleichzeitig relevantester Geldgeber für Parler sind, lässt sich auch die Beliebtheit unter prominenten konservativen Politikern und Medienpersönlichkeiten – und dadurch auch die deutlich gestiegen Berichterstattung über die Plattform erklären.

Parler oder Gab?

Denn Persönlichkeiten wie Ted Cruz und bekannte konservative TV-Hosts wie Sean Hannity oder Tucker Carlson bedeuten für Parler eine größere Glaub- und Vertrauenswürdigkeit für die Masse. Währenddessen gibt "Gab" vor allem offen rassistischen Nutzern eine Plattform. Und auch die Bildsprache (häufig ist das von Rechtsradikalen gekaperte Pepe-Meme zu sehen) ist sehr viel deutlicher. "Gab"-Gründer Andrew Torba bezeichnet das eigene Netzwerk unterdessen als "digitale Arche Noah", da der "Sturm gekommen ist".

Dass Torba auch offen rechtsradikalen und antisemitische Menschen eine Stimme bieten will, zeigte sich schon 2018 deutlich. Denn auf dem Kurznachrichtendienst war damals unter anderem der Pittsburgh-Attentäter vertreten, der ein antisemitisch motiviertes Massaker in in einer dortigen Synagoge zu verantworten hat.

Trump selbst hat hingegen bis heute weder einen offiziellen Parler- noch "Gab"-Auftritt, ebenso wenig erwähnte er die alternativen Social-Media-Netzwerke jemals in Tweets. Bei einer Nutzersuche auf Parler findet man hingegen unter anderem Trumps Kinder Ivanka und Eric.

4Chan und andere Message-Boards

Aufmerksame Beobachter der gewaltsamen Ereignisse am vergangenen Mittwoch dürften auch die Vielzahl unterschiedlicher Flaggen aufgefallen sein, die Trump-Fans über ihren Köpfen schwangen. Eine davon: Die Flagge des fiktiven Staates "Kekistan", die erstmals auf dem Portal 4Chan an Popularität erlangte.

Das Wort "Kek" entstammt dabei dem Onlinespiel World of Warcraft und wird als Alternative für das etwas bekanntere "lol", also "laughing out loud" verwendet. Problematisch ist dies deshalb, weil die geschwungene Flagge ganz klar an Nazi-Symbolen der Swastika und des Eisernen Kreuzes angelegt sind, berichtet der STANDARD.

"The_Donald"

Sichtungen wie diese verdeutlichen die Wichtigkeit von sogenannten Message-Boards wie dem bereits erwähnten 4Chan, aber auch der Webseite "thedonald.win" für die Organisation und den Austausch von Rechtsextremen.

Nachdem "The_Donald" 2015 eigentlich als Unterforum auf der Plattform Reddit startete, wurde der Trump-Fanclub schnell zu einem der wichtigsten Orte des Austauschs militanter Trump-Anhänger, so der "Spiegel". Noch vergangenen Sommer zählte der sogenannte "Subreddit" fast 800.000 Mitglieder. Dann löschten die Plattformbetreiber das Subforum, weil Mitglieder zu Gewalt anstifteten und rechtsextreme Propaganda verbreiteten.

Schnell organisierten sich die treuen Nutzer auf einer eigens erstellten Webseite neu, die bis heute besteht und sogar das Aussehen und die Nutzeroberfläche von Reddit kopiert hat. Alleine 2016, also dem Jahr des ersten US-Wahlkampfes von Donald Trump, gewann die Seite laut "Spiegel"-Informationen mehr als 100.000 Anhänger.

Neben rassistischen und sexistischen Beiträgen werden auch Verschwörungserzählungen wie "Pizzagate" geteilt und weitergesponnen. Laut dieser soll aus einer Pizzeria in der US-Hauptstadt Washington heraus ein Kinderpornoring agieren. Verschwörer warfen unter anderem auch Hillary Clinton vor, in die zusammengesponnenen Machenschaften involviert zu sein.

8kun und QAnon

Unterdessen versammeln sich Anhänger des QAnon-Verschwörungsmythos im Onlineforum 8kun. Auch im Rahmen des Aufstands in der US-Hauptstadt wurden zahlreiche, teils prominente Vertreter dieser Verschwörung gesichtet.

Unter ihnen: Der "QAnon Shaman" Jake Angeli, den Trump-Anhänger inzwischen als Antifa-Aktivisten framen wollen, um die Schuld an den gewaltsamen Randalen von sich zu schieben. Auf 8kun kommentierten und applaudierten Nutzer den Demonstranten. Immerhin glauben Anhänger, dass eine geheime Elite die Welt regiere.

DLive: Streaming für Rechte

Während des Sturms auf das Kapitol besonders auffällig: die Game-Streaming-Plattform DLive, die inzwischen insbesondere bei Rechtsextremen beliebt ist. Denn der Angriff wurde nicht nur von Journalisten und Beobachtern live übertragen, sondern vielfach von den Eindringlingen selbst.

Für seine Server und das Spendensystem verwendet der Streaming-Dienst eine Blockchain des Lino-Netzwerks und unterstützt laut "Wired" schon seit Jahren die Aktivitäten von Rechtsextremisten und Verschwörungserzählern. Am Mittwoch konnte man auf der Plattform gleich bei mehreren Nutzern den Angriff mitverfolgen – und den Streamenden sogar Spenden schicken. Mit Titeln wie "Marsch zur Rettung Amerikas" und "Zeit, unser Land zurückzuholen" konnten mehr als 140.000 Zuschauer angelockt werden.

DLive selbst wurde vom Unternehmer Charles Wayn im Jahr 2017 gegründet. Das damalige Ziel war, einen Twitch-Konkurrenten in kleinerem Ausmaß zu etablieren. Breitere Aufmerksamkeit erlangte die Streaming-Seite, als der bekannte Youtuber Pewdiepie (Felix Kjellberg) 2019 kurzzeitig exklusiv auf DLive streamte. Seither kann die Seite ein stetiges Wachstum verzeichnen.

Sellner streamt

Zu verdanken haben die Betreiber dieses jedoch hauptsächlich Accountsperren auf Youtube, Twitch und Facebook, die vor allem bekannte Rechtsextreme zu DLive fliehen ließen. Auch der österreichische Rechtsextreme Martin Sellner hält dort offensichtlich seine Livestreams ab, erreicht fast 10.000 Follower, wirbt für seinen Telegram-Kanal und bittet gleichzeitig um Spenden. Vergangenen August berichtete das "Time"-Magazin zudem, dass ganze acht von den zehn der meistverdienenden Streamer Rechtsextreme oder Verschwörungserzähler sind.

Unter ihnen Tim Gionet, der den Kapitol-Sturm live übertragen hat. Unter dem Nutzernamen "BakedAlaska" erreichte er am Mittwoch zwischenzeitlich 17.000 Zuseher. Von Twitch wurde er schon 2017 gesperrt, sein Youtube-Kanal im Oktober gelöscht, nachdem er Einzelhandelsmitarbeiter belästigte, weil sie einen Mund-Nasen-Schutz trugen.

Keine Toleranz?

In einem Livestream kommentierte der DLive-Kommunikationschef am Donnerstag die Ereignisse in Washington folgendermaßen: "Ich möchte klarstellen, dass DLive in keiner Weise illegale Aktivitäten duldet. Friedliche Proteste? Klar. Über die Proteste Berichten? Kein Problem. Aber wenn ein Kanal oder der Streamer in illegale Aktivitäten involviert ist, wird er offline genommen." Gionets DLive-Kanal wurde am Samstag tatsächlich suspendiert kann also nicht mehr aufgerufen werden. Auch seine gesammelten Spenden wurden eingefroren.

Während die offiziellen Community-Regeln durchaus Hassrede verbieten, liegt die Verantwortung der Moderation grundsätzlich trotzdem bei den Kanalbetreibern und den von diesen ernannten Moderatoren – was die Regel de facto zahnlos und DLive zum Rekrutierungstool für Rechtsextreme macht. Die tatsächliche Löschung eines Kanals wurde bis zuvor nie durchgesetzt. Ob die Betreiber in Zukunft härter durchgreifen werden, ist also unklar.

Gefahr im Verzug

Die Flucht von Rechtsextremen und Verschwörungserzählern auf unkontrollierte, weniger bekannte Plattformen wie Parler, "Gab" und DLive birgt also eine Gefahr – vor allem dann, wenn sich diese für Konservative und Rechtsextremisten auch auf lange Sicht als relevante Alternativen zu den größten Social-Media-Netzwerken am Markt etablieren können. Denn schon jetzt bieten sie rechtsextremen Meinungsmachern Zuflucht und eine Plattform, auf der sie ihre Botschaften ohne Widerspruch verbreiten können. (Mickey Manakas, 10.01.2021)